Udo Jürgens im Gespräch über...
... sein gefühltes biologisches Alter:
"Vielleicht 51 (lacht). Ich merke keinen großen Unterschied zu früher, außer den typischen Wehwehchen, die man hat, wenn man älter wird. Dass Lebensfreude verloren geht oder dass man zum Zyniker wird, wie das ja, wenn man älter wird, oft der Fall ist - das ist bei mir, glaube ich, ausgeblieben. Als ich 30 und Teenagerstar war, fühlte ich mich auch schon wie 50. Als ich jung war, sah ich zwar immer extrem jung aus, aber worüber ich nachgedacht habe, was ich gelesen habe, was mich interessiert hat, war nicht so ganz in meinem Alter angesiedelt. Deshalb hat man sich altersmäßig früher nach oben orientiert und heute vielleicht eine Spur nach unten - wobei ich durchaus weiß, wie alt ich bin. Ich mache auch kein Geheimnis daraus."
... das Älterwerden:
"Die Wehwehchen, die man hat, an die denkt man schon und die können einen auch echt nerven, ebenso die Kurzatmigkeit. Ich konnte früher 150 Treppenstufen fünf Mal hintereinander hochgehen und habe das auch gemacht zum Training. Das geht halt heute nicht mehr. Man ist langsamer geworden, und das muss man im Kopf begreifen. Das Älterwerden findet auch im Kopf statt. Es ist ganz wichtig, dass man sich dem stellt und das nicht leugnet."
... die Gnade, auch im Alter aktiv sein zu können:
"Wie erklärt man den Leuten, dass ich das, was ich tue, mit großer Begeisterung und Liebe mache? Immer wieder fragen mich Menschen: "Warum fahren Sie denn noch auf Tournee? Warum gehen Sie noch auf eine Bühne? Sie könnten sich doch in den Liegestuhl legen!" Die verstehen gar nicht, dass sich ein Mensch selbst eine Lebensaufgabe stellt. In dem Augenblick, in dem ein Maler den Pinsel aus der Hand legt oder ein Schriftsteller die Feder, gibt er einen Großteil seines Lebens auf. Dann wird ihn eine große Traurigkeit umfangen. Das ist bei mir bis jetzt ausgeblieben - und das ist eine wunderbare Sache. Die Kraft und die Möglichkeit zu haben, in meinem Alter noch ein großes Publikum mit dem zu erreichen, was einem wichtig ist, ist eine Gnade. Ich bin mir dessen sehr bewusst."
... seine Grenzen:
"Ich bin mir meiner Grenzen bewusst. Wenn ich Lang Lang höre, der demnächst in meiner Fernsehsendung auftreten wird, dann weiß ich, was Klavierspielen bedeutet. Das sind Dinge, die mich unglaublich anspornen, aber ich weiß genau: Da werde ich nie hinkommen, wie er Klavier spielt, das muss ich auch nicht. Ich muss nur Udo Jürgens spielen, er aber muss Beethoven und Bach spielen. Aber in meiner Musik liegt auch sehr viel Seele, wie ich tausenden Briefen entnehmen kann."
... seine Musik:
"Ich habe Experimente gemacht. Ich habe alles Mögliche versucht vom Klang her, von der Zusammensetzung der Musik her. Ich habe versucht, auf neuen Wellen zu schwimmen. Aber immer, wenn ich dabei sehr weit gegangen bin, bin ich gescheitert. Und immer, wenn ich tief in mich hineingehört habe und meine Art, mich einem Thema zu nähern, angewandt habe, war ich unglaublich erfolgreich. Das hat mir Mut gemacht, bei meinem Stil zu bleiben."
... Helene Fischer und das Comeback des deutschen Schlagers:
"Helene Fischer ist in der Art Ihres Auftretens sehr professionell. Sie hat ein sehr jugendliches, frisches Image, sie sieht sehr attraktiv aus. Sie hat sehr fetzige, zeitgemäße deutschsprachige Lieder und ist auch in der Lage, internationale Balladen hervorragend zu interpretieren. Also die kann was. Der entscheidende Punkt ist, dass sie eine exzellente Sängerin ist. Das ist nicht typisch deutsche Schlagermusik. Aber es ist letztlich generell zu begrüßen, dass überhaupt wieder deutsch gesungen wird. Dass so etwas wieder in den Charts vorhanden ist, hilft allen. Die Leute hören wieder gern gute Texte, wenn sie in zeitgemäßer Musik verpackt sind."
