Der Abend könnte mit Fug und Recht "Kitty Schtscherbazkaja" heißen. Das wäre aber wohl weniger populär als "Anna Karenina". Doch in der Österreichischen Erstaufführung der Theaterfassung von Leo Tolstois berühmtem Mammut-Roman im Wiener Volkstheater rührt das Glück, das die eigentlich in den feschen Wronski verliebte Kitty letztlich an der Seite des liebenswerten Waldschrats Lewin findet, mehr als das Unglück Annas, die Wronskis Werben erhört und dafür Mann, Sohn und gesellschaftliche Position verliert. Dennoch gab es am 23. November viel Applaus für die zweieinhalbstündige Premiere.
Acht Personen-Stück Der deutsche Dramatiker und Regisseur Armin Petras hat in seiner vor vier Jahren uraufgeführten Bühnenfassung Tolstois episches Panorama aus der Belle Epoque Russlands, das Land und Leute detailliert und farbenprächtig festgehalten hat, zu einem Acht-Personen-Stück rund um drei Paare komprimiert. Sie repräsentieren verschiedene Spielformen des Versuchs, eigene Gefühle und gesellschaftliche Gesetze halbwegs in Einklang zu bringen. Auf einer grellrot bemalten Bühne aus mehreren, nach hinten immer kleiner werdenden Portalen (Bühne: Hyun Chu) konzentriert sich Regisseur Stephan Müller nach einem stilisierten Eislaufplatz-Tableau zum Auftakt darauf, die Personen in den richtigen Konstellationen zusammenzuführen und die Wechsel zwischen Dialogen und kurzen Ausstiegen, in denen Gefühle erläutert oder Handlungssprünge erklärt werden, plausibel zu arrangieren. Das gelingt ihm gut. Alle Konzentration gilt den Schauspielern und ihren Paarläufen.
Große Gefühle auf der Bühne Am uninteressantesten und wohl auch normalsten wirkt die Beziehung zwischen dem ewig untreuen Stefan (Patrick O. Beck), Annas Bruder, und seiner immer wieder verzeihenden Gattin Dascha. In der von Susa Meyer gespielten Entwicklung von der großen, mit zerrauften Haaren vorgebrachten Eifersuchts-Arie hin zur sorgenden, abgeklärten, mit anderen innig mitfühlenden Frau ist wohl auch ein soziales wie moralisches Ideal enthalten, das sich seit Tolstois Zeiten nicht viel gewandelt hat: Wer liebt, verzeiht. Perfekt inszeniert und gespielt Am aufregendsten und schönsten ist der Weg, der den schrulligen, sich für hässlich und uninteressant haltenden ländlichen Gutsbesitzer Lewin und die entzückende junge Kitty, Daschas Schwester, zusammenführt. Die Begegnungen zwischen Till Firit und Hanna Binder sind der emotionale und schauspielerische Höhepunkt des Abends. Zuerst die Zurückweisung eines Heiratsantrags mitten am Eislaufplatz, später die Wiederbegegnung voller Angst und Hoffnung, das einander Finden und schließlich das bange Aufbrechen in ein gemeinsames Leben. Den beiden dabei zuzusehen, lässt einem das Herz aufgehen.
Ungekünstelte Emotionalität erfreute Publikum Gegen soviel ungekünstelte Emotionalität fällt das Drama der Titelfigur vergleichsweise schal aus. Martina Stilp wird als wandelnder Eisschrank eingeführt, ihrer Schönheit und gesellschaftlichen Position wohl bewusst, mit der Einheitsgeste der auf die Hüfte gelegten linken Hand mehr unbewegliche Statue als lebendiger Mensch. Ihre Erweckung durch die Begegnung mit dem feschen Grafen Wronski (den Roman Schmelzer eher als blasierten Dandy im Nadelstreif denn als draufgängerischen Offizier anlegt) zu einem liebenden Menschen aus Fleisch und Blut wirkt krampfig, die mütterliche Liebe zu Söhnchen Serjoscha (sehr begabt: Alexander Mayer) unglaubwürdig. Umso schlüssiger dagegen, wie sehr der Männerwelt schlussendlich der Tod Anna Kareninas gelegen käme: Alexej Karenin (eindrucksvoll in einem engen Korsett gesellschaftlicher und beruflicher Verpflichtungen gefangen: Michael Wenninger) wäre den Skandal und Wronski die beschwerlich gewordene Geliebte los. Ende komplett anders Doch es kommt anders, als man denkt. Und anders, als im Roman steht. Der tödliche Zug, der im Volkstheater am Ende nicht kommt, wird schon ab 7. Dezember auf der Leinwand Anna Kareninas Leben beenden. Dann läuft eine Verfilmung von Joe Wright in den österreichischen Kinos an, mit Keira Knightley in der Titelrolle.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
Info "Anna Karenina", Theaterfassung von Armin Petras nach dem gleichnamigen Roman von Leo Tolstoi, Österreichische Erstaufführung, Regie: Stephan Müller, Bühne: Hyun Chu, Kostüme: Birgit Hutter, Mit u.a. Martina Stilp - Anna Karenina, Michael Wenninger - Karenin, Patrick O. Beck - Stefan, Susa Meyer - Dascha, Hanna Binder - Kitty, Till Firit - Lewin, Roman Schmelzer - Wronski, Volkstheater Wien, Nächste Aufführungen: 28.11., 1., 2.12., Karten: 01 / 521 11-400, http://www.volkstheater.at
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