Neues Adipositas-Medikament

Alles über die Skinny Drug der Stars

13.03.2023

Kim Kardashian machte eine hochwirksame Adipositas-Therapie weltbekannt. Was hinter der neuen Abnehmspritze – der „Skinny Drug“ – steckt und wie man sie sinnvoll einsetzt, verrät Prof. Dr. Siegfried Meryn.  

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Besondere Anlässe verlangen eine besondere Vorbereitung. Mehrere Stylisten pressen Kim Kardashian, bereits gut verpackt in ihre eigene Shapewear, in ein Kleid von Marilyn Monroe. Knapp, aber doch – es passt! Und die Bilder der New Yorker Met Gala gingen um die Welt. Abgesehen von den Kurven, die der Schönheitschirurg schuf, wirkt Kim ungewohnt mager – vor allem im Gesicht, an den Armen und den Beinen. Um in das Kleid zu passen, unterzog sie sich einer strengen Ernährungsumstellung und – wie Insider der Presse flüsterten – einer unterstützenden medikamentösen Abnehm-Therapie, die eigentlich nur Menschen mit starkem Übergewicht und Diabetes Typ 2 bekommen sollten. Hollywoods Gerüchteküche machte diese neuartige Abnehmspritze – in den USA „Skinny Drug“ (Drug ist englisch für Medikament) genannt – mit einem Schlag weltbekannt. Tech-Milliardär Elon Musk twitterte sogar ganz offen über seine Abnehmerfolge (minus 13 Kilo) mit dem Medikament. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von klarem Missbrauch – heben aber hervor, wie hoch­effizient die Fett-weg-Wirkstoffe bei Menschen mit gesundheitsgefährdenden Gewichtsproblemen wirkt.
gesund&fit fragte beim Wiener Internisten Prof. Dr. Siegfried Meryn nach, wie die Spritze wirkt, warum sie als ­Gamechanger gefeiert wird, wer es bekommt und was er von einer Verwendung à la Kardashian hält.

Abnehmen ohne Hunger
Die Abnehmspritze wurde ursprünglich zur Behandlung des Diabetes Typ 2 entwickelt und wird bereits seit einiger Zeit erfolgreich eingesetzt. Das Medikament senkt nämlich nicht nur den bei Diabetiker:innen aus dem Lot geratenen Blutzuckerspiegel, sondern schützt zudem Herz, Nieren sowie Gehirn vor „Zucker“ und hat noch einen weiteren sehr vorteilhaften Nebeneffekt: Das Medikament sättigt. Appetit und Heißhunger verschwinden. Ob dieses wirkungsvollen Sättigungseffekts wurde es schließlich auch für die Therapie von starkem Übergewicht zugelassen. Die sogenannten GLP-1-Rezeptoragonisten bilden das körpereigene Sättigungshormon GLP-1 nach und funken so dem Gehirn ein ständiges Sättigungsgefühl. Das Medikament ist also ein temporäres chemisches Magenband. Menschen, die es einnehmen, haben weniger Lust auf Essen und essen kleine Portionen. So wird der Kalorienverbrauch reduziert. Und sobald wir mehr Kalorien verbrennen, als wir zu uns nehmen, schwinden automatisch die Fettkilos.

Bis zu minus 3 Kleidergrößen
Wie viel man damit abnimmt, verrät der erfahrene Internist Prof. Meryn, ist individuell. Schließlich ist jeder Mensch anders. Laut Studien kann man mit den derzeit zugelassene Medikamenten bis zu 15 bis 18 Prozent des Körpergewichts verlieren. Das sind etwa zwei bis drei Kleidergrößen. Den größten Abnehmerfolg verzeichnet man in den ersten sechs Monaten. Danach wird die Abnehmkurve flacher. In dieser Phase kann die Dosis dann reduziert werden bzw. das Medikament sogar abgesetzt werden.
Besonders wichtig sei, so Prof. Meryn, Patient:innen gut aufzuklären und auch darauf vorzubereiten, dass die Therapie ein langer Weg ist und dass es mehr braucht als ausschließlich die regelmäßige Einnahme eines Medikaments. Denn wer gesund und nachhaltig abnehmen möchte, muss auch seinen Lebensstil anpassen. „Im Idealfall“, so Dr. Meryn, „stellt eine Diätologin einen individuellen Ernährungsplan zusammen, der auf Bedürfnisse und Vorlieben abgestimmt ist. Weiters ist regelmäßige Bewegung wichtig. Zudem gilt es, mögliche Essstörungen zu erkennen und in Gesprächen mit einer Psychologin zu behandeln. Denn oft steckt hinter starkem Übergewicht z. B. Stress- oder Frustessen.“ Je mehr gesundheitsfördernde Maßnahmen Patient:innen im Alltag manifestieren, desto wirkungsvoller, so Meryn, sei die Spritzen-Therapie. Zudem sorgt eine erfolgreiche Lebensstilmodifikation dafür, dass nach der Therapie das erreichte Zielgewicht leichter gehalten werden kann.