... die kommende Tournee:
"Ich werde die für die Bühne geeignetsten Lieder des neuen Albums spielen, aber es werden - wie es sein muss in jedem Konzert - auch die großen Lieder meines Lebens dabei sein. Es wäre dem Publikum absolut nicht zuzumuten, wenn "Ich war noch niemals in New York" nicht dabei sein würde. Das wäre sonst für viele eine riesige Enttäuschung. Ähnlich ist es mit "Griechischer Wein", "Aber bitte mit Sahne", "Mit 66 Jahren", "Immer wieder geht die Sonne auf" und "Ein ehrenwertes Haus". Da kann ich ja aufzählen und aufzählen - es gibt viele Lieder, die Evergreens geworden sind. Es ist ein unglaubliches Glück, das ich in meinem Leben gehabt habe, dass ich immer wieder zufällig oder durch meine Lebensart den Puls der Zeit genau getroffen habe."
... der Unterschied zu Tourneen in jüngerem Alter:
"Die Unterschiede zu früher sind viel geringer, als man annehmen würde. Das Hauptproblem ist die Scheu, sich zu erkälten. Ich spiele heute in Hallen mit 10.000 Plätzen und mehr. Da ein Konzert abzusagen, ist für mich eine Folter, weil ich weiß, da sind 10.000 Menschen, die sich Karten gekauft haben. Das ist auch ein Riesentheater für das Management und für jeden, der in meinem Team mitarbeitet, und es ist in jedem Fall auch ein großer finanzieller Schaden. Dass ich heute vor diesen Dingen Angst habe, ist der größte Unterschied."
... seinen weißen Bademantel:
"Der ist eine Tradition geworden, die man natürlich auch als Marotte bezeichnen kann. Bei meinem ersten abendfüllenden Konzert - es war in Hamburg - habe ich eine Viertelstunde nach Konzertende noch immer Sprechchöre aus der Halle gehört. Ich war natürlich im siebenten Himmel und bin noch einmal raus. Mein damaliger Manager sagte dann zu mir: "Du, das behalten wir bei!" - "Was behalten wir bei?" - "Dass du mit dem Bademantel zum Schluss auf die Bühne gehst." Und ich dachte, so ein Quatsch, das machen wir natürlich nicht. Am nächsten Tag war wieder das gleiche Inferno im Saal. Ich habe wieder etliche Minuten gewartet, habe mir den Bademantel angezogen, bin auf die Bühne und hab am Klavier noch einmal eine Viertelstunde angehängt: unbeschreiblicher Jubel. Heute ist es so, dass vom Bademantel schon beinahe mehr gesprochen wird als von mir."
... Jopi Heesters und das Nicht-Aufhören-Können:
"Wenn das alles vorbei ist, wird es auch für mich ein trauriger Moment sein. Vielleicht kann ich es ja solange machen, wie mich die Füße tragen - ich weiß es nicht, ich habe auch keinen Plan diesbezüglich. Jopi Heesters ist ein furchtbares Beispiel. Was er gemacht hat, möchte und werde ich nie machen: Mich wird niemand auf die Bühne tragen müssen. Das ist auch eine Frage der Lebenseinstellung. Ich habe den Jopi ganz gut gekannt. Er hat sich über philosophische Fragen des Lebens keine langen Gedanken gemacht. Der fand's unter Hitler ganz gut und nachher in der Demokratie auch ganz gut. Er hat's immer gut gehabt. Er hat über die Tragweite von Dingen nicht nachgedacht und sich bestimmte Fragen nie gestellt. Da kann man ihm auch nicht böse sein. Aber ich stelle mir diese Fragen sehr wohl."
... die heutige Zeit:
"Erstaunlicherweise hat sich der erhobene Zeigefinger, den man schon überwunden glaubte, wieder mit Macht erhoben. Die neue Augenhöhe des Ostens oder des Islam, wo man völlig andere Moralvorstellungen hat als wir - da entdecken wir plötzlich Dinge, die überhaupt nicht mit unseren Moralvorstellungen, unserer Ethik, unserem Freiheitsbegriff, unseren demokratischen Gesetzen übereinstimmen. Die Spannungen, die da entstehen, werden nicht schnell zu überwinden sein. Vor zehn Jahren waren wir noch naiv: Wir müssen denen Demokratie beibringen, und dann ist alles gut. Heute haben wir kapiert, dass das nicht funktioniert. Aber wir wissen nicht, was stattdessen funktionieren wird. Gleichzeitig sind die eigenen Werte nichts mehr wert. Langeweile erzeugt Radikalismus. In dieser Phase sind wird jetzt."
