Künftiger Oberspielleiter kommt bei Kinderoper als Regisseur zum Zug.
Mit Hans Werner Henzes Märchenoper "Pollicino" öffnet die Wiener Staatsoper erstmals seit zwölf Jahren im regulären Spielbetrieb das große Haus für kleine Zuschauer. Am kommenden Sonntag (28. April) feiert die Geschichte vom kleinen Däumling in der Regie von Rene Zisterer Premiere. Im APA-Interview spricht der Regisseur, der an der Staatsoper ab Herbst den Posten des Oberspielleiters übernehmen wird, über Henze als Pädagoge, über Kinder als Publikum, das "keinen Rabatt gibt", und über seine neue Aufgabe als wachsames ästhetisches Auge im Repertoirebetrieb des Hauses.
Hier das ganze Interview mit Rene Zisterer
APA: Hans Werner Henze ist im Vorjahr gestorben - welches Licht wirft eine Kinderoper wie "Pollicino" auf das Oeuvre des Komponisten?
Rene Zisterer: Ich schätze Henze ungemein. Er ist jemand, der nicht nur musikalisch seine Sache durchzieht, sondern auch diese dramatische Pranke hat, die man als Regisseur zu schätzen weiß. Was mich an ihm so fasziniert, ist seine Neugier, sein Interesse an verschiedenen Formen - vom Ballett bis eben zur Kinderoper. Gerade hier sieht man seinen pädagogischen Impetus sehr stark, wie er unbedingt Neues anregen wollte. Man sieht den Wunsch, die in jedem Menschen vorhandene, enorme schöpferische Potenz zu erwecken, die bei vielen im Lauf der Erziehung und des Erwachsenwerdens verschüttet wird.
APA: Henze selbst setzte "Pollicino" mit Kindern und Jugendlichen im italienischen Dorf Montepulciano um. Stehen auch in der Staatsoper junge Künstler auf der Bühne?
Zisterer: Wir hatten das Glück, die Kinderrollen und die Tiere komplett aus der Opernschule besetzen zu können - die Qualität ist dort so gestiegen, dass man das guten Gewissens tun kann. Wir haben ein Vorsingen veranstaltet und die Teilnehmer waren ausgezeichnet vorbereitet: Was die Kinder in der Schule nicht nur an Stimmbildung sondern etwa auch an Bühnenpräsenztraining erhalten, das kommt mir als Regisseur sehr entgegen. Das Orchester besteht aus dem Staatsopern-Bühnenorchester sowie aus Schülern des Musikgymnasiums Neustiftgasse. Auch diese Jugendlichen haben sehr gewissenhaft gearbeitet. Es freut mich sehr, dass wir alle Vorgaben von Henze erfüllen können, es ist eigentlich genau das, was er auch in Montepulciano umgesetzt hat.
APA: Die Geschichte vom kleinen Däumling ist ziemlich grausam. Sind solche Kindergeschichten nach modernen pädagogischen Ideen nicht out?
Zisterer: Henze war ein großer Anhänger der Kinderpsychologie von Bruno Bettelheim. Ich denke, es war ihm sehr bewusst, dass mit der Geschichte ein Raum geschaffen wird, wo man seine Ängste und Aggressionen hineingibt und sie auch bearbeitet. Es ist tatsächlich schrecklich, wie die Geschwister im Stück gleich zweimal ausgesetzt werden. Ich glaube aber, dass Kinder die Fähigkeit haben, damit umzugehen und diese Gefühle in der Geschichte zu lassen.
APA: Die Kinderoper wandert mit dieser Produktion erstmals vom Zelt ins Haus. Worin unterscheidet sich Oper für Kinder und Erwachsene eigentlich?
Zisterer: Von der Herangehensweise überhaupt nicht. Wir arbeiten mit der gleichen Professionalität und mit der gleichen Intensität, haben ebenso viele Proben. Allerdings ist der Orchestergraben etwas kleiner, damit rücken die Sitzplätze näher an die Bühne, und wir haben zusätzlich einen breiten Bühnensteg, der vom Parkett über das Orchester auf die Bühne führt und von Anfang an offen steht. Damit wollen wir die Kinder näher an das Geschehen heranbringen. Generell wurden alle Sitzplätze, die zu weit weg sind, nicht verkauft: Es gibt also Parkett und drei Ränge, aber etwa auch die hinteren Logenplätze nicht. Die Einladung ins große Haus ist eine Geste der Öffnung: Die Kinder sind willkommen, wir bereiten uns sehr ernsthaft auf sie vor und das werden sie auch spüren.
APA: Sind Kinder ein einfacheres oder ein kritischeres Publikum als Erwachsene?
Zisterer: Sie sind auf jeden Fall kritisch - da kann man nicht flunkern! Alle Bögen, gerade auch die emotionalen, müssen genau gearbeitet sein. Das ist mir bei meiner ersten Kinderproduktion ganz bewusst: Das ist ein Publikum, das keinen Rabatt gibt.
APA: Mit dem kritischen Staatsopernpublikum werden Sie sich ab Herbst noch mehr auseinandersetzen müssen - da beginnt Ihre Amtszeit als Oberspielleiter des Hauses.
Zisterer: Dabei geht es Direktor Dominique Meyer und mir auch darum, den ästhetischen Blick auf das Repertoire zu schärfen. Da gibt es 52 Produktionen, ohne die Ballette, die "in Schuss" gehalten werden wollen. Meine Aufgabe wird sein, dafür zu sorgen, dass die eher geringe Probenzeit für den Repertoirebetrieb optimal genutzt werden kann. Gerade bei den älteren Produktionen sollen Beleuchtung, Kostüme und Bühnenbild möglichst im ursprünglichen Glanz neu zum Leuchten gebracht werden.
APA: Spricht man dann schon von einer "Neueinstudierung" oder passieren diese Eingriffe "heimlich"?
Zisterer: Im Idealfall bemerkt es das Publikum gar nicht - sondern spürt nur, dass es in einer optimalen Produktion sitzt, die den aktuellen Premieren ästhetisch in nichts nachsteht. Das hat sich natürlich schon durch den Umstand sehr verbessert, dass die Sänger seit dem Amtsanritt Meyers durch eine zeitliche Umschichtung vor ihrem Einsatz mehr proben. Da kann man natürlich bei der Personenführung ungleich mehr erreichen, als in einer kurzen Einweisungsprobe.
(Das Gespräch führte Maria Handler/APA)
Info
Alle Informationen rund um die Kinderoper "Pollicino" und das Haus am Ring erhalten Sie unter www.wiener-staatsoper.at.