Die Italiener spielten in Wien Guiseppe Verdis Requiem.
Was tun, wenn ein Hausorchester kurzfristig arbeitslos ist, weil ausländische Schlüsselarbeitskräfte die angestammte Bühne okkupiert haben? Man fährt in deren Haus und füllt die dort entstandene Lücke. Und so geschah es, dass Musiker der Mailänder Scala mit Verdis Requiem Freitagabend die Staatsopernbühne bevölkerten, während die Wiener das italienische Publikum mit Beethovens "Fidelio" konzertant beglückten. Verdis Totenmesse hatte zusätzlich traurige Aktualität: Dirigent Daniel Barenboim widmete sie dem erst kürzlich verstorbenen Tenor Salvatore Licitra. Gefeiert wurde der Gastauftritt am Ende trotz allem lautstark.
Erster Orchestertausch in der Geschichte der beiden Häuser
Mit einer Gedenkminute für den an den Folgen eines Verkehrsunfalls verstorbenen italienischen Publikumsliebling begann also der in der Geschichte beider Opernhäuser erstmalige Orchestertausch in Wien. Ein Schweigen, das nahtlos in eine würdige "Messa da Requiem" überging. Wobei Orchester und Chor des Teatro alla Scala eine sorgsam ausgesuchte Sängerriege vorstand: Die in Wien zur Kammersängerin geadelte Sopranistin Violeta Urmana, Mezzosopranistin Daniela Barcellona, Startenor Rolando Villazón und der junge russische Bass Alexander Vinogradov erfüllten ihre jeweiligen Parts sowohl mit den eigenen Charakterzügen als auch mit gebotener Zurückhaltung.
Barenboim vollzog dabei das Kunststück, Verdis Requiem - die wohl italienischste aller Totenmessen - ewiges Leben einzuhauchen und zugleich die Sterblichkeit des Menschen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Erfrischend unpathetisch ließ er das Orchester ans Werk gehen, setzte auf Archaik statt auf oberflächlichen Pomp. Dabei hatte der große Humanist die Musiker ganz auf seiner Seite: Mit sympathischer Schlampigkeit gesegnet wurde drauf los gespielt, als gäbe es kein Morgen. Barenboim ließ die Orchester-Flammen aber nie zu unkontrolliert züngeln, gerade so viel, dass das Feuer weiterbrennt. Ebenso der Chor, der ebenfalls Gewalten freiließ.
Ausverkauftes Haus
Das bisher vierte Gastspiel der Scala war dementsprechend ausverkauft. Und Barenboim schaffte es an diesem Abend nicht nur, das Orchester im Zaum zu halten, sondern auch das Wiener Publikum: Kein voreiliges "Bravo" rutschte heraus, als die letzten Töne des abschließenden "Dies irae" verhallten. Erst als sich der Maestro sichtbar erlöst gab, baute sich langsam Applaus auf - um in Ekstase zu münden. Unterdessen konnte man hoffen, dass auch die Wiener unter Welser-Möst in Mailand dasselbe erreicht hatten.