"Metaphern der Sterblichkeit" als "Ausschnitt" aus einem größeren Projekt.
Mit seiner poetischen, politischen, multimedialen Installation "The Refusal of Time" war William Kentridge einer der Protagonisten der vergangenen documenta in Kassel. Die dazugehörige Performance - eine Mischung aus Film, Tanz und Oper, mit dem Titel "Refuse the Hour" - ist nach einer kleinen Tour durch die Welt am 1. August bei ImPulsTanz im Wiener Volkstheater zu sehen. Im APA-Interview sprach der südafrikanische Künstler über die Gemeinsamkeit von Animation und Choreografie, die Zeit als koloniales Machtinstrument und seinen per Ranking bestätigten Status als einer der wichtigsten Künstler unserer Zeit.
Hier das Interview mit dem Künstler
APA: Die Installation "The Refusal of Time" war Teil der documenta in Kassel, das dazugehörige Stück "Refuse the Hour" tourt durch die Welt. In welcher Beziehung stehen die beiden Arbeiten?
William Kentridge: Sie sind Cousins. Zuerst war es ein Projekt, es sollte eine Mischung aus Installation und Performance sein, die deutsche Kunststudenten über die drei Sommermonate in Kassel spielen sollten. Dann haben wir gemerkt, dass sowohl ich als auch die südafrikanischen Musiker immer dabei sein müssten. Also haben wir es getrennt. "Refusal of Time" ist der Name des ganzen Projekts. Das Stück "Refuse the Hour" ist ein kurzer Ausschnitt, es dauert ja nur etwas mehr als eine Stunde. Eigentlich müsste es "Refuse the 90 Minutes" heißen.
APA: Von Zeichnung bis Film, von Skulptur bis Oper wird ihr Name mit einer langen Reihe von Kunstformen in Verbindung gebracht. Mit Tanz bisher aber nicht, oder?
Kentridge: Das ist ja auch ein guter Grund, Tanz zu machen! (lacht). Ich habe tatsächlich schon einmal bei einem Tanzfestival teilgenommen, in der Türkei und einen Vortrag gehalten, wie man Stücke macht. Diesmal geht es wirklich um Tanz - um meine Zusammenarbeit mit Dada Masilo und die Frage, wie ein bildender Künstler und eine Tänzerin kollaborieren können.
APA: Wie ist ihre eigene Beziehung zum Tanz?
Kentridge: Ich tanze gern, bewege mich in einer Disco herum, wo keiner zuschaut und niemand erwartet, dass man richtig zählen kann (lacht). Ich bin sehr interessiert an der Bedeutung des Körpers in Bewegung - auch als Zeichner. Die Beziehung von einem Körper und einem Stück Papier, wie die Bewegung von der Schulter hintunter zu den Fingergelenken führt. Es interessiert mich, was die Bewegung, das Herumgehen im Studio leistet für das Generieren von Gedanken. Vor allem aber ist die Animation sehr eng mit dem Tanz verwandt. Bewegungen werden in ihre konstituierenden Teile aufgesplittet, durchnummeriert, genau analysiert. Film im Allgemeinen und Animationsfilm ganz besonders gehen von dem Grundsatz aus, die Welt als Prozess zu verstehen und nicht als Fakt. Das ist beim Tanz sehr ähnlich.
APA: Tanzen Sie im Stück?
Kentridge: Dazu fehlt mir die körperliche Ausstattung (lacht). Als ich angefangen habe, mit Dada zu arbeiten, haben wir ein paar Übungen gemacht. Ich habe meinen Arm gehoben und sie ihr Bein in die gleiche Höhe. Ich habe eine Pirouette gemacht mit meinem Finger - und sie mit dem ganzen Körper. Ich habe, was ich gesagt habe, durch Gesten untermalt und sie hat aus der Übertreibung dieser Gesten einen Tanz gemacht.
APA: Die Frage der Zeit ist in Ihrem Stück auch eine Frage der Sterblichkeit... war das der Ausgangspunkt, ein so körperbetontes Projekt zu machen?
Kentridge: Das kam später. Begonnen hat das Projekt mit einem wissenschaftlichen Gespräch zwischen mir und dem Wissenschaftshistoriker und Physiker Peter Galison. In der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern wurden dann immer mehr Metaphern der Sterblichkeit daraus. Etwa das schwarze Loch - es steht für das Ende des Kosmos, aber es klingt doch auch wie der Titel eines Grabes, wo der Mensch oder eben alles Lebendige in sich aufgenommen wird. Meine Werke beginnen meist mit dem Wunsch, mit jemandem zu arbeiten. Dann kommt der mögliche Rahmen dazu - in diesem Fall die documenta - und aus dieser Konstellation entwickle ich mit allen Beteiligten und auf vielen Seitenwegen schließlich die endgültige Form.
