Salzburger Festspiele
"Schneewittchen" – Kein Kinderspiel
16.08.2013
Pauline Acquart und Nicolas Liautard gastierten mit wortloser Märchen-Deutung in Salzburg.
Ob die Märchen der Gebrüder Grimm kindertauglich sind, darüber scheiden sich die Geister. Auch die mörderischen Versuche der bösen Stiefmutter, das arme Schneewittchen aus dem Weg zu schaffen, würden einen Kinderautor unserer Zeit wohl in Erklärungsnot bringen. Der französische Regisseur Nicolas Liautard hat eine wortlose Interpretation des schaurigen Märchens erarbeitet, die poetische Bilder mit einer psychologischen Deutung verbindet. "La Nouvelle Compagnie" sorgt mit ihrem Gastspiel im Salzburger Landestheater – Premiere war gestern, Donnerstagabend – für einen anspruchsvollen, eher erwachsenen- als kinder-gerechten Festspielakzent.
Sprachverweigerung
Liautard hat sich im Vorjahr mit der Uraufführung von Händl Klaus' "Meine Bienen. Eine Schneise" tief ins Gedächtnis der Festspielgäste eingeprägt. Nicht minder düster ist nun sein "Schneewittchen": Ein transparentes Netz und ein Vorhang sorgen für eine verschwommen-traumhafte Grundoptik, die Liautard – er zeichnet gemeinsam mit Damien Caille-Perret auch für das Bühnenbild verantwortlich – zu elegischen Märchenbildern inspiriert. Der Franzose verweigert sich bewusst der Sprache. Vielmehr arbeitet er mit gezielt eingesetzten Gesten, Zeichen, Licht- und Farbstimmungen sowie Videoprojektionen. Auch die Schockmomente kommen nicht zu kurz, so manches Kind schmiegt sich während der einstündigen Aufführung sicherheitshalber an Mama oder Papa.
Psycho-Thriller auf der Bühne
Im Zentrum der Inszenierung steht das Spannungsverhältnis zwischen Schneewittchen (Pauline Acquart) und der bösen Stiefmutter (Marion Suzanne). Die Rivalität zwischen der mitunter reichlich aufreizend gewandeten Teenie-Tochter und der neuen Frau an der Seite des Königs (Jürg Häring) wird tiefenscharf beleuchtet, Liautard zeichnet diesen psychologischen Nährboden für den Hass der "schwarzen" Königin scharf heraus. Der Psycho-Thriller, der sich daraus entspinnt, wird nur bedingt von der friedlichen Zwergenwelt entschärft. Denn die sieben Zwerge sind hier geisterhafte Wesen (Video und Puppen: Damien Caille-Perret), die für viele Kinder eher gespensterhafte Züge tragen. Die Einsamkeit, die Schneewittchen im Zwergenhaus überfällt, wird mit hypnotischen Synthie-Soundflächen (Jacques Cassard) verstärkt.
Nichts für Kinder
Das alles ist großartig, poetisch, zauberhaft – für theaterkundige Erwachsene zumindest. Kindertauglich ist Liautards "Schneewittchen"-Performance indes nur bedingt. Ein Siebenjähriger kann den rätselhaften Bilderwelten wohl nur mithilfe der Eltern folgen. Nur das Ende wirft keine Fragen auf: Ein Prinz erscheint auf einem echten Schimmel (!) und befreit die vergiftete Prinzessin aus ihrem gläsernen Sarg. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.