Wiener Festwochen

"Makulatur" feierte Uraufführung

04.06.2012

Paulus Hochgatterer wurde für seine Inszenierung im Schauspielhaus umjubelt.

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© APA/ALEXI PELEKANOS/SCHAUSPIELHAUS
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Paulus Hochgatterer ist kein Chirurg. Vielleicht ist das auch gut so. Erstens, weil er als Kinderpsychiater ohnedies vom Schicksal auf den richtigen Platz gestellt zu sein scheint. Zweitens, weil man ihm nicht die nötige Brutalität zutrauen möchte, an andere Menschen im Wortsinne einschneidende Eingriffe vorzunehmen. Als Autor geht er es beherzter heran, wenn es der Sache dienlich ist. In seinem Stück "Makulatur" schneidet er tief ins Fleisch einer kranken Gesellschaft und fertigt Schnittpräparate an, über die sich jeder sein Urteil bilden kann: Gutartig oder bösartig? Heilbar oder unheilbar? Am 3. Juni wurde die Festwochen-Koproduktion im Schauspielhaus Wien uraufgeführt.



Von Chirurgen und abgetrennten Körperteilen
Auch Jablonski, eine der am Wiener Schwedenplatz versammelten vieldeutigen Figuren des Stückes, ist Chirurg. Kein gewöhnlicher freilich, denn er findet seine Patienten im öffentlichen Raum, operiert im Verborgenen und schneidet Körperteile ganz nach Wunsch ab, ohne Vorliegen einer medizinischen Indikation. Eine einarmige Trafikantin scheint bereits unter sein Messer gekommen zu sein, eine 16-Jährige mit Beinschmerzen und Persönlichkeitsproblemen könnte die nächste Patientin werden, möglicherweise auch ihr Vater, ein auf den Bau von Kellern spezialisierter Architekt.

Chirurg mit gefälschtem Maturazeugnis

Dabei kommen einem im Laufe des Abends ernste Zweifel, ob der Chirurg überhaupt ein echter Chirurg ist - sein Maturazeugnis hat er sich jedenfalls selbst ausgestellt. Überhaupt wird der Glaube an Autoritäten ziemlich untergraben. Auf der Polizeiwachstube, wo man auf Monitoren den ganzen Platz beobachten kann, dominieren eigene Probleme: Ein Polizist wird von ständiger Parkplatzsuche in den Wahnsinn getrieben und atmet befreit auf, wenn anderswo Menschen umkommen und dadurch Platz machen, eine Polizistin leidet darunter, dass ihre Dienstwaffe von ihrer Hüfte absteht. Eine Lehrerin ist ständig knapp vor dem Ausrasten -  besonders aber beim Korrigieren von Maturaarbeiten. Jeder hat zumindest zwei Seiten und einen Defekt, die Frage ist nur, wie groß er ist und wie gut er sich kaschieren lässt.

Zwei komische Seiten des Stücks
Barbara-David Brüesch lässt in der praktikablen, podestartig ansteigenden und mit fünf Monitoren versehenen Bühne von Damian Hitz die Figuren immer wieder kleine Auszucker haben - Momente, in denen sich latente Gewalt oder unausgelebtes Begehren entlädt, Übersprungshandlungen, in denen das Stück auch seine komischen Seiten zeigen darf. Bei der Gestaltung der Zwischenschnitte beweist die Regisseurin Gespür für Atmosphäre, intime Zweierszenen, in denen sich aus dem Nichts Spannung aufbaut, gelingen ihr ganz besonders gut. Das Ende hingegen, die dreifache Variation einer Situation, in der sich die Schülerin zum entscheidenden Einschnitt ihres Lebens vortastet, scheint nicht der Weisheit letzter Schluss.

Schauspielhaus-Ensemble voller Erfolg

Einmal mehr zeigt sich das Schauspielhaus-Ensemble, diesmal ergänzt mit Christoph Rothenbuchner vom Grazer Schauspielhaus als Polizist und der jungen Nikola Rudle als Schülerin, mit allen Wasser gewaschen. Steffen Höld glänzt als undurchsichtiger Jablonski, der versucht, "aus der Zeit zu fallen", und mit seinem Messer Menschenfleisch und Wurstsemmeln schneidet, Max Mayer und Barbara Horvath geben ein großartig im Ehekleinkrieg aufgeriebenes Paar, ständig knapp vor der Explosion, Katja Jung als Trafikantin und Franziska Hackl als Polizistin zeigen aufblühende Neurosen, Menschen, denen erst etwas weggeschnitten werden muss, um sich komplett zu fühlen.

Am Ende lebhafter Zuspruch
Am Ende dieser Premiere gab es lebhaften Zuspruch, auch für den Autor, der nach zwei halben ("Ganymed Boarding" und "Der Kopf") und zwei ganzen (nach "Casanova - Giacomo brennt" in Melk) Stücken auf dem Weg ist, sich vom selbst ernannten Jungdramatiker zum Routinier zu entwickeln, der den Theatern sprachlich wie dramaturgisch spannende Herausforderungen zu stellen imstande ist. Mit der Titelfindung happert es allerdings noch. "Makulatur" ist allzu weit hergeholt, zu kopflastig. "Was wäre eine wirklich radikale Operation?" fragt die Schülerin einmal den Chirurgen. "Kopf abschneiden, das wäre eine wirklich arge Operation."

 (Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
 

Info
Paulus Hochgatterers  "Makulatur" wird noch vom 5. bis 10. Juni in Schauspielhaus in Wien aufgeführt.  Alle Informationen zum Theaterstück erhalten Sie unter www.festwochen.at.


 
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