APA: "The Refusal of Time" klingt wie ein Pamphlet gegen die Sterblichkeit.
Kentridge: Wir leben in dieser Verweigerung. Jeder kann sagen, "Ich weiß, dass ich sterben werde" und es auch wissen - und wird dennoch so leben müssen, als wüsste er es nicht. Sonst wird alles in unserem Leben sehr schnell sehr bedeutungslos.
APA: Sie haben die Zeit auch als koloniale Idee bezeichnet...
Kentridge: Auch das ist ein Element. Die Zeitzonen sind eine organisatorische Notwendigkeit, die aber eigentlich nur 130 Jahre alt ist. Man benötigt sie nur, weil man schnell in der Welt herumreisen kann, es ist ein Faktor der Globalisierung. Gleichzeitig hängt ihnen immer noch das Echo ihres ursprünglichen Zweckes an: des globalen Handels, der von Europa aus betrieben wurde. Eine Regel, die der Welt aufgrund europäischer Bedürfnisse auferlegt wurde, ein Symbol für die vielen asymmetrischen Entscheidungen darüber, wie die Welt zu sein hat.
APA: Ist das Verweigern dieser Zeit eine postkoloniale Option?
Kentridge: Nein, keine Option, es ist eine utopische Idee. Zu denken, dass man die Zeit vermeiden kann, wäre eine romantische Zurück-zur-Natur-Nostalgie.
APA: Im heurigen Kunstkompass werden Sie als einer der zehn einflussreichsten Künstler genannt...
Kentridge: Wirklich? Das wusste ich nicht. Da wird man also gerankt wie ein Golfer. Wie viele Wochen kann ich diese Position wohl halten? Ich bin froh unter den Top 10 zu sein und nicht unter den Top drei - da kann man nur noch abrutschen (lacht). Im Ernst, natürlich gibt es einen Teil von mir, dem es gefällt, bemerkt und nicht ignoriert zu werden. Jeder Künstler hat in sich wohl das Bedürfnis, dauernd zu rufen: "Schau mich an! Schau mich an! Schau mich an!" Da ist offenbar eine psychische Lücke, die einen dazu antreibt, sein Leben lang Objekte zu erschaffen, die man anderen Leuten zum Anschauen geben kann. Eine freundliche Zeitungskritik fühlt sich dann gut an - aber sie füllt diese Lücke nicht. Sonst könnte man ja aufhören zu produzieren - was vielleicht eine Erleichterung wäre!
APA: Sie haben das aber nicht vor...
Kentridge: Ich habe noch mehr Ideen, als Zeit sie zu verwirklichen. Und ein tiefes Bedürfnis nach dem Trost und dem zu Hause meines Studios.
APA: Treiben Sie noch dieselben Fragen um, wie zu Beginn ihrer Laufbahn?
Kentridge: Nein, die Fragen der letzten zwölf Jahre drehten sich darum, was im Studio passiert, als Box, in der man Metaphern austesten kann. Begonnen habe ich mit der Frage, wie man Künstler sein kann in einer überhitzten politischen Situation, wie man die Kunst aus ihren Traditionen befreien kann. Was mich damals wie heute interessiert, ist die Geschichte des Bildermachens und die Möglichkeiten des Künstler-seins. Ich versuche immer noch, der Gesellschaft, in der ich lebe, einen Sinn abzutrotzen - bei mir ist das Südafrika.
APA: Es war und bleibt Südafrika?
Kentridge: Offensichtlich, denn ich habe immer dort gelebt und bin nie weggegangen, obwohl das natürlich leicht möglich gewesen wäre. Offenbar gibt es eine Notwendigkeit für mich, dort zu sein. Ich bin nicht jemand, der klare Entscheidungen trifft, ich kann nur später im Rückblick feststellen, dass sie offenbar getroffen wurden. Auch das ist eine Frage der Zeit - und vor allem eine Frage meiner eigenen Unsicherheit.
APA: Sprechen Sie eigentlich gern über ihre Arbeit - die das verbale Erklären ja eigentlich mit sämtlichen Mitteln umgeht?
Kentridge: Ich habe es so oft gemacht, dass ich es mittlerweile akzeptiere als eine Berufskrankheit. Erklärungen zu geben, ist wie das Umkehren meines Konstruktionsprozesses. Eigentlich sollte ja das Stück meine Ideen erklären!
(Das Gespräch führte Maria Scholl/APA)
Info
"Refuse the Hour" von William Kentridge, Vorstellungen am 1., 3. und 4. August, 21 Uhr, Volkstheater. www.impulstanz.at