Die Skinny Drug in der Praxis
Wer in Österreich derzeit mit der Abnehmspritze behandelt wird, der verabreicht sich die Substanz Liraglutid. Verschrieben wird diese von Ärzt:innen, wenn gewisse Kriterien (s. auch Interview links) erfüllt sind – also man z. B. einen Body-Mass-Index (BMI) über 30 hat. Mittels Pen wird täglich morgens eine Dosis in eine Bauchfalte injiziert. „Die hauchdünne Nadel“, berichtet Kollegin Susanne M., „spürt man kaum und an das tägliche Spritzen gewöhnt man sich.“ Quasi „nebenbei“ verlor sie sechs Kilo – „ohne Kalorienzählen & Co“. „Das natürliche Sättigungsgefühl habe ich als sehr angenehm und als ­große Diäterleichterung empfunden.“ Künftig soll die Therapie noch alltagstauglicher werden. Denn mit Semaglutid wird demnächst eine Wirkstoffalternative zur Verfügung stehen, die nur einmal pro Woche verabreicht wird. „Das bietet eine psychologische Erleichterung“, so Meryn. Dieses Medikament ist bereits zugelassen, aber bei uns noch nicht verfügbar. Die Schuld dafür gibt man übrigens Elon Musk. Sein Abnehm-Tweet #wegovy (Anm.: so lautet der Handelsname der Arznei) löste einen weltweiten Hype um das Medikament aus, der zu Engpässen führte. Ende des Jahres sollte dann ein noch potenteres Medikament – „Kims’ Drug“ – zugelassen werden. „Studien“, so Meryn, „deuten darauf hin, dass sich damit der Gewichtsverlust noch um weitere zwei bis fünf Prozent steigern lässt.

Keine Wirkung ohne ...
... Nebenwirkung! Susanne M. hatte während ihrer Spritzentherapie weder Nebenwirkungen noch Einschränkungen – nur ein paar blaue Flecken bei den Einstichstellen. Wie das Mittel vertragen wird, ist allerdings individuell. Bei etwa einem Viertel der Patient:innen tritt in den ersten Wochen der Therapie Übelkeit auf. In schweren Fällen kann es auch zu Erbrechen, Verstopfung oder Durchfall kommen. Menschen, die Bauchspeicheldrüsen- oder Gallenblasenerkrankungen haben, sollten es nicht einnehmen. Prof. Meryn hat bereits über 100 Menschen mit dem Medikament behandelt: „Davon haben zwei Frauen ob der Nebenwirkungen abgebrochen. Auch hier ist wieder eine gute Aufklärung wichtig.“

Der Nebenwirkungen sollten sich all jene bewusst sein, die mit einem Off-Label-Use, à la Kardashian, letzte hartnäckige Kilos loswerden wollen. „Es handelt sich schließlich um ein Medikament mit Nebenwirkungen, das eine ärztliche Begleitung verlangt. Und es sollte vor allem Menschen vorbehalten sein, die es dringend benötigen.“   

Die Abnehmspritze: Wirkung und Kosten  

Kleine Wirkstoffkunde
Was in der Skinny Drug steckt:
In Europa sind derzeit zwei Wirkstoffe zugelassen, die salopp als Abnehmspritze oder Fett-weg-Spritze bezeichnet werden. Ein drittes ­Medikament, ein noch wirksameres Kombi­präparat, ist in der Pipeline.

