Nie mehr Egotrip

So werden Sie zum guten Menschen

11.10.2010

"Die Kunst, kein Egoist zu sein": Neues Buch will uns zu besseren Menschen machen.

Zur Vollversion des Artikels
© sxc
Zur Vollversion des Artikels

Gut oder böse? Warum wollen Menschen eigentlich Gutes tun? Was ist das eigentlich, Moral? Und wie kommt es, dass sich fast alle Menschen mehr oder weniger für „gut“ halten und es trotzdem so viel Unrecht in der Welt gibt? Alles Fragen, die Deutschlands populärster Philosoph Richard David Precht (45), Autor von „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ in seinem neuen Buch „Die Kunst, kein Egoist zu sein“ (erschienen im Goldmann-Verlag, 20,60 Euro) zu klären sucht.

© Hersteller

Das Anti-Ego-Buch: "Die Kunst, kein Egoist zu sein" (Goldmann, 20,60 Euro).

Streben nach Anerkennung
In dem vorprogrammierten Bestseller entschlüsselt Precht, wie wir uns in unserem täglichen Leben tatsächlich verhalten und warum wir so sind, wie wir sind. Der Philosoph sieht den Menschen jedenfalls nicht von Natur aus als knallharten Egomanen: „Manche Biologen sind der Ansicht, unser genetischer Auftrag bestünde darin, rücksichtslos unsere Interessen durchzusetzen. Das ist so sicher nicht ganz richtig. Wir haben nämlich ein Interesse, das wichtiger zu sein scheint, nämlich Anerkennung zu bekommen. Und weil wir auf Anerkennung aus sind, verhalten wir uns meistens relativ freundlich zu anderen Menschen!“ Warum dann aber so vieles in der Weltgeschichte ziemlich schiefläuft?

Trickreich
„Im Laufe der Evolution haben wir eine ganze Reihe von Tricks gelernt, mit denen wir uns selbst in die Tasche lügen können!“, weiß Precht. „Im Buch mache ich ganz konkrete Vorschläge, was wir in der Gesellschaft besser machen können!“ Lesen Sie rechts die besten Passagen aus der neuen Kultfibel für „Gutmenschen“.

Die besten Passagen aus dem neuen Ratgeber im Vorabdruck:
"Wir werden zu Egoisten gemacht"

Über Spitzenpolitiker. Je größer der Stress ist, in dem wir uns befinden, umso weniger Zeit bleibt für Mitgefühl und Selbstaufmerksamkeit. Statt fürsorglich zu sein, sind wir gereizt. Und statt uns Gedanken darüber zu machen, wie wir auf andere wirken, benehmen wir uns daneben. Und wer pausenlos Entscheidungen fällen muss, hat besonders wenig Zeit, über sich selbst nachzudenken, weshalb Spitzenpolitiker schon von Amts wegen nicht moralischer sein können als ihre Wähler.

Über falsche Vorbilder. Moral entsteht durch Vorleben und Abgucken, durch Nachahmen und Identifizieren. Die Vorbilder jedoch, die uns von den Titelseiten der Managerzeitschriften oder aus der Jury von Casting-Shows angrinsen, bedrohen das, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält. So gesehen war und ist die Finanzkrise weniger ein Unfall als ein Symptom unserer Zeit.

Über Managergehälter. Über die Gehaltsforderungen mancher Manager sollte man sich nicht ärgern (denn das bedeutet bereits Akzeptanz), sondern lachen. Wer meint, dass seine Leistung mehr als das 20-fache wert ist von dem, was ein durchschnittlicher Angestellter verdient, der hat ein gefährliches Problem mit seinem Selbstbild und gehört entlassen.

Über Internet. Das Internet, wie es heute ist, ist im Grunde eine Maschine zur Stärkung unserer Vorurteile. Je größer das Angebot an Informationen ist, desto pingeliger entscheiden wir uns mitunter für genau das, was uns zusagt.

Über TV. (...) dass das gesamte Fernsehen, einschließlich der Öffentlich-Rechtlichen einen enormen Verlust an Verantwortungsgefühl erlitten hat. Auf dem Markt der Medien wird, wie auf allen übrigen Märkten, alles nach Geld und Quote berechnet.

