Thomas Bernhard Gedenken

Ungewöhnliches "Holzfällen" in Graz

13.01.2014


 Lupa brachte Thomas Bernhard-Roman vielschichtig auf die Bühne.

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© APA/LUPI SPUMA / SCHAUSPIELHAUS
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Der Schriftsteller Thomas Bernhard nicht als missmutiger, schneidend scharf kommentierender und polemisierender Misanthrop, sondern als warmherziger, an der Selbstbezogenheit, Eitelkeit und Borniertheit seiner Mitmenschen verzweifelnder Sympathieträger - diese überraschende Zeichnung des am 12. Februar vor 25 Jahren gestorbenen Dichters steht im Mittelpunkt eines "Holzfällen"-Abends in Graz.

"Holzfällen" am Todestag
Verantwortlich für diese interessante Neusicht auf ein literarisches Monument, das rund um den Todestag wieder einmal auf Hochglanz poliert wird, sind Krystian Lupa und Johannes Silberschneider. Der 70-jährige polnische Meisterregisseur, der in seiner Heimat fünf Erstaufführungen Bernhards auf die Bühne brachte (darunter die Romane "Das Kalkwerk" und "Auslöschung") und bei den Wiener Festwochen mit "Klaras Verhältnisse", Mozarts "Zauberflöte" und "Factory 2" zu sehen war, hat sich für seine erste Thomas-Bernhard-Inszenierung in Österreich dem 1984 erschienenen Roman frei von Konventionen genähert. Silberschneider, Träger des Großen Diagonale-Schauspielpreises und 2012 für seine Grazer Darstellung des Physikers Kurt Gödel in Daniel Kehlmanns "Geister in Princeton" für einen Nestroy nominiert, spielt den Dichter "Thomas" als großen Leidenden - an sich und der Gesellschaft, deren Niedertracht er verachtet, und deren Mechanismen er sich doch nicht ganz entziehen kann.

Roman sorgte für Skandal

Der Roman "Holzfällen. Eine Erregung" sorgte bei seinem Erscheinen für einen der legendären Thomas-Bernhard-Skandale. Das Ehepaar Maja und Gerhard Lampersberg, auf ihrem Kärntner Thonhof in den 50er- und 60er Jahren Förderer junger Musiker, Künstler und Literaten, erkannte sich in den Auersberger genannten Gastgebern des beschriebenen "künstlerischen Abendessens" wieder, fühlte sich verunglimpft und erreichte die Beschlagnahme des bereits ausgelieferten Werks. Dramatisierungen der vom Ich-Erzähler vorwiegend aus einem Ohrensessel beobachteten und nacherzählten späten Abendgesellschaft (man wartet auf den Ehrengast, einen prominenten Burgschauspieler, der erst nach seiner "Wildente"-Aufführung dazu stoßen kann), gab es immer wieder, in Österreich erstmals 2007 am Salzburger Landestheater.

Über vier Stunden Hommage an Bernhard
Krystian Lupa nimmt sich viel Zeit (inklusive Pause dauert der Abend vier Stunden) und versucht, verschiedenen Motiven des Romans nachzuspüren. Als Bearbeiter destilliert er aus der Prosa viele Dialog-Passagen, belässt dem Dichter nur passagenweise seinen kommentierenden Redefluss (zweimal darf der Gast buchstäblich aus dem Rahmen ausbrechen, auch räumlich Distanz suchen und zu den berühmten Bernhard'schen Schimpftiraden ansetzen), und fügt manche selbst geschriebene Texte hinzu. Vor allem aber legt er ein Schwergewicht auf die gemeinsame Freundin, die Schauspielerin Joana, die am Vormittag nach einem Selbstmord zu Grabe getragen wurde. Bei Lupa wird sie eine eigene Figur mit eigenem Text und erhält szenische Rückblenden auf ihre frühere enge Beziehung zum Dichter.

Zwischen Tragödie und Komödie, spöttischer Gesellschaftskritik und Künstlerdrama
Als Szeniker (und eigener Bühnenbildner) verzettelt sich Lupa ein wenig. Er verwendet immer wieder Video-Einspielungen, die etwa Straßen- oder Friedhofsszenen zeigen. Die Drehbühne wirkt mit Sitzmöbeln vollgestellt, die Handlung unnötig weit vom Zuschauer weggerückt (sodass Mikroports benützt werden). Musikeinspielungen von Klaus Nomis Purcell-Interpretationen bis zu gleich zwei aufeinanderfolgenden Variationen auf Ravels "Bolero" wirken unoriginell und bremsen vor allem im letzten Drittel den Spielfluss unnötig. Doch insgesamt hält Lupa die Schwebe zwischen Tragödie und Komödie, spöttischer Gesellschaftskritik und feinnervigem Künstlerdrama.

Ensemble glänzt auf der Bühne
Zum Gelingen trägt auch das Ensemble bei, das keineswegs nur als Staffage dient, sondern feine Charakterskizzen liefert, bei denen Tragik und Komik eng beieinander liegen. Steffi Kautz und Franz Xaver Zach sind ein blasiertes, um ihre eigene Bedeutung ringendes Gastgeber-Paar, das nur noch mühsam Haltung bewahrt und einander längst unerträglich auf die Nerven geht. Stefan Suske gibt den Burgschauspieler als großen Monomanen, ein Ekdal-Darsteller, der nicht aufhören kann zu spielen und nach seiner Ibsen- nahtlos in eine Bernhard-Rolle schlüpft. Gerhard Balluch, Barbara de Koy und Renate Salvenmoser sind Künstlerfreunde mit prominenten Vorbildern (Anton Lehmden, Jeannie Ebner, Friederike Mayröcker). Verena Lercher versucht aus der Rolle der Joana (auch für sie gibt es ein Vorbild im wirklichen Leben) eine tragisch Scheiternde zu machen und wird dabei von Lupa mit manchen fragwürdigen szenischen Einfällen nicht immer gut unterstützt. Florian Köhler als Joanas Lebensgefährte John, sowie Sebastian Klein und Laurenz Laufenberg als Jungdichter-Duo James und Joyce bleiben beabsichtigt Außenseiter einer morschen, selbstbezogenen, eitlen Gesellschaft.

Viel Applaus
"Ich will so leben wie ich schreibe, nicht so schreiben wie ich lebe", verkündet die Dichterin Jeannie Billroth das eigene Scheitern im Streben nach der "Virginia Woolf-Nachfolge" unfreiwillig als Party-Bonmot. Um beinahe drei Uhr früh (im Stück, in Echtzeit glücklicherweise vier Stunden früher) ist der Plattensee-Fogosch endlich verspeist und niemand mehr so recht bei Sinnen. Es wird ruppig. Die Gesellschaft geht auseinander. Der Dichter versucht, den Abend versöhnlich ausklingen zu lassen. "Thomas, schreibe nicht darüber!", fleht die Gastgeberin. Zu spät. Er hasst sich jetzt bereits dafür, gute Miene zum bösen Spiel gemacht zu haben. Das will gerächt sein. Am Ende gab es viel Applaus, nicht nur vom Publikum für Schauspieler und Team, auch von den Darstellern für ihren Regisseur. Also doch ein versöhnliches Ende. Und kein übles Geschenk zum 25. Todestag.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

Info
"Holzfällen" nach dem Roman von Thomas Bernhard in einer Bühnenfassung von Krystian Lupa, Regie und Bühne: Krystian Lupa, Kostüme: Piotr Skiba. Schauspielhaus Graz, Nächste Vorstellungen: 14., 15., 29.1., Karten: 0316 / 8000, www.schauspielhaus-graz.com



 
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