Führendes lateinamerikanisches Orchester tourt mit Chefdirigentin Alsop.
Brasilien ist in. Das fünftgrößte Land der Erde entsendet im Oktober nicht nur eine Hundertschaft Autorinnen und Autoren zur Frankfurter Buchmesse, wo Brasilien heuer Ehrengast ist, sondern auch sein führendes Orchester nach Europa. Das Orquestra Sinfonica do Estado de Sao Paulo (OSESP) geht von 7. bis 27. Oktober, unter seiner Chefdirigentin, der US-Amerikanerin Marin Alsop, auf große Tournee. Dabei gastiert der "klingende Schmetterling" mit dem brasilianischen Pianisten Nelson Freire als Solist auch im Wiener Konzerthaus (15. Oktober), im Großen Festspielhaus in Salzburg (16., 17. und 18.) und im Linzer Brucknerhaus (20.).
Kanpp 60 Jahre erfolgreich unterwegs
Das 1954 gegründete Sao Paulo Symphonie Orchester gilt als der bedeutendste und agilste Klangkörper Lateinamerikas. Das wurde auch mit dem Engagement von Marin Alsop unterstrichen. Die 56-Jährige, die seit 2007 mit dem Baltimore Orchestra als erste Frau einem der großen US-Orchester vorsteht, wurde 2012 zur Chefdirigentin, im Juni 2013 zur Musikdirektorin ernannt. Gemeinsam mit dem künstlerischen Leiter Arthur Nestrovski und dem Exekutivdirektor Marcelo Lopes ist sie für umfangreiche Aktivitäten verantwortlich, deren Zentrum die 1999 in einem in den 20er Jahren entworfenen und 1938 eröffneten, noch immer teilweise in Betrieb befindlichen Bahnhof eingefügte Sala Sao Paulo ist - ein 1.500-Plätze Konzertsaal, der in Aussehen und Dimensionen an den Wiener Musikverein erinnert und nicht nur mit seiner Ästhetik, sondern auch mit seiner Akustik besticht.
Orchester auf ausgedehnter Tour
64 Prozent des 47-Millionen-Dollar Budgets wird vom brasilianischen Bundesstaat Sao Paulo zur Verfügung gestellt. Das von einem Stiftungs-Board (an dessen Spitze bis vor kurzem Brasiliens Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso stand) kontrollierte OSESP besteht aus einem 115-köpfigen Orchester, einem 52 Sängerinnen und Sänger zählenden Chor, einem Kinder- und Jugendchor sowie zahlreichen Kammermusikensembles. Die 36 jeweils vom brasilianischen Kulturradio übertragenen Orchester-Programme werden in der Regel jeweils drei oder viermal gespielt. Inklusive Kammermusik-Programme und Tourneen bestreitet das OSESP in der laufenden Saison von Februar bis Dezember 282 Konzerte. Das pädagogische Begleitprogramm ist umfangreich, rund 120.000 Kinder und Jugendliche nehmen jährlich an OSESP-Aktivitäten teil.
Bald auch in Österreich
Nachdem im Vorjahr OSESP etwa bei den BBC Proms in London und im Amsterdamer Concertgebouw höchst erfolgreich war, gibt es bei der in Kürze startenden Tournee Erstauftritte u.a. in der Salle Pleyel in Paris, in der Berliner Philharmonie und in der Royal Festival Hall in London. Das in Linz, Salzburg und Wien gespielte Programm soll die Breite des Repertoires unterstreichen: Neben einem Auftragswerk der 35-jährigen in Rio de Janeiro geborenen und heute in New York City lebenden brasilianischen Komponistin Clarice Assad, die im Jazz- und im Pop-Bereich ebenso zu Hause ist wie in der E-Musik, werden Klavierkonzerte von Chopin und Beethoven gespielt. Neben der Ersten Mahler ist auch die Symphonie Nr. 4 "Brasilia" des hierzulande wenig bekannten brasilianischen Komponisten Camargo Guarnieri (1907-1993), eines Sohnes italienischer Einwanderer, im Gepäck. Sie ist Leonard Bernstein gewidmet, der mit Symphonischen Tänzen aus der "West Side Story" ebenfalls im Programm vertreten ist. Bernstein war der wichtigste Förderer von Marin Alsop, die im Vorjahr bei den Wiener Symphonikern debütiert hat und im April 2014 erstmals am Pult des RSO stehen wird. Und die Wiener Philharmoniker? "Ich warte bloß auf ihren Anruf", sagt die Dirigentin im APA-Interview lächelnd. "Glücklicherweise habe ich aber auch sonst genug zu tun."