Regisseure Caurier und Leiser plaudern über Neuproduktion im Haus am Ring.
Die Wiener Staatsoper bringt eine neue "Zauberflöte" heraus. Am kommenden Sonntag (17. November) feiert im Haus am Ring die mit Spannung erwartete Neuproduktion der österreichischen Lieblingsoper Premiere, mit Melodien, die "jeder Wiener schon im Mutterbauch gehört hat", wie sich das französisch-belgische Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier im APA-Interview bewusst ist. Darüber hinaus erzählen die Opern-Routiniers, die seit mehr als 30 Jahren zusammen leben und arbeiten, wie sie sich gegenseitig vor Narzissmus schützen und warum der Zauber der "Zauberflöte" tatsächlich von der Flöte kommt.
Hier das gesamte Interview zur großen "Zauberflöte"-Premiere
APA: Die "Zauberflöte" ist ein bisschen wie der heilige Gral der österreichischen Oper. Sie haben das Stück schon mehrmals inszeniert - ist es anders in Wien?
Patrice Caurier: Im Prozess nicht, da machen wir einfach unsere Arbeit. Aber natürlich konfrontieren wir hier eine andere Öffentlichkeit, das ist uns bewusst. Es ist gut, dass wir es schon gemacht haben, man wächst mit dem Stück. Wir kennen es besser und wissen genauer, wie es funktioniert. Dafür steigen aber auch die eigenen Ansprüche.
Moshe Leiser: Jeder Wiener hat diese Melodien schon im Mutterbauch gehört (lacht.) Jetzt geht es darum, sich davon immer wieder neu verzaubern zu lassen. Denn es ist wie bei vielen Opern: Wir kennen sie, ohne sie wirklich zu kennen.
APA: Die Oper ist voller Magie - bleiben Sie in der Dimension des Fantastischen oder holen Sie die Handlung in eine Form von Realität?
Caurier: Wir bleiben im Reich des Märchens - es ist wichtig, denn es geht darum, als Zuschauer wieder ein Stück weit Kind zu sein: Man muss dieser Oper mit einer offenen Seele begegnen und bereit sein, an dieses Märchen zu glauben und daran, was es uns über das Menschsein erzählt. Es ist eine Reise von Jugendlichen, die von einer Welt der Leidenschaft und der Instinkte - repräsentiert durch die Königin der Nacht - in eine Welt der Vernunft, des Allgemeinwohls und des guten Zusammenlebens gehen. Auch diese Welt ist nicht ideal. Es geht um das Erwachsenwerden.
Leiser: Die Zauberflöte sagt: Das Leben ist schwer und voller Prüfungen, wir verlieren die Unschuld und die Leidenschaft der Jugend, aber was uns hilft, ist zu wissen, dass es die Musik gibt. Wir verstehen es nicht, aber wir fühlen es und es trägt uns. Es geht um Musik. Es geht um die kleine Flöte.
APA: Die kleine Flöte statt des großen Opern-Dramas - warum ist diese Oper so beliebt?
Leiser: Weil es keine Oper ist! Es ist ein Singspiel. Es war eine unglaubliche Zusammenarbeit: Schikaneder, der den Hauptteil gemacht hat, suchte einfach einen guten Komponisten, der ihm damit hilft. Wir haben das Glück gehabt, dass dieser Komponist ein absolutes Genie war. Aber die Wahrheit ist, dass das Stück nie als Oper gesehen wurde. Die Freude des sterbenden Mozarts war das einfache Theater, der Genuss, das Glockenspiel zu spielen und eine Geschichte zu erzählen, die ein Märchen ist und uns auf so einfache Weise so vieles zu sagen hat. Es ist so genial komponiert, jede Artikulation ist richtig, die Wörter sind brillant, die Geschichte ist fantastisch. Es ist so viel Enthusiasmus in dem Stück, so viel Liebe für das Leben und für die Musik.
Caurier: Außerdem identifiziert man sich sehr stark mit den Charakteren. Papageno und Tamino funktionieren wie zwei Seiten von jedem von uns. Jeder kennt es doch, dass man sich nobel und erhaben fühlt und kämpferisch und stark für das eintreten will, woran man glaubt. Jeder kennt es aber auch, sagen zu wollen, das passt schon, gehen wir doch lieber auf ein Bier!
