Oper von George Benjamin sorgte im Theater an der Wien für einhelligen Applaus.
Mit "Written on Skin", der ersten großen Oper des 53-jährigen britischen Komponisten George Benjamin, haben die Wiener Festwochen am 14. Juni den erwarteten Triumph mit der letzten Premiere unter der Intendanz von Luc Bondy abgeliefert. Nach der umjubelten Uraufführung beim Festival von Aix-en-Provence im Vorjahr, macht das mittelalterliche Stationenspiel mit Elementen des epischen Theaters und eindeutig heutigem Anspruch nun im Theater an der Wien Halt. Am Ende stand einhelliger Applaus für die Sänger, Dirigent Kent Nagano am Pult des Klangforums Wien und nicht zuletzt für Benjamin selbst
Auf Unwegen mit Kunst
Dessen Kammeroper "Into the Little Hill" hatte bereits 2008 bei den Festwochen beste Kritiken erhalten. Wie damals arbeitete der Komponist auch bei "Written on Skin" mit dem Dramatiker Martin Crimp zusammen. Als Vorlage diente den beiden eine Ballade aus der Provence des 13. Jahrhunderts. Ein Großgrundbesitzer lädt einen jungen Buchmaler zu sich, um ein Werk zur Preisung seiner Herrschaft anzufertigen. In der verschüchterten Gattin des Protector genannten Reichen, Agnes, erwacht im Prozess der Entstehung des Buches die Leidenschaft für die Kunst und nicht zuletzt für den jungen Künstler. Sie erwacht aus ihrer unterdrückten Existenz und entdeckt sich und die Liebe, bis sie den Inhalt des Buches dahingehend manipuliert, dass ihr Gatte sie so sehen muss, wie sie wirklich ist. Dieser verzweifelt, tötet den Liebhaber und zwingt seine untreue Frau, dessen Herz zu essen. In einem finalen Selbstbehauptungsakt wählt sie den Freitod, bevor er sie töten kann.
Ausgetüfftelte Darbietung
Dieser allumfassende Kosmos, der Literatur und Leben, Kunstproduktion und Verlangen miteinander verschmilzt, erinnert in vieler Hinsicht frappant an Peter Greenaways Werke "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" und "Der Kontrakt des Zeichners". Und wie der legendäre Filmemacher, setzen auch Benjamin und Crimp auf die vielschichtige Erzählstruktur. Die Figuren kommentieren ihre eigenen Handlungen, werden auf der Bühne eingekleidet und gehen somit beständig auf Distanz zur Bühnenhandlung.
Bühnenbild spricht Bände
Dazu sind den drei Hauptrollen Helferfiguren zur Seite gestellt, die als Requisiteure und Garderobieren fungieren und zugleich den mittelalterlichen Stoff beständig mit zeitgenössischen Metaphern von der zeitlichen Bindung befreien. Sind die Figuren nicht im Fokus, bewegen sie sich in Zeitlupe durch das Bühnenbild, das von Regisseurin Katie Mitchell und ihrer Ausstatterin Vicki Mortimer aus vier parallel bespielten Räumen konzipiert wurde und eine kongeniale Umsetzung der Librettoidee darstellt.
Musikalisches Top-Leistung
Musikalisch fokussiert sich Benjamin auf die psychologische Entwicklung der 15 Szenen, bei denen er im Zweifelsfall stets der menschlichen Stimme den Vortritt lässt. Das von Kent Nagano geführte Klangforum Wien stellte sich da ganz in den Dienst der Gesangslinien, wobei die Partitur einen überraschenden Stilpluralismus aufweist. Wildes Blech steht an der Seite einer Viola da Gamba, mannigfaltige Percussion neben zarten Streichern. Damit entlockt Benjamin dem Orchestergraben mal ein Urmurmeln, dem sogleich stark rhythmisierte Passagen oder lyrische Streichersequenzen folgen. Und doch eint der Anspruch, die Musik als Surrogat aus dem Text herausfließen zu lassen.
Top besetztes Bühnenspektakel
Im Gegenzug verschrieben sich auch Audun Iversen als despotischer Hausherr, Barbara Hannigan als zu sich findende Ehefrau und Counter Iextyn Davies als verführerischer Künstler ganz dem psychologischen Spiel. Die Stimme wird hier als Ausdruck der inneren Regungen verstanden, wird nicht zwingend zum Schönklang herangezogen, der in diesem Zeit- und Erzählebenen verschränkenden Werk jedoch ebenfalls seinen Platz hat - in diesem kleinen, kurzen Schatzkästlein des Musiktheaters.
Info
"Written on Skin" von George Benjamin in der Regie von Katie Mitchell im Rahmen der Festwochen im Theater an der Wien, Linke Wienzeile 6, 1060 Wien. Musikalische Leitung: Kent Nagano am Pult des Klangforum Wien. Mit Audun Iversen (The Protector), Barbara Hannigan (Agnes), Iestyn Davies (Angel 1 - The Boy), Victoria Simmonds (Angel 2 - Marie), Allan Clayton (Angel 3 - John), u.a.. Weitere Aufführungen am 16. und 17. Juni.