– Liraglutid: ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der GLP-1-Rezeptoragonisten. Er kommt in Europa derzeit als Medikament gegen Typ-2-Diabetes und zur Gewichtsreduktion bei Adipositas zum Einsatz. Die GLP-1-Agonisten ahmen die Wirkung des Sättigungshormons GLP-1 nach, das im Darm gebildet wird. Sie senken den Blutzucker (wichtiger Faktor beim Abnehmen), zügeln Gelüste sowie Hunger und schützen zudem das Herz. Das Medikament verabreicht man sich selbst täglich mittels Einwegspritze (Pen). Etwa 15 Prozent bis 18 Prozent des Körpergewichts lassen sich mit dem Medikament abnehmen. Gut zu wissen: Eine langfristige Gewichtsabnahme von 15 Prozent und mehr war früher nur mit bariatrischen Eingriffen (Anm: chirurgische Magenverkleinerung, Magenbypass) möglich.
– Semaglutid: Ebenfalls ein GLP-1-Agonist für Diabetes und Adipositas, wirkt wie Liraglutid. Der Vorteil allerdings: Semaglutid wird statt täglich nur einmal wöchentlich mittels Pen verabreicht. „Das hat“, so Dr. Meryn, „psychologische Vorteile für Anwender:innen“. Es ist in Europa zugelassen, derzeit jedoch noch nicht in unseren Breiten erhältlich. Es wird voraussichtlich Mitte des Jahres auf den Markt kommen. Semaglutid ist das Medikament, mit dem Elon Musk abspeckte.
– Tirzepatid: Ist ein Mischpräparat, das u. a. GLP-1-Agonisten enthält. Es wird ebenfalls sowohl gegen Diabetes Typ 2 als auch Adipositas eingesetzt. In den USA ist es bereits erhältlich (Karda­shian hat es eingenommen). Die Zulassung für Europa wird Mitte bis Ende des heurigen Jahres erwartet. Das Präparat ist noch eine Spur potenter als Liraglutid und Semaglutid. „Der Gewichtsverlust“, so Meryn, „lässt sich damit zusätzlich um weitere zwei bis fünf Prozent steigern. Es wird einmal wöchentlich gespritzt.

Kosten
Die GLP-1-Agonisten werden zurzeit nur von der Krankenkasse übernommen, wenn ein Diabetes Typ 2 vorliegt. Die reine Adipositas-Therapie muss aus eigener Tasche bezahlt werden. Das derzeit einzig verfügbare Medikament zur Adipositas-Therapie (Anm: rezeptpflichtig!), Liraglutid, kostet pro Monat ca. 150 Euro (Apothekenpreis).   

Experte im Interview

 

Prof. Dr. Siegfried Meryn über die Abnehmspritze   

Der Internist beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Übergewicht und Essstörungen. „Ich weiß“, so Meryn, „wie hoch der Leidensdruck der Menschen ist.“ Das Thema in den medialen Fokus zu rücken, Betroffene über neuartige Therapien aufzuklären und diese allen Menschen zugänglich zu machen, ist daher sein großes Anliegen.

Welche Erfahrungen haben Sie bis dato mit dem Medikament gemacht?
Prof. Dr. Siegfried Meryn:
Ich habe in meiner Praxis über 100 Menschen damit behandelt. Das Medikament ist ein Gamechanger, mit dem Patient:innen bis zu 15 bis 18 Prozent ihres Gewichts abnehmen – ohne Hunger zu verspüren. Denn es imitiert ein Sättigungshormon und bremst Heißhunger.


Wem verschreiben Sie es?
Prof. Meryn:
Patient:innen, die die internationalen Kriterien erfüllen. Diese sind entweder ein Body Mass Index (BMI) über 27 in Kombination mit Übergewicht-assoziierten Begleiterkrankungen (Anm.: Bluthochdruck, hohe Blutfette, Prädiabetes oder Typ-2-Diabetes) oder ein BMI über 30 – da müssen keine Begleiterkrankungen vorliegen. Das Medikament ist jedoch nur eine von mehreren Therapie-Säulen. Bewegung, Ernährung und psychologische Beratung gehören ebenfalls zu einer ganzheitlichen Adipositas-Behandlung.

