"Sweeney Todd"
Volksoper als Maschinenraum des Grauens
15.09.2013
Serienmörder-Musical von Sondheim in gelungen-blutiger Umsetzung umjubelt.
In der Wiener Volksoper hat sich am Samstagabend ein Blutbad abgespielt - und für Begeisterung beim Publikum gesorgt: Stephen Sondheims Musicalklassiker "Sweeney Todd" über den gleichnamigen Serienmörder präsentierte sich in der Regie von Matthias Davids als das Gegenteil von blutleerer Einheitskost. Mit grandiosem Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau und glänzend disponiertem Orchester wurde der eindeutige Beweis erbracht, dass es sich bei dem 1979 uraufgeführtem Stück um eines der interessantesten Werke seines Genres handelt. Und doch war die Auswahl des Sondheim-Musicals keine sichere (Blut-)Bank für die Volksoper, sind die Werke des 83-Jährigen doch hierzulande weit weniger bekannt als in den USA. Immerhin hatte die Volksoper 2011 mit "Die spinnen, die Römer" erstmals Sondheim auf dem Spielplan.
Exzellentes Bühnenbild
Fischer-Dieskau positioniert das Geschehen inmitten eines überdimensionalen Maschinenraums. Wenn sich dessen Zahnräder in Bewegung setzen, bieten sie stets neue Spielflächen für das Geschehen um den zu Unrecht verurteilten Barbier Sweeney Todd, der nach 15 Jahren des Exils ins London des 19. Jahrhunderts zurückkehrt und an denen Rache nimmt, die ihn in die Verbannung sandten und seine Frau vergewaltigten. Das Räderwerk der Vernichtung setzt sich hier unaufhaltsam in Gang und rekurriert zugleich auf das industrialisierungskritische Klassendrama, das sich hinter der vordergründigen Geschichte verbirgt.
Das schwarz-rot gehaltene Bühnenbild stellt somit das perfekte Äquivalent zum von Sondheim als "schwarze Operette" titulierten Stück dar, das nichts von der Süßlichkeit vieler Broadway-Musicals besitzt. Die Orgel dient immer wieder als ironisches Zitat der Horrorfilme der 1930er Jahre, während Sondheim zwischen wenigen sanften Balladen und vielen dissonanzgespickten Schauerarien changiert und dabei mit Kontrapunkt sowie Leitmotiven arbeitet.
Stimmige Leistungen der Darsteller
Auch der dänische Bariton Morten Frank Larsen unterstrich mit seiner geschulten Stimme die Nähe des nahezu durchkomponierten "Sweeney Todd" zum Operngenre samt durchaus komplexer Partien, die Larsen mühelos bewältigte, während er im Spiel hölzern blieb. Zum Publikumsliebling mauserte sich Dagmar Hellberg als Todds Komplizin Mrs. Lovett, welche die Mordopfer zu Pastete verarbeitet. Teils in der Höhe stark gefordert, bezirzte die Aktrice in der detailverliebten Regie von Matthias Davids nicht nur den mörderischen Barbier mit Humor, sondern auch das Auditorium - und darf dafür am Ende durch Kehlenschnitt sterben und nicht lebendig im Ofen verbrennen, wie in der Vorlage. Ungeachtet der stimmigen Leistungen sind die Hauptrollen allerdings etwas zu alt besetz: Blutjung sind beide nicht mehr.
Anders hingegen der junge Tom Schimon als Jüngling Toby, der stimmlich eine der besten Leistungen des Abends ablieferte, während sich Volksopern-Intendant Robert Meyer als diabolischer Richter Turpin mit vollem Körpereinsatz ins Zeug legte. Einzig beim Chor haperte es immer wieder an der Textverständlichkeit. Sollte es angesichts des gelungenen Abends tatsächlich noch Skeptiker gegeben haben, wurden diese spätestens am Ausgang milde gestimmt, gab es doch für jeden Premierengast ein Glas Pastete - und "Sweeney Todd's Sauce Cumberland".