"Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift" heißt das jüngste Stück des "Angels in America"-Autors Tony Kushner, der als Drehbuchautor von Steven Spielbergs "Lincoln" in wenigen Tagen auf einen Oscar hoffen darf. Die Österreichische Erstaufführung seines 2009 in Minneapolis uraufgeführten Stücks durch den früheren Baseler Schauspieldirektor Elias Perrig erwies sich gestern, Freitag, Abend im Wiener Volkstheater dagegen als wenig preiswürdig.
Die dreistündige Aufführung war langatmig wie der Titel (für den es mit "iHo" übrigens eine vom Autor selbst benützte, trendige Kurzform gibt). Obwohl Perrig durch Kürzungen die turmhohen Textberge des ausufernden Familien- und Gesellschaftsdramas etwas abgetragen hatte, blieb noch ausreichend Material übrig, diese Erstaufführung zu einer ziemlich mühsamen Erstbesteigung zu machen. Speziell vor der Pause wurde vor allem versucht, in hohem Sprechtempo möglichst rasch Text abzuarbeiten. Was den gegenteiligen Effekt des Bühnenbilds, für das Wolf Gutjahr viel Sperrholz verbaut hat, erzielte: Türmen sich auf der Drehbühne meterhohe Regale, in denen die wenigen Bücher vor allem Leerräume und Durchblicke lassen, lässt die Textmasse keinerlei Luft zum Atmen, Denken oder Fühlen. Erst nach der Pause findet die Aufführung allmählich zu einem Rhythmus und damit zu einer möglichen Empathie.
Denn immerhin geht es um nichts weniger als um Leben oder Tod. Im Mittelpunkt des in einem Haus in Brooklyn spielenden Stücks steht der pensionierte kommunistische Gewerkschafter und Hafenarbeiter Gus. Das Haus steht als Sinnbild für den Aufstieg, den die vor Generationen aus Italien eingewanderte Arbeiterfamilie geschafft hat. Nun will der von Alzheimer, Überdruss und/oder Langeweile geplagte proletarische Patriarch Schluss machen - mit dem Leben (einen vereitelten Selbstmordversuch hat er bereits hinter sich) und mit dem mühsam erworbenen Statussymbol. Er will das Haus verkaufen, das Erbe unter seinen Kindern aufteilen und sich dann umbringen. Der einberufene Familienrat ist zur Abstimmung aufgerufen. Groteskerweise will Gus nur über seinen Tod abstimmen lassen - den Hausverkauf hat er im Geheimen bereits durchgezogen.
Erich Schleyer steht als müder Arbeiter-Krieger, der seinen Marx auswendig kann und nun in der Pension lieber Horaz übersetzt, an der Spitze eines soliden Ensembles, in dem Homo- und Heterosexualität ebenso bunt zusammengewürfelt sind wie sexuelle Beziehungen oder politische Überzeugungen. Claudia Sabitzer, die als Tochter Maria Teresa (genannt Empty) am meisten dem Vater nachgerät, kämpft bei diesem bizarren Wahlkampf um jede "Nein"-Stimme. Die Söhne (Hans Piesbergen als schwuler, seinen Mann mit einem Strichjungen betrügenden Lehrer, Roman Schmelzer als etwas simpel gestrickter Bauunternehmer) wirken dagegen zunehmend genervt und haben eindeutig mit ihren eigenen Problemen genug zu tun.
Inge Maux spielt Gus' abgeklärte Schwester, deren Lebensweg sie von den Karmeliterinnen zu den Maoisten geführt hat, Robert Prinzler einen zynisch-interessierten Stricher, Ronald Kuste einen biederen Theologen und Martina Stilp eine schwangere Lesbierin. Nina Horváth als All-American-Girl, Patrick O. Beck als Immobilienmakler und Emptys Ex-Mann sowie Nanette Waidmann als fröhlich plappernder Todesengel bemühen sich sehr darum, einander scriptgerecht ins Wort zu fallen und dennoch mehr als Chaos entstehen zu lassen. Diese Bemühungen haben nur Teilerfolge.
Erst gegen Ende, wenn das wiederholte Anspielen von Woodie Guthries altem Gewerkschafts-Song "Union Maid" ein wenig von der mitschwingenden amerikanischen Sozial- und Zeitgeschichte ahnen lässt, oder Vater und Tochter, alleingelassen vom Rest der Familie, zum letzten, verzweifelten Wortgefecht antreten, wird spürbar, was in diesem ausufernden "Ratgeber" alles zu finden gewesen wäre. Höflicher Applaus.
"Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift" von Tony Kushner, Deutsch von Frank Heibert, Österreichische Erstaufführung im Volkstheater Wien, Regie: Elias Perrig, Bühne: Wolf Gutjahr, Kostüme: Katharina Weißenborn. Mit Hans Piesbergen, Robert Prinzler, Ronald Kuste, Claudia Sabitzer, Roman Schmelzer, Erich Schleyer, Inge Maux, Martina Stilp, Nina Horváth, Patrick O. Beck, Nanette Waidmann, Nächste Vorstellungen: 25., 27.2., 1., 10., 15.3.; Karten: 01 / 521 11-400, http://www.volkstheater.at
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