Buch der Woche

Schachinger: Ein neuer Schüler Gerber

02.04.2023

Schmerzend-packende Schilderung eines heftigen Schülerlebens.

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© Anna Breit
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Schüler Gerber. Till Kokorda landet just in jener Klasse einer Eliteschule, in der Deutschprofessor Dolinar waltet. Er ist streng, besteht auf Pünktlichkeit und beschimpft die Schüler – kurzum ein richtiger Sadist, der an Torbergs Klassiker „Der Schüler Gerber“ denken lässt.

Doch glücklicherweise hat Till ein Ventil: Er zockt das Onlinespiel „Age of Empires 2“, wird zum jüngsten Spieler in den Top Ten der Wertung und jettet in Folge um die Welt …

Stichelei gegen Wiener Gesellschaft

Schulzeit. Mobbing, Notendruck, fiese Lehrer oder Gruppenzwang: Haben wir nicht alle einen Vogel seit unserer Schulzeit? Der Wiener Autor Tonio Schachinger rechnet mit seiner Zeit an einer Eliteschule ab. „Marianum“ nennt er sie in seinem Roman „Echtzeitalter“ und meint damit nicht die gleichnamige Schule mit gutem Ruf im 18. Wiener Bezirk, sondern geografisch, wie vom Flair her das Theresianum.

Protagonist Tills schönbrunngelbe Schulwelt ist geprägt von Snobs, die irgendwann die Praxen, Kanzleien oder Firmen der Eltern übernehmen werden und deren größte Rebellion darin besteht, „mit 17 seinen über das Hemd gelegten Pullover schräg über eine Schulter zu binden, statt symmetrisch über beide.“ Haha, wer kennt sie nicht, diese Schnösel, denen man gerne ein bisschen Lebenslust einhauchen und damit die Dollarzeichen aus den Augen verschwinden lassen möchte. In Sätzen wie diesen hat Schachinger uns Leserinnen am Schlawittl, zieht uns hinein in seine Welt.

Dabei ist das Buch viel mehr als eine Abrechnung mit einer schwierigen Schulzeit, es wird politisch und sozial, wenn es am Rande um die Ibiza-Affäre, Kanzler Kurz oder Corona geht. Und nicht zuletzt auch um das Thema Tod, das in Tills Leben präsent wird, als sein strenger Vater stirbt. Gelungener Nach-Debüt-Roman!

© Rohwolt

Leseprobe aus Schachingers "Echtzeitalter":

Auszug: "Die Mauer ist das Letzte, was einem auffällt"

Sieht man diesen Ort zum ersten Mal, das Schloss mit der schönbrunnergelben Fassade und der abbröckelnden graugelben Rückseite, den Park mit seinen Wiesen und Sportplätzen, seinem bewaldeten Hügel und seiner Grotte, dann ist die Mauer, die ihn umgibt und deren Höhe je nach Steigung der Argentinier- und Favoritenstraße zwischen zwei und vier Metern schwankt, wahrscheinlich das Letzte, was einem auffällt. Warum sollte man auch an die Mauer denken, beim Tag der offenen Tür? Die Kinder sehen ja so viel an­deres, die Tennis- und Beachvolleyballplätze, das Hallenbad, den Parkettturnsaal, die Multifunktionshalle, die Sala terrena, und, wenn sie ihren Blick nach unten auf die eigenen Füße richten, den Steinboden, dessen große Platten über die Jahrhunderte von tausenden Schlapfen glattgeschliffen wurden.

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