Kritik
Theater im Zeichen der Wirtschaftskrise
10.10.2008
Die Rabenhof-Bühnenadaption des Kultfilms "Die fetten Jahre sind vorbei" bringt Kapitalismuskritik in eine neue Dimension.
Das Wiener Rabenhof-Theater hat mit der Bühnenadaption des deutschen Kultfilms "Die fetten Jahre sind vorbei" wohl einen absoluten "Goldgriff" gemacht. Seit dem Start des Stücks unter der Regie von Roman Freigaßner strömen Massen von alt bis jung in die charmante Kleinbühne im dritten Wiener Gemeindebezirk, scheinbares Off-Theater wird plötzlich zum medialen und kulturellen Großereignis. Schuld daran ist wohl auch der gesellschaftskritische wie gelungene Film von Hans Weingartner, der 2004 1,3 Millionen Besucher in die Kinos lockte.
Verpuffte Ideologie
Die deutschen Shooting-Stars Julia Jentsch
und Daniel Brühl überzeugten in dem "Jugendthriller",
der sich mit dem Verfall und der Überholung linksextremer Ideologie sowie
Revolutionseuphorie kritisch auseinandersetzte. Zum Inhalt: Eine Jugendbande
ist dem kapitalistischen System überdrüssig und spielt reichen Leuten einen
Streich, in dem sie in ihre Villen einbrechen. Dabei werfen "die
Erziehungsberechtigten" teure Möbelstücke durcheinander und
hinterlassen Warnbotschaften wie "Sie haben zuviel Geld". Durch
einen Fauxpas treffen sie aber während einer Nacht-Villen-Aktion auf den
Top-Manager Hardenberg, den sie gefangennehmen und entführen. Im Laufe der
Entführung implodiert die usprüngliche Ideologie, da sich das
Entführungsopfer als "einer von Ihnen" entpuppt.
Auf Österreich gemünzt
Umso gespannter wurde natürlich
auch der Bühnenumsetzung entgegengeblickt. Schon zu Beginn wird klar: Die
Inszenierung lehnt sich vollends an den Filmplot an, zusehends wird der Film
auch persifliert, was natürlich für etliche Lacher im Publikum sorgt. Die
wilde, technoide Musikuntermalung (grandios interpretiert von Sängerin
Makki) in Abwechslung mit tiefgründigeren Sounds sorgt für futuristische wie
berührende Spannung, auf eine große Leinwand werden turbulente Szenen
projeziert. Theater wird zunehmend zu seiner multimedialen Oper, die
Unterschiede zum Film verschwimmen zusehends. Einige deutsche Elemente
wurden auf das "Heimatland" und auf Wien getrimmt.
Im Hinterkopf
Selbstverständlich: Wer den Film kennt,
verinnerlichte natürlich auch die schauspielerisch großartige Leistung -
vorallem von Julia Jentsch. Marie-Luise Haugk bemüht sich zwar, fällt aber
eher emotionslos hinter ihre beiden Kollegen Sebastian Wendelin und Michael
Schusser zurück, das verwirrende Dreiecks-Liebesspiel wird in den
Hintergrund gedrängt. Bernhard Majcen als entführter Döbling-Bonze
Hardenberg überzeugt durch Witz und Überraschungen, sowie unglaublichem
mimischen Spiel. Die lustigen stilistischen Elemente wie die Projektion der
Minikamera durch das Villen-Puppenhaus machen eventuelle schauspielerische
Schwächen wieder wett.
Wirtschaftsnot
"Innenministerin Maria Fekter vermutet
linksradikale autonome Gruppen hinter den Verbrechen": Der wohl
markigste Sager der Stücks besitzt einen beklemmend realen Kern. Doch die
Politik spielt eine zunehmend nichtigere Rolle. In Zeiten wie diesen, in
denen Menschen von großer wirtschaftlicher Unsicherheit geplagt sind,
bekommt das Stück eine neue Dimension, einen neuen Aufhänger. Es sind nicht
mehr irgendwelche politisch linken Gruppen, die einen Systemumsturz
provizieren wollen, das macht die globalisiert-vernetzte Welt mittlerweile
auf selbstzerstörerische Weise ganz von selbst.
Dennoch: frenetischer Applaus war dem jungen Ensemble garantiert.
Nächste Termine:
16., 17., 18. und 19. Oktober, 20:00 Uhr, Rabenhof-Theater, 1030 Wien