Während hohe Tiere im Konzern EMI wohl immer noch der Meinung sind, das aktuelle Album der Britin Joss Stone ("Colour Me Free!") klinge zu wenig hipp, verzauberte die erst 22-Jährige am Sonntagabend im Wiener Gasometer mit großer Stimme und gefühlsbeladenem Retro-Soul ohne Staubansatz. Vielleicht war das Konzert zwischendurch fast schon ein bisschen "zu schön", weil fehlerfrei.
Emotional aufgewühlte Popstars arbeiten am besten. Trennungsschmerz hat so manchen Album-Klassiker nach sich gezogen, ein Streit mit der Plattenfirma kann ebenso beflügeln. Letzteres hat Stone endgültig zur Diva des Retro-Souls reifen lassen. Retro-Soul deshalb, weil Joss Stone nicht auf modernen, Zielgruppen orientierten R&B aufspringt, sondern der klassischen Version des Stils verbunden bleibt. Aretha Franklin, das große Vorbild der Sängerin aus Dover, ist die Inspiration, nicht der Wunsch, den Mainstream zu befriedigen. Und trotzdem klingen weder die neue Platte, noch die Live-Darbietung überholt: Stone bewegt sich zeitlos in ihrem Metier - mit reifem Auftreten und jugendlichem Charme, einer unschlagbaren Kombination.
"Super Duper Love" vom Debüt "The Soul Sessions", das Stone mit unglaublich jungen 16 Jahren aufnahm, machte den Anfang, "Free Me" vom im Herbst 2009 erschienen Befreiungsschlag "Colour Me Free!" folgte: Packend, wie die Künstlerin den Vorwurf "Don't Tell Me That I'm Not I Am" schmetterte, begleitet von einer souveränen Band und zwei ideal mit der "Chefin" harmonisierenden Background-Sängerinnen. Insgesamt fünf Songs aus der neuen Platte standen auf dem Programm, nahtlos eingereiht zwischen ihren Hits wie "Fell In Love With A Boy" oder "Tell Me 'Bout It".
Soul der alten Schule traf auf lässig eingestreute Reggae-Rhythmen, immer wieder wechselten in den Songs die Tempi, verwandelten sich Balladen in groovende Stücke, ging der Soul in mitreißenden Gospel oder Swing über. Die Stimme setzt Stone wie ein Instrument ein, das dem Lied dient und nicht der Selbstdarstellung (mit der einen oder anderen Ausnahme, aber auch die Musiker bekamen ihre kurzen Soli). Nur ein Schuss Spontanität hätte nicht geschadet, dafür war in dem perfekt einstudierten Konzert leider kein Platz. Aber Joss Stone ist am richtigen Weg, sei den EMI-Bossen gesagt.