Kaum Überraschungen, aber viel konsensfähiger Mainstream-Pop.
Lange mussten sich die Fans gedulden: Fast fünf Jahre sind vergangenen, seit die britische Sängerin Adele "21" veröffentlicht hat und damit zu einer der erfolgreichsten Künstlerinnen unserer Tage wurde. Zig Auszeichnungen, ausverkaufte Tourneen, Jubelmeldung über Jubelmeldung: Der Popstar konnte eigentlich nichts falsch machen. Morgen, Freitag, erscheint mit "25" nun der heiß ersehnte Nachfolger.
Erste Single begeisterte
Seit Ende Oktober begeistert "Hello", die erste Single aus dem Album, Fans und Kritiker gleichermaßen. Kein Wunder, dass der Song und das dazugehörige Video etliche Rekorde brachen. Die von einer eingängigen Klaviermelodie getragene Ballade macht die vergangenen Jahre indirekt zum Thema: Adele ließ nach ihrem Megaseller, dessen Titel sich wie beim aktuellen Album auf das Alter, in dem sie die darauf enthaltenen Songs verfasste, bezieht, wenig bis nichts von sich hören. Sie wurde Mutter, erhielt von Prince Charles einen Verdienstorden und darf seitdem ein MBE ihrem Namen beifügen.
Darum dauerte es so lange
Als Member of the Most Excellent Order of the British Empire hat sie also "25" verfasst: Es war ein harter Weg, wie sie in diversen Interviews bereits ausführlich erläutert hat. "Zuerst war kreativ nicht viel los, um ehrlich zu sein", hielt sie etwa gegenüber Radiomoderator Carson Daly fest. "Das ist einer der Gründe, warum es so lange gedauert hat." Sie sei zwar bereit gewesen, ins Studio zu gehen und an neuen Stücken zu arbeiten - nur herausgekommen sei wenig bis nichts. "Nach zehn Minuten merkte ich, dass ich noch nicht so weit bin. Ich hatte keinerlei Ideen und brauchte einfach mehr Zeit."
Gut Ding braucht Weile
Ihre Fans mögen nun denken: Zum Glück hat sich Adele Laurie Blue Adkins genau diese Zeit genommen. Mit diversen Produzenten und Songschreibern feilte die Sängerin am Album und musste immer wieder Rückschläge einstecken. Etwa als ihr Rick Rubin, bekannt durch seine Arbeiten für Johnny Cash, Red Hot Chili Peppers oder die Beastie Boys, riet, alles bisher aufgenommene zu verwerfen. "Eigentlich habe ich darauf gewartet, dass mir das jemand sagt", meinte Adele in einem "Guardian"-Interview. "Es ging also zurück ans Reißbrett, und ich habe mir den Arsch abgearbeitet."
Erwartungen erfüllt
Dass sie sich kein Blatt vor den Mund nimmt, ist man von der gebürtigen Londonerin mittlerweile gewohnt. Und besonders der Auftakt zu "25" macht deutlich: Auf Nummer sicher ist Adele nicht gegangen. Nach "Hello" wird der Hörer von der Uptempo-Nummer "Send My Love (to Your New Lover)" an der Hand genommen, beginnt man im Rhythmus mit dem Fuß zu wippen. Dezent afrikanisch anmutende Rhythmik trifft hier auf übereinandergeschichtete Stimmen, die zum großen Refrain ausholen. Ein erstes Zeichen dafür, dass diese elf Songs starke und knapp 50 Minuten lange Platte jene großen Erwartungen erfüllen dürfte, die scheinbar die gesamte Musikindustrie in sie legt.
Kein Vergleich
Wobei sich Adele selbst keinen Druck machen wollte. "Ich wusste einfach, dass es unmöglich ist, an '21' nochmals heranzukommen", betonte sie im Gespräch mit Daly. Und ein direkter Vergleich macht letztlich auch wenig Sinn. So ist etwa das mit fast sechs Minuten längste Stück "I Miss You" eine zarte, mit viel Hall und Echo beginnende Klavierballade, die vom Gegensatz zwischen druckvollen Drums und Adeles beinahe fragil inszenierter Stimme lebt - um im nächsten Moment zu kippen, wenn alle möglichen Effekte aufgefahren werden und der Refrain einen sehr eigenwilligen Charakter versprüht.
Intime Stimmung
Auch als intime Singer-Songwriterin ist man Adele so wohl noch nicht begegnet: Dieses Vergnügen offenbart "Million Years Ago", bei dem man sich der heute 27-Jährigen ganz nahe fühlt. "Life was a party to be thrown / but that was a million years ago", singt Adele geradezu nostalgisch. Ein Rückblick, den auch das starke "River Lea" offenbart, produziert von Brian Burton alias Danger Mouse. Nur geschieht es hier im Rahmen einer astreinen Popnummer, die eher nach Tanzfläche denn Lagerfeuerromantik schreit. Analog dazu verhält es sich mit dem großen Finale, "Sweetest Devotion", das alles auffährt, was in den vergangenen drei Jahrzehnten im leichtfüßigen Pop gut und wichtig war.
Keine Überraschungen
Dazwischen finden sich viele Stücke, die wie alte Bekannte anmuten: das einfach gestrickte, aber deshalb nicht weniger pointierte "When We Were Young"; Kitsch und Schmalz in der Klavierballade "All I Ask"; oder das in die schrillen Farben der 80er getauchte "Water Under The Bridge". Die großen Überraschungen bleiben damit zwar aus, das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Songs auf "25" nicht funktionieren. Man fühlt sich auf dieser Platte von der ersten Sekunde an wie zu Hause.
Langlebig
Natürlich, man kennt diese Melodien - oder zumindest so ähnliche. Man hat Stimmführungen und Akzentuierungen in dieser Art schon mal gehört. Aber heute im kommerziellen Fach noch wirklich etwas Neues zu fabrizieren, erwartet wohl kaum jemand von Adele. Und abgesehen davon gibt es etliche Details, die wie schon bei "21" Langlebigkeit garantieren dürften. Die Gegenüberstellung muss Frau Adkins also nicht fürchten, denn auch im Jahr 2015 (und wohl darüber hinaus) ist ihr Mainstream-Pop mit Gehalt sicherlich mehrheitsfähig.