Psychiater Friedrich: "Kinder können ungeheuer grausam sein".
Stottern, lispeln, zu dicke Brillengläser oder keine Markenkleidung: Die Auslöser für Mobbing in der Schule sind vielfältig. Doch haben sie immer eines gemeinsam - es zielt darauf ab, sein Gegenüber herabzuwürdigen. "Kinder können ungeheuer grausam sein", erklärte Max Friedrich, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Wiener AKH. Mobbing sei kein seltenes Phänomen, sondern könnte in jeder Klasse gefunden werden.
Harter Alltag
Jedes Jahr zu Schulbeginn mischen sich die Karten wieder neu. "Im Sommer entsteht eine gewisse Entfremdung", erklärte Friedrich. Doch für viele Kindern gehe der harte Alltag mit Mobbing wieder von vorne los. Schüler, die mit ihrem Verhalten selbst Minderwertigkeitskomplexe überspielen, verspotten, drohen oder ängstigen schwächere Kinder. "Diese Alpha-Tiere suchen sich Mitläufer, die Angst haben, sonst selbst gemobbt zu werden", sagte der Psychiater.
Von Sarkasmus bis Ignorieren
Die Formen des Mobbings können sehr unterschiedlich sein: Sarkasmus, Ignorieren, Gewalt oder eine Drohung. Der Spruch "Nach der Stunde wirst du schon sehen, was passiert" reiche oftmals aus, um große Unsicherheit, Verzweiflung oder pure Angst in einem Heranwachsenden zu erzeugen. Ziel des Stärkeren sei aber immer sich über den anderen zu erheben und ein Gefälle zu schaffen, um sich selbst besser zu fühlen.
Veränderungen aufmerksam beobachten
Gewisse Veränderung bei ihren Zöglingen sollten Eltern besonders aufmerksam beobachten, denn es gibt kein fixes Syndrom bei Opfern. Wenn ein stilles Kind plötzlich laut werde oder eine völlig andere Sprachwahl benutze, seien Nachforschungen gefragt. Am wichtigsten sei es, dass die Kinder wüssten, dass sie vorbehaltlos nach Hause kommen könnten, ohne eine Bestrafung zu befürchten.
Auch Lehrer sollten erkennen, wenn ein Kind Unterstützung brauche. Dazu seien Adjustierung in der Pädagogen-Ausbildung nötig. "Gruppendynamischen Vorgängen wird viel zu wenig Beachtung geschenkt", betonte Friedrich. Denn ein Lehrer zu sein, bedeute mehr als nur zu unterrichten. Sie müssten auch als Vorbild dienen. Ein Schulwechsel sollte als letzte Konsequenz in Betracht gezogen werden. "Sonst glaubt das Kind, dass es mit der Versetzung bestraft wird, weil es selbst etwas falsch gemacht hat."
Schwierige Zeit: Pubertät
Ein Gipfel des Mobbings entstehe in der Pubertät mit den gesteigerten Konsumbedürfnissen. "Da reicht es oft schon aus ein falsches Handy zu haben", erklärte der Experte. Mobbing verursache, unabhängig vom Geschlecht, nicht nur psychosomatische Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Bauchweh und Schlafstörungen, sondern kann zu Leistungsabfall, Depression bis hin zu Rückzugsverhalten führen.
Die Kinder, die wegen anhaltender Hänseleien professionelle Hilfe benötigen und in der Ambulanz von Friedrich landen, werden vor allem wieder aufgerichtet. In Ermutigungs- und Stärkungstherapien lernen die Kinder und Jugendlichen, wie sie sich wehren, wem sie sich anvertrauen und wie sie sich bei Problemen artikulieren können. Eine deutliche Zunahme dieser Fälle ist für den Psychiater deutlich zu erkennen. Grund dafür liege in der Überforderung. "Das Kind-Sein geht verloren, weil sie bereits in jungen Jahren viel zu viele Termine und Verpflichtungen haben", betonte Friedrich.