... Gefahren und Nutzen des Internet:
"Wir müssen wirklich dem Schicksal danken, dass es zur Zeit von Adolf Hitler das Netz noch nicht gab. Dann wäre die Unterdrückung perfekt geworden, dann wäre nämlich auch der Geist unterdrückt und umgeschult worden, ohne dass wir es gemerkt hätten. Die Fähigkeiten, die das Netz hat, uns willenlos zu machen und zu manipulieren, sind grenzenlos. Man muss abwarten, was daraus wird. Das ist eine fatale, katastrophale Entwicklung, die ohne mich stattfindet. Sie können das gerne "hinterm Mond" oder "altmodisch" nennen - aber ich mache da nicht mit. Ich bin nicht auf Facebook und habe auch mein iPhone wieder weggelegt. Ich habe wieder ein normales Handy, mit dem ich nur telefoniere. Ich bin erschrocken darüber, wie gleichgültig es den Menschen ist, dass ihre Gespräche abgehört werden, dass jeder weiß, wann sie wo sind usw. Jeder glaubt, er hat nichts zu verheimlichen. Es geht aber um etwas ganz Anderes: Es geht darum, Strömungen zu erfassen. Das wird permanent getan. Das kann uns zum Verhängnis werden, wenn dieses Wissen in die falschen Hände gerät. Anderseits gebe ich gerne zu, dass diese Techniken anderswo sehr nützlich sind: Bei den katastrophalen politischen Entwicklungen in Nordafrika, der Unterdrückung von Menschen, ist die weltweite Aufmerksamkeit mittels Facebook, Handy oder Twitter unendlich wichtig."
... Österreich, die Schweiz und Deutschland:
"Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft Weltmeister wird, bewegt mich das sehr - wahrscheinlich, weil meine Eltern Deutsche waren. Ich habe ganz starke deutsche Wurzeln, durch meine Kärntner Heimat aber auch ganz starke österreichische Wurzeln. Heimat ist für mich Kärnten. Aber ich fühle mich auch in Deutschland sehr geborgen. In der Schweiz lebe ich jetzt seit über 30 Jahren. Das Land hat mir ein Zuhause geboten und ist optisch sehr ähnlich meiner österreichischen Heimat. Dass wir da und dort verschiedener Meinung sind, gehört zu einem gesunden politischen Empfinden. Ich bekomme immer wieder kritische Briefe, aber die schlimmsten Beschimpfungen habe ich in Kärnten erlebt."
... Jörg Haider:
"Schon bevor es zum Skandal mit der Hypo-Alpe-Adria kam, habe ich mich schon klar gegen Jörg Haider positioniert, obwohl ich mit ihm per Du war und ihn sehr gut kannte. Ich habe ihm auch mehrmals gesagt, dass ich das bedenklich finde, was politisch von ihm propagiert wird. Das hat man mir natürlich extrem übel genommen, denn für viele Kärntner ist Haider auch heute noch ein Messias. Die Künstler haben sich alle gegen ihn geäußert - Kärnten ist ja zu meiner großen Freude und zu meinem Stolz ein sehr künstlerisches Land. Aber die breite Masse ist Haider gefolgt. Das trägt ja nach wie vor in der österreichischen politischen Landschaft starke Früchte . Die Gefahr, dass es einen rechtsnationalen Kanzler in Österreich geben wird, ist mehr als deutlich zu sehen.
... das größte Glück in seinem Leben:
"Die normale Antwort ist natürlich: 'Die Geburt meines ersten Kindes, meines Sohnes John' - und das ist mit Sicherheit auch irgendwo die Wahrheit. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich da nicht diesen Rausch des Glücks, wie ich ihn später empfunden habe, als ich zum Beispiel die Eurovision gewonnen habe. Das war wahrscheinlich der größte Glücksrausch meines Lebens. Der ging immer Hand in Hand mit meiner Musik.
... seine Frauengeschichten:
"Wenn ich das Rad zurückdrehen könnte, wäre ich vielleicht da und dort ein bisschen zurückhaltender, das kann schon sein, vor allem deshalb, weil man ja nicht ahnen kann, was das für Wellen schlagen kann. Aber ich habe, glaube ich, nichts besonders Falsches gemacht. So gesehen bin ich mit dem Verlauf meines Lebens recht zufrieden. Ich würde die Fehler im Grunde genommen noch einmal machen."
... den Einfluss von Künstlern auf die Gesellschaft:
"Der Künstler ist ein Gaukler und wird nie ernst genommen. Zum Zeitvertrieb der Menschen dienen wir wunderbar. Wir können sie zum Weinen oder Lachen bringen, beides ist unendlich wichtig. Aber wenn es um ernsthafte Fragen geht, werden wir letztlich nicht ernst genommen, obwohl alle großen Veränderungen der Welt aus Literatur und Philosophie kommen. Erst lange nach ihrem Tod mutieren dann die scheinbar Wahnsinnigen zu Halbgöttern, wenn man merkt, wie groß ihr Einfluss auf die Menschheit war. Komponisten der klassischen Musik zählen da mit Sicherheit dazu, Musiker der leichten Muse dann und wann. Vielleicht bin ich da ein winziges Mosaiksteinchen, aber die Beatles, die Rolling Stones und andere großen Pop- und Rockgruppen haben die Welt wirklich mit verändert. Die Jugendbewegung ist von ihnen ausgegangen. Sie haben ihre Ideale gesellschaftsfähig gemacht."