Wie läuft eine Adipositas-Therapie ab?
Prof. Meryn:
Wenn Sie zu mir in die Praxis kommen, werden Sie gründlich durchgecheckt und darauf überprüft, ob sie das Medikament auch vertragen werden. In meinem Team ist eine Diätologin, die individuelle Ernährungspläne erstellt und eine Lebensstilumstellung begleitet. Zudem gibt es das Angebot, mit einer klinischen Psychologin zu arbeiten, die auf Essstörungen spezialisiert ist. Oft steckt Frustessen hinter Übergewicht. Patient:innen werden zudem regelmäßig durchgecheckt und von uns begleitet. Das Credo lautet Unterstützung!

Welche Nebenwirkungen gibt es?
Prof. Meryn:
Vor allem Übelkeit. Zwei meiner Patient:innen haben deshalb abgebrochen. Deshalb rate ich auch vor einer Lifestyle-Verwendung ab. Es ist schließlich ein Medikament, das Nebenwirkungen hat.

Es ist als Langzeittherapie gedacht und mit ca. 150 Euro pro Monat nicht günstig. Wer bekommt es bezahlt?
Prof. Meryn:
In Österreich bekommen bis dato nur jene Menschen das Medikament von der Krankenkasse genehmigt, die einen Diabetes Typ 2 haben. Die Österr. Gesundheitskasse sieht allerdings, dass das ein ernst zu nehmendes Medikament ist, das mit großem Erfolg eingesetzt wird. Wir steuern auf einen fetten Planeten zu – 2030 wird es laut Schätzungen eine Milliarde schwer übergewichtige Menschen geben. Es gibt daher eine dringende Notwendigkeit gegenzusteuern. Daher hoffe ich, dass Menschen, die an Übergewicht sowie auch Begleiterkrankungen, wie z. B. Fettleber, leiden, dieses Medikament in naher Zukunft bezahlt bekommen.


Wirkt das Medikament bei allen Menschen mit Übergewicht?
Prof. Meryn:
One size fits all gibt’s in der Medizin nie. Das Spannende ist hier aber, dass das Medikament bei fast allen sehr gut wirkt – gerade deshalb wird es auch als Gamechanger bezeichnet. Aber es wirkt nicht bei allen gleich. Es wirkt besonders gut bei all jenen, die alle Säulen einer Adipositas-Therapie umsetzen. Neben dem Medikament sind das vor allem Ernährung und körperliche Aktivität.


Die Wirkstoffe sind zur Langzeittherapie geeignet. Den größten Abnehm­erfolg verzeichnet man in den ersten sechs Monaten, dann wird ein Plateau erreicht. Wie steht’s um den Jo-Jo-Effekt, wenn man die Medikamente absetzt?
Prof. Meryn:
Das weiß man derzeit noch nicht. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit, die Dosis zu reduzieren und zu beobachten, ob sich das Gewicht halten lässt und ob der Appetit wieder zurückkommt. Wichtig ist, dass die Lebensstilumstellung bereits internalisiert ist. Bei manchen Patient:innen macht es vermutlich Sinn, die Therapie über das von ihnen selbst gesetzte Therapieziel hinaus weiterzuführen, um einem Jo-Jo-Effekt vorzubeugen.

Die Hemmschwelle, einen Arzt zu konsultieren, wenn es kein Notfall ist, ist oft hoch – u. a. besteht Angst vor hohen Kosten. Gibt es besonders niederschwellige Angebote für Adipositas-Betroffene?
Prof. Meryn
: Es gibt Spezialambulanzen in allen Bundesländern mit einem niederschwelligen Angebot. Man hat natürlich die Möglichkeit, sich vom Hausarzt an einen spezialisierten Internisten überweisen zu lassen. Die Österreichische Gesellschaft für Adipositas (Anm: www.adipositas-austria.org) führt online Kolleg:innen, die auf das Thema spezialisiert sind.   

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