Normalerweise redet Karl Lagerfeld nicht über Privates. Der Stardesigner und Fotokünstler ist ein Sir.
Dass Karl Lagerfeld über sein Privatleben redet, hat Seltenheitswert. Der Anlass? In Passau wurde dem Mode- und Fotokünstler der „Menschen in Europa Award“ für sein kreatives Lebenswerk überreicht. Im Rahmen der Verleihung bat Bunte-Chefin Patrica Riekel den Kaiser vor hochkarätigen Gästen und Medien (wie MADONNA ) zur exklusiven Talkshow. Wir hörten und staunten...
Reden wir über die Stilikone Coco Chanel: Hätte die heute ein Handy?
Karl Lagerfeld: Es gibt viele Fotos von ihr am Telefon. Sie muss also sehr viel telefoniert haben.
Sie hat auch viel geraucht. Wäre Coco Chanel zum Rauchen vor die Tür gegangen?
Lagerfeld: Sicher nicht! Ich rauche nicht. Als ich 15 Jahre alt war, habe ich geraucht, um erwachsen zu wirken. Da sagte meine Mutter, die Kettenraucherin war: ,Du solltest nicht rauchen, Karl. Deine Hände sind nicht besonders hübsch, und sie fallen wahnsinnig auf, wenn du rauchst.‘ (lacht). Meine Hände sind okay, aber es war eine wunderbare Art, einem Jungen das Rauchen abzugewöhnen.
Warum tragen Sie dann Handschuhe?
Lagerfeld: Wir leben in einer nicht sauberen Welt. Wissen Sie, wir tragen ja auch Schuhe, oder möchten Sie barfuß gehen?
Sie hatten eine sehr interessante Mutter.
Lagerfeld: Ja, das kann man so formulieren. Sie sagte einmal zu mir: ,Karl, du bist sechs Jahre alt, aber ich nicht. Wenn du also mit mir sprechen willst, dann gib’ dir Mühe.‘ Ein anderes Mal sagte sie: ,Bitte rede schneller, für den Unsinn, den du redest, kann ich meine Zeit nicht in Anspruch nehmen.‘ Aber keine Angst: Ich brauche keinen Psychiater, um darüber hinwegzukommen. Ich finde, sie hatte recht. Als mein Vater starb, hat sie mir das erst drei Wochen später erzählt. Sie sagte: ,Du magst ja keine Beerdigungen. Deswegen wollte ich dich nicht stören.‘ Aber eines vergesse ich ihr nie: Als ich ein Junge war, hatte ich lange Haare. Das muss Ende der 40er-Jahre gewesen sein. Eines Tages ging ich mit meiner Mutter zum Zahnarzt und auf der Straße trafen wir meinen Lehrer, einen dummen Mann. Er sagte zu meiner Mutter: ,Schneiden Sie Ihrem Sohn endlich die Haare ab.‘ Sie nahm seine Krawatte, schmiss sie ihm ins Gesicht und sagte: ,Wieso? Sind Sie noch Nazi?‘
Von Ihrer Mutter haben Sie auch einen gewissen Stil gelernt. Was ist notwendig für ein stilvolles Leben?
Lagerfeld: Gewisse Mittel helfen natürlich, keine Frage (lacht).
Also man muss Geld haben?
Lagerfeld: Ja, aber bilden Sie sich nicht ein, dass es das Wichtigste ist! Ich finde, eine gewisse Disziplin, Höflichkeit gegenüber den Menschen, gehört auch dazu. Für mich sind Dinge, die schwer zu finden sind, Höhepunkt des Luxus und Stils: Ich liebe antike Bettwäsche mit handgemachten Stickereien, die waschmaschinenfeindlich sind. In den eiskalten, total modernen Räumen, in denen ich lebe, hinterlassen diese Dinge eine menschliche Note. Das ist für mich Stil und Luxus. Ich schlafe wie aufgebahrt, weil man auch im Bett Stil beweisen muss. Auch wenn ich alleine schlafe (lacht).
Man kann Sie selbst auch als stilisiertes, lebendes Standbild bezeichnen.
Lagerfeld: Ich habe mich nicht stilisiert! Ich bin ganz natürlich, der Höhepunkt des Spontanen. Ich mache kein Drama aus mir selber. Ich kann über mich lachen und stehe mir fast gleichgültig gegenüber.
Welche Einladungen nehmen Sie an?
Lagerfeld: Ich gehe doch nie aus! Ich bin Heimarbeiter, ich muss alles selber machen – angefangen von meiner Kollektion bis hin zum Fotografieren. Während ich etwas entwerfe, bin ich von außen nicht besonders zu beeindrucken, um es höflich zu formulieren. Ich interessiere mich nur für das, was ich mache. Man muss alleine sein, um die Batterien aufzuladen. Ich will ja auch nicht alles von mir offenbaren; ein bisschen Mysterium muss dabei sein. Die Idee ist meist stimulierender als die Wirklichkeit. Wirklichkeiten sind banal.
Seit Jahren gilt Ihre Liebe der Fotografie. In Passau ist eine Ausstellung mit Wald-Motiven von Ihnen zu sehen – ungewöhnlich für einen Stadtmenschen wie Sie.
Lagerfeld: Ich bin ja vom Lande. So etwas vergisst man nicht, auch wenn es weit zurückliegt. Ich habe mir in Vermont auf einer Insel ein Haus aus dem Jahr 1840 gekauft, weil ich in Deutschland kein Haus haben wollte, konnte oder sollte. Dort habe ich alles, was ich nicht verkaufen wollte, wie den Schreibtisch, auf dem ich Schreiben gelernt habe. Das heißt aber nicht, dass ich ein Romantiker bin! Und in Vermont mache ich lange Spaziergänge durch die Natur. Von meinem Fenster aus.
Sie haben viele Topmodels fotografiert. Wen hatten Sie zuletzt vor der Kamera?
Lagerfeld: Ich habe Claudia Schiffer in Argentinien als blonde Frida Kahlo inszeniert. Claudia sieht ja heute besser aus als vor 20 Jahren. Obwohl sie zwei Kinder bekommen hat. Ich weiß nicht, wie sie das macht. Sie braucht keine Retouche. Es ist wohl ihr gesundes Leben: keine Drogen, kein Alkohol, keine Zigaretten. Ich habe aber nichts gegen Leute, die rauchen und trinken. Die sind viel amüsanter als so langweilige Leute wie Claudia und ich.
Die sprichwörtliche deutsche Disziplin?
Lagerfeld: Ich bin immer Deutscher geblieben. In Frankreich bin ich Ausländer. Ich will überall Ausländer sein, nirgendwo dazugehören, aber überall dabei. Ich halte mich aber für faul, bin nie mit mir zufrieden, könnte viel mehr machen. Ich habe das Gefühl, da ist eine Glasscheibe zwischen mir und dem, was ich möchte.