Gebürtiger Linzer spielte an den wichtigsten deutschsprachigen Bühnen.
Der große österreichische Schauspieler Walter Schmidinger ist in der Nacht auf Samstag (28. September) im Alter von 80 Jahren an einer Lungenentzündung gestorben. "Walter Schmidinger hat eine große Theaterepoche erlebt und mitgestaltet. Er hat große Erfolge und große Misserfolge erlebt, wie er selbst von sich erzählte – aber immer war es außerordentlich, ja auch sensationell. Mit seiner Stimme, mit seinem Sprachgefühl und mit seiner Sprechkunst war er einzigartig", hieß es am 29. September in einer Pressemitteilung des Berliner Ensembles, dessen Mitglied der gebürtige Linzer seit dem Jahr 2003 gewesen war. Der "Meister der leisen Töne" hatte im Laufe seiner Karriere nahezu sämtliche große Rollen an den wichtigsten deutschsprachigen Bühnen verkörpert, darunter Hamlet, Lear, Nathan, Malvolio, Shylock und Tartuffe. 2006 wurde er mit dem "Nestroy"-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Großer Charakterdarsteller
Als einen "großen verrückten Geistesclown im Reigen der Bernhard'schen Bühnenkünstler" hatte BE-Intendant Claus Peymann Schmidinger zu dessen 80. Geburtstag am 28. April gewürdigt. Er sei "Alpenkönig und Menschenfeind zugleich, musikalisch und böse, intelligent und naiv, ein Wirrkopf und großer Denker, blitzgescheit, belesen und hochgebildet, ein schwieriger Mann und ein geliebtes Kind, ein Verrückter und wie Thomas Bernhard natürlich ein echter Österreicher, der alle und alles hasst und dennoch von allen geliebt werden möchte. Auf der Bühne ist er ein Theaterfabeltier, das die Stücke weiterdichtet." Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) würdigte Schmidinger heute in einer ersten Reaktion als "einen großen Charakterdarsteller": "Schmidingers Spiel war in seinen vielen Rollen immer eindrücklich. Seine Schauspielkunst prägte die Inszenierungen." Die Theaterstadt Berlin müsse nach Otto Sander nun auch mit dem Tod Schmidingers innerhalb kurzer Zeit einen schweren Verlust hinnehmen.
Vom Verkäufer zum Theater-Star
Schmidinger wurde am 28. April 1933 in Linz geboren. Er arbeitete zunächst als Verkäufer und Dekorateur in einem Tuchwarengeschäft und spielte nebenbei an der Volkshochschule in einer Laientheatergruppe. Sein Talent fiel auf, und er bekam ein Stipendium für das Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Von dort wurde der Schüler Helene Thimigs ans Theater in der Josefstadt engagiert. 1954 ging er nach Bonn und danach ans Düsseldorfer Schauspielhaus. Als weitere Stationen seiner Bühnenkarriere folgten die Münchner Kammerspiele, die Schaubühne Berlin, das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg und Auftritte bei den Salzburger Festspielen und am Wiener Burgtheater.
Bei großen Rollen zu Hause
Zu Schmidingers Repertoire gehörten die gebrochenen Seelen, die zerrissenen Charaktere, die Narren und die Liebenden. Große Erfolge feierte der Schauspieler, dem Werktreue wichtiger war als "die Sucht am Theater, um jeden Preis zu gefallen", als Weinberl in Nestroys "Einen Jux will er sich machen", als Malvolio in Shakespeares "Was ihr wollt", als Leonce in Büchners "Leonce und Lena" oder als Salieri in Peter Shaffers "Amadeus". Vom Münchner Residenztheater verabschiedete sich Schmidinger 1984 unter großem Applaus in der Rolle des Shylock in Shakespeares "Kaufmann von Venedig". 1985 wechselte er von München nach Berlin, wo der Schauspieler bis 1993 am Schillertheater u.a. in den Titelrollen von Lessings "Nathan der Weise", Hofmannsthals "Der Unbestechliche" oder Shakespeares "König Lear" auf der Bühne stand. Für seine Darstellung des "eingebildetsten Kranken aller Zeiten" in der Uraufführung von Thomas Bernhards "Elisabeth II" erhielt Schmidinger, der offen über seine eigene manisch-depressive Erkrankung sprach, grandiose Kritiken. Nach der Schließung des Schillertheaters Ende 1993 ging er 1995 trotz zahlreicher Angebote aus Wien an Thomas Langhoffs Deutsches Theater Berlin.
Auch als Regisseur tätig
Schmidinger, der als Schauspieler mit Regisseuren wie Peter Zadek, Klaus Michael Grüber, Robert Wilson, Luc Bondy und Ingmar Bergman zusammenarbeitete, hat auch selbst inszeniert. In Österreich, wo seine Auftritte eher selten waren, führte er 1995 am Wiener Volkstheater bei Ibsens "Hedda Gabler" Regie. Auf der Bühne war er 1996 in Klaus Maria Brandauers Lehar-Inszenierung "Land des Lächelns" und 2002 in dessen "Hamlet"-Inszenierung am Burgtheater zu sehen. Bei den Salzburger Festspielen spielte er an der Seite von Helmuth Lohner und Otto Schenk in der Regie von Peter Stein in Raimunds "Alpenkönig und Menschenfeind". Weiters war er in Klaus Maria Brandauers Berliner Inszenierung der "Dreigroschenoper" in der Rolle des Pastors Kimball zu sehen.
Schmidinger glänzte ebenfalls im TV
Seit Anfang der 70er-Jahre spielte Schmidinger auch immer wieder im Fernsehen. Im Kino begann seine Karriere 1973 mit einer kleinen Nebenrolle in Maximilian Schells "Der Fußgänger". Es folgten eine Vielzahl von Filmrollen, bei denen er u.a. mit Ingmar Bergman, Peter Schamoni und Istvan Szabo zusammenarbeitete. 2003 erschien im Alexander Verlag Berlin das Buch "Angst vor dem Glück", in dem Walter Schmidinger in Gesprächen mit Stephan Suschke über sein Leben, seine Theaterarbeit und seine Auffassung von Theater erzählte. 2006 drehte Andrea Eckert einen Porträtfilm über ihn. Sein Titel: "... Mit den Zugvögeln fort..."