Interview
Welser-Möst: "Europas Werte sind in Gefahr"
25.11.2011
Janácek-Premiere: Heute lädt Franz Welser-Möst zur Staatsopern-Matinee.
Am 11. Dezember hat Leos Janaceks Aus einem Totenhaus Premiere. Schon heute startet der Generalmusikdirektor aus diesem Anlass mit seiner Matineen-Reihe Positionslichter.
ÖSTERREICH: Janacek liegt Ihnen besonders am Herzen. Weshalb?
Franz Welser-Möst: Weil das ganz großartige Musik ist, die noch dazu in unserem Kulturraum zuhause ist. Jeder rühmt sich, dass er eine böhmische Großmutter hat, also sollten wir auch Janaceks Opern hören.
ÖSTERREICH: "Aus einem Totenhaus" erzählt eine schlimme Geschichte: Zwangslager, menschliches Elend... Was ist das Reizvolle daran?
Welser-Möst: Janacek erzählt uns hier anhand von Einzelschicksalen, weshalb die Personen in dieses Lager gekommen sind. Wen sie umgebracht haben, was sie dazu gebracht hat, jemanden umzubringen... Der Komponist erzählt uns viel mehr über die menschliche Natur, und zwar über deren dunkle Seite. Janacek ist der Sigmund Freud der Oper.
ÖSTERREICH: Mit Peter Konwitschny haben Sie einen der genialsten Regisseure. Wie ist die Zusammenarbeit?
Welser-Möst: Konwitschny ist ein kompromissloser Mensch - aber das habe ich mir für dieses Stück auch gewünscht. "Aus einem Totenhaus" ist kein Stück zum Zurücklehnen für einen netten Opernabend. Das muss unter die Haut gehen.
ÖSTERREICH: Da Sie als Chefdirigent des Cleveland Orchestra auch viel in den USA sind, haben Sie einen guten Überblick über Europa. Wie sehen Sie die Zukunft der EU?
Welser-Möst: Europa schlingert. Und zwar nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Was mir Sorgen macht, ist, dass Grundwerte, die Europa ausmachen - wie etwa Solidarität - zwar bei den Sonntagspredigten ausgepackt, aber nicht gelebt werden. Und bezüglich Ungarns, wo demokratische Werte gefährdet sind, hat sich die EU als zahnlos erwiesen. Wir sind wieder dabei, große Mauern in unseren Köpfen zu errichten.
ÖSTERREICH: Und die USA?
Welser-Möst: Da ist es leider ähnlich. Die USA sind ein Land, das traditionell auf dem Fundament der Einwanderung aufgebaut ist. Und jetzt hat man eine riesige "Mauer" - einen Zaun - gegen Mexiko gebaut und redet permanent darüber, wie man ihn absolut dicht machen kann. Auch da werden westliche Grundwerte gröblich verletzt.
ÖSTERREICH: Heuer dirigieren Sie zwar nicht das Neujahrskonzert, dafür aber zu Silvester "Die Fledermaus" in Otto Schenks Inszenierung...
Welser-Möst: ...und da wird "Arte" live den 2. Akt übertragen. Am 1. Jänner überträgt "Arte" das Neujahrskonzert, später wird die gesamte "Fledermaus" im japanischen und französischen TV gezeigt. Wien wird in der Welt so präsent sein wie selten! Übrigens übertragen wir zu Silvester "Die Fledermaus" auch auf den Karajan-Platz.
Christoph Hirschmann