Die Wiener Volksoper
sinniert über das Theater: In einer ungewöhnlichen Doppelpremiere hat sich das Haus am Gürtel mit "Das Wundertheater" von Hans Werner Henze und dem Verismo-Klassiker "Der Bajazzo" von Ruggero Leoncavallo auf eine Reflexionsreise über die Kraft der Imagination und die Wirkmacht des Spiels begeben. Am Ende steht ein geglücktes künstlerisches Experiment, das vom Publikum mehrheitlich goutiert wurde.
Märchenhaft Den Auftakt des Abends machte Henzes in dieser Fassung 1965 uraufgeführtes Werk, welches das Märchen "Des Kaisers neue Kleider" für die Theaterwelt adaptiert. Theaterdirektor Chanfalla (dämonisch-gut Jörg Schneider) und seine Assistentin Chirinos (die stimmlich wie optisch an Patricia Petibon gemahnende Martina Dorak) täuschen eine Dorfgesellschaft mit der Ansage, dass nur wahre Christen oder einer Ehe Entstammende das Geschehen auf der Bühne sehen könnten. Folglich vermeint das Publikum allmögliche Geschehnisse auf der Bühne zu entdecken, um sich selbst keine Blöße zu geben.
Abstrakt, doch zeitlos Überraschend frisch wirkt dabei Henzes selten gespielter zirzenischer Zitatenschatz, der vom Bühnenorchester der Staatsoper zwischen Strawinsky, Prokofjew und Zwölftonmusik interpretiert wird. Thomas Schulte-Michels wählte als Regisseur und Bühnenbildner beider Inszenierungen ein abstrahiertes, über vier Ebenen gestaffeltes Auditorium, dass die Zuschauer der Volksoper frontal konfrontiert. Wie die Hühner auf der Stange ist das Ensemble in harten Rot-Weiß-Kontrasten angeordnet, wobei die Choreuten durch Strumpfmasken samt schräger Haarbüschel unkenntlich gemacht und die Solisten als archetypische Puppen gezeichnet sind. Eine allumfassend zeitlose Interpretation des Selbstbespiegelungsspiels gemäß Henzes Ort- und Zeitangabe "Überall und jederzeit", aus dessen Stringenz einzig die Degradierung eines Soldaten aus dem Libretto zum österreichischen Polizisten heraus sticht.
Inszenierter Zuschauerraum Nach der Pause bestritt "Der Bajazzo" die zweite Hälfte des Abends, ausnahmsweise einmal nicht in Kombination mit der "Cavalleria Rusticana". Dabei offenbarte sich erneut das Phänomen, dass sich die Wiener Opernhäuser derzeit gerne selbst bespiegeln. Wie Christian Schmidt in der aktuellen "Tannhäuser"-Inszenierung der Staatsoper deren originalgetreues Pausenfoyer auf die Bühne stellt, hat sich Schulte-Michels in der Volksoper für deren Zuschauerraum entschieden. Analog zur minimalisierten Szenerie des "Wundertheaters" ermöglichen auch hier die gedoppelten Bühnenränge das parallele Agieren in der Vertikalen.
Überzeugende Darbietung Als Nedda im fahrenden, in Liebeswirren zwischen Bühne und Leben verstrickten Schauspielerensemble überzeugte Melba Ramos als mediterrane Matrone in spe mit fülligem Sopran, während sich Ray M. Wade Jr. bei seinem Hausdebüt als leidender Bajazzo mit schauspielerisch berührenden Momenten auszeichnete. Einzig für Morten Frank Larsen erwies sich die Rolle des Antagonisten Tonio als zu hoch und zu tief gleichermaßen, wofür der dänische Bariton letztlich mit einigen Buhrufen bedacht wurde. Insgesamt wurde der Abend des Spiels im Spiel mit langem, wenn auch nicht euphorischem Applaus quittiert.
Info: Weitere Aufführungen am 5., 13., 15., 18., 22. und 25. April. Karten unter 01/5131513 oder http://www.volksoper.at
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