Österreicher startet am 6.10. mit "Das weite Land" in seine erste Spielzeit.
Selten wurde ein Intendantenwechsel mit so viel Spannung erwartet: Seit diesem Sommer ist Martin Kusej der Chef des Bayerischen Staatsschauspiels und beendete damit die Ära Dieter Dorn. Am kommenden Donnerstag (6. Oktober) startet der Österreicher mit Arthur Schnitzlers "Das weite Land" in seine erste Spielzeit. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa spricht er über den Stress der Vorbereitungen und die Kunst des Augenblicks und sagt: "Man muss nicht immer alles dekonstruieren."
Ihr Vorgänger Dieter Dorn ist nun seit gut zwei Monaten weg. Haben Sie gemerkt, dass Sie seitdem schon etwas in Gang gebracht haben?
Martin Kusej: "Ja absolut. Seit zwei Monaten herrscht der Ernstfall, wir sind jetzt wirklich verantwortlich. Und da bewegt sich gewaltig viel. Es ist ein richtig starker, großer Wandel, der stattfindet. Wir ziehen alle an einem Strang, gehen gemeinsam nach vorne - und niemand schaut zurück."
Glauben Sie, dass Ihr Publikum das auch kann?
Martin Kusej: "Wie ich "das Publikum" an sich kenne, liegt es in der Natur der Sache, dass es nicht von solch einer allumfassenden Begeisterung befallen sein wird. Aber ich glaube, dass die Mehrzahl der Zuschauer sich trotzdem reinziehen lässt. Die bekommen ja auch etwas geboten: nämlich aufregendes, leidenschaftliches Theater. Ich bin davon überzeugt, dass es eine nicht unwesentliche Zahl an Zuschauern gibt, die mit uns in den Zug einsteigen, der jetzt für die nächsten fünf Jahre losfährt."
Können Sie sich auch vorstellen, länger als fünf Jahre mit diesem Zug zu fahren?
Martin Kusej: "So weit nach vorne zu planen, ist auch wieder nicht gut. Fünf Jahre. Das ist erst mal in Ordnung."
Warum?
Martin Kusej: "Aus Erfahrung, Ich fand schon meinen Zeitrahmen in Salzburg toll: zwei Jahre. Da habe ich auch gesagt: Ich komme, ich ziehe, ich schieße und bin dann wieder weg. Bei fünf Jahren ist das dann jetzt eher ein Flächenbombardement. Jeder Versuch, das langfristiger anzudenken, würde vielleicht zu einer gewissen Bequemlichkeit führen. Theater ist ja die Kunst des Augenblicks. Das Theater kreiert einen Moment, den man zwar festhalten will, der aber unwiederbringlich ist."
Geschossen haben Sie in Ihrer Zeit in Salzburg vor allem gegen den österreichischen Kulturbetrieb. Läuft denn in Deutschland wirklich alles so viel besser?
Martin Kusej: "Es gibt einen ziemlich großen Unterschied und das ist die föderalistische Organisation in Deutschland. In Österreich sind die großen Institutionen, die Aushängeschilder, streng zentralistisch geführt. Es wird zwar von Wien - vonseiten des Staates - von der großen Kulturnation Österreich gesprochen, aber über weite Strecken findet keine wirklich visionäre Art von Kulturpolitik statt. Es ist einfach nicht aufregend. Die Ideen dazu sind in vielen Fällen - nicht in allen - fürchterlich vorhersehbar."
Sie haben ihre erste Spielzeit "Resistance" genannt - in Anspielung auf das Residenztheater und mit entsprechendem Haken über dem s auch an Ihren Namen. Ist Widerstand Programm?
Martin Kusej: "Es ist ein verfremdeter Widerstand. Widerstand per se muss ich mir nicht extra auf die Fahnen schreiben, das ist sowieso klar. Aber in Kombination mit meinem slowenischen Namen fand ich das schon wieder spannend und interessant. Widerstand gegen herrschende Zustände verbindet sich in diesem Titel also mit einem Bekenntnis zu oder der Suche nach der eigenen Identität."
Als eins Ihrer Ziele haben Sie eine internationalere Ausrichtung Ihres Hauses ausgegeben. Welche Strategien stellen Sie sich da vor?
Martin Kusej: "Es dauert sicher zwei Jahre, bis wir uns in das internationale Netzwerk von Austausch und Gastspielen einklinken können. Ich habe Kooperationen mit Theatern in Turin, Mailand und Barcelona vor. Im Spielplan haben wir mit "Persona" von Ingmar Bergman jetzt schon ein gemeinsames Projekt mit dem Habima Theater in Tel Aviv."
Die Münchner Kammerspiele und auch das Volkstheater haben ähnliche Kooperations-Strategien - und das schon sehr viel länger. Wo sehen Sie da dennoch eine Abgrenzung zwischen sich und den beiden Häusern?
Martin Kusej: "Ich rede von Abgrenzung wirklich eher mit Widerwillen. Ich bin überzeugt, dass wir als die drei großen Sprechtheater plus Staatsoper einfach eine immense Kraft entwickeln können. Wir wären ja blöd, wenn wir gegeneinander arbeiten würden. Andererseits muss eine gewisse Profilierung natürlich sein. Ich bin ein "Staatstheater" und ich habe eine gewisse Sympathie dafür. Ein so großer Tanker hat eine immense Verdrängung und transportiert Dinge, die andere nicht leisten können. Vor allem wollen wir echte Theaterstücke spielen und weniger Film- und Romanadaptionen."