Wachstum um jeden Preis. Die Kunst, kein Egoist zu sein, besteht zunächst darin, dass wir unsere Bedürfnisse von unserem Bedarf zu unterscheiden lernen. Aber ist so eine Vision wirtschaftlich überhaupt sinnvoll? Sind wir nicht zum Wachstum um jeden Preis verdammt?

Geld ersetzt Religion. Nur was einen Geldwert besitzt, ist auf dem Markt wertvoll. Auf diese Weise wird das Geld in der Moderne zu einer neuen Religion. Es stiftet Sicherheit, Gewissheit und verspricht günstigenfalls auch eine gute Zukunft. Und in all diesen Funktionen trägt es zum Lebenssinn bei.

Über Erziehung. Materielle Belohnungen verderben den Charakter. Wer darauf konditioniert ist, Dinge gegen materielle Entlohnung zu tun, der tut sich anschließend sehr schwer damit, bei gleichen Handlungen ohne sie auszukommen (…) Mit anderen Worten: Wir werden nicht als Egoisten geboren, wir werden dazu gemacht.

Über Eitelkeiten. Unsere Intelligenz, unsere Attraktivität und unsere Integrität sind die Dinge, die wir am wenigsten gern infrage gestellt sehen. Bezeichnenderweise sind dumme Menschen oft auch so dumm, sich nicht für dumm zu halten.

Niemand ist nur böse. Unverwechselbar gute oder schlechte Menschen gibt es eigentlich nur im Märchen. Im wirklichen Leben dagegen haben selbst die übelsten Gestalten ein paar gute Seiten. Kambodschas großer Massenmörder Pol Pot erschien unwissentlichen westlichen Besuchern als feiner Mensch. Stalin schrieb zartfühlende Liebesgedichte. Und Hitler war gut zu seinem Hund und Eva Braun.

Über Religion. Selbst die Religionen, die sich die Nächstenliebe auf die Fahne schreiben, wie das Christentum, schließen traditionell Menschen (…) aus. Im Regelfall die Ungläubigen. Und je stärker eine Religion mit unmenschlichen, weil unrealistischen Geboten befrachtet ist, umso aggressiver tritt sie gemeinhin gegenüber anderen auf.

Über die heilige Kuh Auto. Beim Auto (…) hört die Moral auf. Unter der Schutzhülle des Blechs verlässt viele der soziale Instinkt unserer Ahnen, der unseren friedlichen Umgang mit anderen gemeinhin garantiert. Gepanzerte Außenhäute, gepardengleiche Geschwindigkeiten und ein ausgedehnter Platzbedarf von sechs Quadratmetern waren in unserer psychischen Evolution offenbar nicht vorgesehen.

Über Konformität. (...) Doch gerade hierin liegt zugleich eine der größten Bedrohungen unserer moralischen Urteilskraft: die Konformität. Und nur durch sie lässt sich erklären, dass ein und dieselben Menschen, die an roten Ampeln brav und vorbildlich stehen bleiben, im Dritten Reich auf unvorstellbar grausame Weise Menschen ermordeten.

Streben nach Anerkennung. Die lockere Maxime „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert!“ erscheint nur den allerwenigsten Menschen erstrebenswert. Ein ruinierter Ruf, ein geringes Ansehen und ein Mangel an Respekt, mit dem man uns begegnet, setzen fast jedem Menschen zu.

Das Gute als Ideal. Wer sich dazu entscheidet, zu Weihnachten kein Geld in den Klingelbeutel zu tun (…) oder sonst wie für vom Hungertod bedrohte Menschen zu spenden, könnte der nicht genauso gut nach Äthiopien reisen, um dort eigenhändig ein paar Bauern zu erschießen? (…) Das Gute, so darf man folgern, gibt es nicht (…). Man sollte das Gute eher ein Ideal nennen (...) eine Art innerer Leitstern.

Über Tugendhaftigkeit. Eine jede Tugend wird auffallend schnell zum Problem, wenn man sie radikal ernst nimmt. Und noch problematischer ist, dass sich die Tugenden im Leben häufig auch noch gegenseitig auf den Füßen stehen. Ein Mensch, der unter Folter gezwungen werden soll, seine Mitstreiter zu verraten, wem ist er verpflichtet?

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel