Die wachsende Zahl von unnotwendigen Operationen ist alarmierend.
Der Präsident des Europäischen Gesundheitsforums Gastein, der ehemalige ÖVP-Gesundheitssprecher Günther Leiner, hat 80 Prozent der Rückenoperationen als "überflüssig" bezeichnet. Bei einer Veranstaltung des Forums in Brüssel kritisierte Leiner die Übermedikation, die ein europaweites Phänomen darstelle. Nach einem jüngsten OECD-Bericht gebe es auch riesige Unterschiede bei der Anzahl von Knie- und Hüftoperationen in der EU, gemessen an der Einwohnerzahl.
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Alarmierend
So seien in Deutschland 289 Hüftoperationen auf 100.000 Menschen gezählt worden, Österreich komme auf 243, Polen nur auf 39. Schlusslicht ist demnach Zypern mit lediglich 15 derartigen Eingriffen. Bei den Knieoperationen sei der Unterschied noch größer. Deutschland komme auf 206 und Rumänien nur auf fünf. "Es ist schwer vorstellbar, dass solche Unterschiede nur auf rein klinischen Gründen beruhen", sagte Leiner. Die wachsende Zahl von überflüssigen und unnotwendigen Operationen sei "besonders alarmierend" und habe "offensichtlich wirtschaftliche Gründe".
Homöopathie wichtig
Angesprochen darauf, ob Chirurgen angesichts 80 Prozent unnötiger Rücken- bzw. Bandscheibenoperationen fahrlässig mit der Gesundheit ihrer Patienten umgingen, verwies Leiner auf die Probleme der Ärzte, die in den Krankenhäusern Gewinn machen müssten. Die 80 Prozent seien zwar eine Zahl aus Deutschland, doch treffe die Situation auch auf Österreich zu. "Vor Beginn seiner Tätigkeit wird dem Chirurgen bereits festgelegt, wie viele Operationen er im Jahr durchführen muss." Dies betreffe nicht nur die Privatpatienten. Dass Deutschland 289 Hüftoperationen (pro 100.000 Einwohner und Jahr) hat, Polen aber nur 39, führt Leiner auf die "unheimlich gute physikalische" Behandlung in dem ehemaligen Ostblockland zurück. Er selber hält auch die Homöopathie für absolut wichtig. "Als Arzt muss man auf dem gesamten Klavier der Medizin spielen", so der Rehabilitationsmediziner.
Bei der Übermedikation verweist eine Salzburger Studie darauf, dass 36 Prozent der verschriebenen Arzneistoffe bei über 82-jährigen nicht notwendig gewesen seien, und in 30 Prozent der Fälle seien die Medikamente "unangebracht" gewesen, so Leiner.
Die SPÖ-Europaabgeordnete Karin Kadenbach forderte eine stärkere Gesundheitsvorsorge. "Derzeit werden 97 Prozent der öffentlichen Mittel für Gesundheit für Behandlung ausgegeben, aber nur drei Prozent für die Krankheitsvorsorge. Das ist sinnlos. Mit einer besseren Vorsorge können Millionen vorzeitiger Todesfälle vermieden werden".
Vermeidbare Krankheiten
Paola Testori-Coggi (EU-Gesundheitskommission) verwies ebenfalls auf die Bekämpfung vermeidbarer Krankheiten durch Risikofaktoren wie zu wenig Bewegung, Rauchen, Alkoholmissbrauch oder chronischer Fettleibigkeit. Trotz eines Quantensprungs der medizinischen Wissenschaft würden drei Viertel der Europäer an solchen Krankheiten vorzeitig sterben. Jährlich seien 36 Millionen Menschen weltweit betroffen. Herz-Kreislauferkranken, chronische Atemwegserkrankungen, Diabetes und Krebs seien für 77 Prozent der Krankheiten verantwortlich und verursachten 86 Prozent aller Todesfälle.
Beim diesjährigen Treffen des Gesundheitsforums in Gastein vom 5. bis 8. Oktober legt die EU-Kommission ihren Schwerpunkt auf soziale Innovationen bei der Gesundheit und den Zugang der Patienten zu persönlichen Gesundheitsdaten. "Aktives und gesundes Altern, Innovation und Wohlbefinden" sei Teil der EU-Innovationsstrategie, eine der "Flaggschiff-Initiativen 2020" der Union.