Leiser: Was das große Drama angeht: Da sind wir Geiseln der Ästhetik des 19. Jahrhunderts, wo Oper schwer und gewichtig und stimmgewaltig sein musste. Auch Mozart hat darunter sehr gelitten, weil die Leute begonnen haben, ihn zu singen wie Puccini oder Verdi. Das ist schade, denn die Erwartungen des Publikums wurden damit korrumpiert. Man muss bedenken: Die Pamina, für die es geschrieben wurde, war 17 Jahre alt - sie war keine Brünnhilde! Und Papageno war kein Bariton, sondern ein Schauspieler, nämlich Schikaneder selbst.
APA: Es gab in Ihrer Produktion kurzfristig mehrere Umbesetzungen - warum?
Caurier: Anita Hartig wurde krank und nachdem sie mehr als eine Woche bei den Proben gefehlt hat, mussten wir sagen: Das geht sich nicht mehr aus, da wird es gefährlich für die Produktion. Und schließlich ist das ja das Privileg eines großen Hauses mit Ensemble: Da gibt es andere, die es später sowieso gemacht hätten.
APA: Sie arbeiten zum ersten Mal mit Christoph Eschenbach...
Caurier: Es ist großartig! Man weiß ja im Vorhinein wirklich nicht, wie das funktionieren wird, darum sind wir sehr glücklich. Er liebt das Theater, er hört zu und er hat ein wirkliches Gespür dafür, wer die Leute sind und was sie anzubieten haben - daran passt er sich an. Er ist einer, der zusammenarbeitet. Das ist wirklich nicht immer der Fall.
APA: Sie beide leben und arbeiten nun seit mehr als 30 Jahren zusammen. Sind Ihre bisher mehr als 100 Produktionen das Ergebnis eines fortlaufenden Dialogs?
Caurier: Wir diskutieren. Es ist nie still, sondern immer im Austausch. Aber es beginnt immer mit einem gemeinsamen Verständnis dafür, was unsere Arbeit ausmacht, was unsere Ethik ist.
Leiser: Es gibt zwei Arten, Opernregie zu begegnen. Die einen Regisseure denken, es geht um sie selbst. Die Produktion ist dann ein narzisstisches Projekt, das sich um "mein Werk" dreht. Die anderen gehen davon aus, dass eine Opernproduktion eine Teamarbeit ist, die versucht, im Dienste des Stücks zu arbeiten und es so treu wie möglich an ein heutiges Publikum zu vermitteln. Die Frage ist in diesem Business immer, dient man einer Karriere, oder dient man einer Kunstform?
Caurier: Unsere Partnerschaft schützt und da ein bisschen von dem Narzissmus (lacht). Es ist einfach schwierig, ein Egomane zu werden, wenn man zu zweit ist.
APA: Was waren die wichtigsten Lektionen, die Sie voneinander gelernt haben?
Leiser: Ich habe gelernt, dass da, wo ich mit Feuer und Leidenschaft stundenlange Vorträge halte, manchmal Patrice zu einem Sänger kommt und dasselbe in drei Worten wesentlich effektiver sagen kann.
Caurier: Ich kann das nicht beantworten – weil ich Leben und Arbeit nicht trennen kann. In vielen Dingen hat man sich über die Jahre angenähert. Die Oper ist wahrscheinlich der Bereich, wo wir schon immer den ähnlichsten Geschmack und die ähnlichste Perspektive hatten.
Leiser: Als wir entschieden zu haben, zusammen zu leben und zu arbeiten, hat das bedeutet, alles zu teilen. Das ist eine völlige Hingabe - und Gott sei Dank lernen wir immer noch voneinander.
(Das Gespräch führte Maria Scholl/APA)
Info
"Die Zauberflöte" von Wolfgang Amadeus Mozart, Regie: Patrice Caurier und Moshe Leiser, Dirigent: Christoph Eschenbach, mit Chen Reiss, Benjamin Bruns, Brindley Sherratt, Olga Pudova, Markus Werba. Premiere am 17. November, 19 Uhr, weitere Vorstellungen 2013: 20., 24., 27., 30. 11. und 2.12.; www.wiener-staatsoper.at
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