Ratgeber-Stück mit Erich Schleyer feiert am 15. Februar Premiere.
"Er ist ein großer Präsident - ein großer Leader und ein großer Politiker." Tony Kushner meint nicht Abraham Lincoln, sondern Barack Obama. Ihn hält der 56-jährige US-Autor für einen "Mann mit großen Möglichkeiten", der sich leider im Kongress mit republikanischen Obstruktionisten herumschlagen müsse, "mit furchtbaren Leuten, die alles paralysieren und behindern". Kushner weiß, wovon er spricht: Für sein "Lincoln"-Drehbuch hat er nicht nur das Leben und die Reden Abraham Lincolns, sondern auch den amerikanischen Parlamentarismus genau studiert. Neun Tage ehe Kushner im Dolby Theatre von Los Angeles als Oscar-Nominierter zittern wird, hat am 15. Februar sein jüngstes Theaterstück am Volkstheater Wien Premiere: "Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift".
Oscar-Anwärter häufig in Wien
"Ich freue mich sehr darüber, denn ich komme ja wirklich häufig nach Wien", lacht Kushner im Gespräch mit der APA. Verantwortlich dafür sind familiäre Bindungen. Sein Bruder Eric ist Hornist bei den Symphonikern, seine Schwägerin Maighread McCrann Erste Konzertmeisterin beim RSO. Die vom früheren Baseler Schauspieldirektor Elias Perrig inszenierte Volkstheater-Produktion wird er sich aber erst ansehen, nachdem sich der Preisverleihungs-Stress für "Lincoln" gelegt hat. Nachdem er bei den "Golden Globes" Quentin Tarantino unterlegen war, darf er sich bei den Oscars erneut Hoffnung machen. In der Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch" tritt er gegen die Autoren von "Argo", "Beasts of the Southern Wild", "Life of Pi" und "Silver Linings Playbook" an. Nach dem Terrordrama "Munich" war "Lincoln" bereits Kushners zweite Zusammenarbeit mit Steven Spielberg.
Autor in der Theater-Welt zu Hause
Kushners eigentliches Metier ist jedoch das Theater. Sein zweiteiliges Stück "Angels in America" hatte in den 1990ern so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gab, den Pulitzer Prize und zwei Tony Awards inklusive. Hans Gratzer zeigte 1994 und 1995 am Wiener Schauspielhaus beide Teile ("Millennium Approaches" und "Perestrojka") dieses groß angelegten US-Gesellschaftspanoramas, das sich vor dem Hintergrund der Präsidentschaft Ronald Reagans den Verheerungen von Aids und der Schwulenhatz der Reaktionären widmete. "Nirgendwo in Europa ist das Stück so gut angekommen wie in Wien. Ich habe mich richtig verstanden gefühlt", erinnert sich Kushner.
Zentrale Themen: Leben und Tod
Sein neues Stück, 2009 in Minneapolis uraufgeführt und 2011 in einer überarbeiteten Version am Off-Broadway gezeigt, lässt wieder die große gesellschaftliche Perspektive erkennen, verengt sie jedoch auf ein in einem Haus in Brooklyn spielendes Familiendrama: Im Mittelpunkt steht der pensionierte kommunistische Gewerkschafter und Hafenarbeiter Gus, Spross einer aus Italien eingewanderten Arbeiterfamilie. Nachdem sein erster Selbstmordversuch knapp vereitelt wurde, versammelt Gus seine Familie um sich und möchte sie allen Ernstes darüber abstimmen lassen, ob er sich ruhigen Gewissens umbringen darf. Eine Provokation, die zusammen mit seiner (fast) alle überraschenden Absicht, das Haus zu verkaufen und das Geld auf alle aufzuteilen, das ohnehin labile Kräftegleichgewicht der äußerst unkonventionellen Familie durcheinanderbringt. "Mein Werk hat viele regionale, historische und thematische Bezüge, aber ich denke, es funktioniert auch außerhalb der USA. Es geht nicht um die Details, sondern es geht um die großen Themen und Dramen dahinter: Leben und Tod, Verlusterfahrungen und Familie."
Zwei Bücher ausschlagebend für Stück
Die Form des Stücks, das seinen zungenbrecherischen Titel zwei Büchern von George Bernard Shaw und Mary Baker Eddy verdankt, habe er bewusst gewählt, sagt der New Yorker Autor, der an der Columbia University studiert hat: "Ich habe mich in den vergangenen Jahren viel mit Arthur Miller, Eugene O'Neill und Tennessee Williams beschäftigt. Ich wollte etwas schreiben, was bei uns immer als das typische amerikanische Stück gilt: ein Familiendrama, in dem alle in der Küche sitzen und reden." Dass man als Europäer bei der Lektüre des Stückes auch immer wieder an Tschechow denken muss (Kushner hat sogar einen speziellen "Kirschgarten"-Gag eingebaut), ist kein Zufall: "Ich liebe Tschechow. Ich habe ein vor ein paar Jahren in New York einen tollen 'Onkel Wanja' gesehen, mit Maggie Gyllenhaal und Peter Sarsgaard. Das war einer der besten Tschechows, den ich je gesehen habe." Die ausgezeichnete Burgtheater-Aufführung von "Onkel Wanja" kennt Tony Kushner noch nicht. "In Wien gehen wir meist in Konzerte oder in die Oper. Das liegt einerseits daran, dass mein Bruder und seine Frau Musiker sind, und dann ist mein Deutsch auch nicht so gut." Vielleicht wird Kushner ja demnächst als Oscar-Gewinner zum Wiener Theater-Aficionado.
Info
Der "Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift" von Tony Kushner feiert am 15. Februar im Volkstheater Wien große Premiere. Alle Informationen rund um das Stück erhalten Sie unter www.volkstheater.at.