Wertschätzung
Für besondere Kids: Was beeinträchtigte Kinder wirklich brauchen
12.08.2024Pflegende Angehörige und ihre Kinder erhalten nach wie vor wenig Entlastung. Ein Verein zeigt Missstände auf und setzt sich für die liebevolle und familiäre Betreuung beeinträchtigter junger Menschen ein.
Ein Kind mit besonderen Bedürfnissen großzuziehen und liebevoll in seiner Entwicklung zu fördern, ist zweifelsohne eine Lebensaufgabe: Eltern und pflegende Angehörige sind oft 24/7 gefordert, erhalten im Alltag jedoch kaum Unterstützung.
Am Limit
Denn nach wie vor mangelt es an Betreuungsstrukturen für Kinder mit Behinderung. „Die Tagesstrukturen platzen aus allen Nähten, die Wartelisten für Plätze in Heimstrukturen sind lange, die Gruppen zu groß, Betreuerrar und überlastet. Dadurch fehlt es Eltern an Planungssicherheit: Sie wissen oft nicht, wie die Zukunft ihrer Kinder nach der Schulzeit aussieht“, schildert Tanja Pipal-Kainz, selbst Mama eines schwer beeinträchtigten Buben. Gemeinsam mit anderen Familien hat sie 2021 den Verein „DaHuam4Kids“ ins Leben gerufen. Das Ziel: für Kinder mit Behinderung im Mittelburgenland eine teilstationäre, wohnortnahe Betreuung in familiärer Atmosphäre zu schaffen. Wir haben mit Tanja Pipal-Kainz über ihr Projekt gesprochen:
Was brauchen junge Menschen mit besonderen Bedürfnissen?
Tanja Pipal-Kainz: Zunächst das, was wir alle brauchen: Wertschätzung, ein liebevolles Umfeld, persönliche Entfaltung und die Möglichkeit, möglichst selbsständig am täglichen Leben teilzuhaben. Dafür braucht es viel Achtsamkeit, Geduld, Miteinander und Zeit. Genau daran mangelt es heutzutage, wo doch alles möglichst schnell gehen muss, leider viel zu oft. Dabei bekommt man so viel zurück, wenn man sich Zeit für ein Kind nimmt. Bis mein Sohn etwa einen Scherz verstanden hat, hat sich sein Gegenüber oft schon weggedreht – und das herzhafte Lachen eines Kindes verpasst.
Was brauchen Eltern und pflegende Angehörige?
Pipal-Kainz: Wir brauchen Sicherheit, dass unsere Kinder eine Zukunft haben, dass sie auch nach der Schulzeit langfristig einen guten Platz in einer Betreuungseinrichtung – etwa einer Tages- oder Heimstruktur – bekommen, in der sie sich wohlfühlen und individuell gefördert werden. Ein Kind großzuziehen, ist grundsätzlich schon eine sehr große Aufgabe. Hat das Kind eine Beeinträchtigung, ist diese Aufgabe noch gewichtiger. Wenn uns Eltern einmal die Luft ausgeht, wir selbst krank sind oder Kraft schöpfen möchten, brauchen wir Entlastung in Form einer Kurzzeitpflege. Das haben wir aktuell nicht.
Was können wir alle tun, um Kinder mit besonderen Bedürfnissen und ihre Familien zu unterstützen?
Pipal-Kainz: Es ist so wichtig, dass junge Menschen mit Beeinträchtigung Teil der Gesellschaft sind und nicht nur als Randgruppe wahrgenommen werden. Ich würde mir wünschen, dass die Leute den Menschen hinter der Behinderung wahrnehmen. Das wäre ein erster Schritt.
Werden beeinträchtigte Menschen denn primär auf ihre Behinderung reduziert?
Pipal-Kainz: Es kommt natürlich auf die Art der Behinderung an, aber ja, schon. Mein 17-jähriger Sohn hat eine offensichtliche schwere Behinderung: Er sitzt im Rollstuhl. Tatsächlich schreckt das viele Menschen ab. Wobei Kinder oft weitaus weniger Berührungsängste haben als Erwachsene. Kinder sind oft offener, weniger unsicher und fragen meinen Sohn nach „seinem coolen Rolli“. Manchen Eltern ist das dann unangenehm, sie versuchen ihre Kinder davon abzubringen, mit meinem Sohn ein Gespräch zu beginnen. Dabei ist diese Offenheit so wichtig und schön – insbesondere für die Kids.
Was wünschen Sie sich vom System und der Politik?
Pipal-Kainz: Dass wir gehört werden, mitreden und mitgestalten dürfen. Betroffene Familien haben so viel Know how, das sich die Politik zunutze machen sollte. Oft werden jedoch Entscheidungen getroffen, ohne dass man überhaupt weiß, worum es im Kern wirklich geht, wie der Alltag von pflegenden Angehörigen und beeinträchtigen Menschen wirklich aussieht, wie es in Betreuungsstrukturen wirklich zugeht. Fakt ist: Die Betreuung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen muss neu gedacht werden, Betroffene sollten dabei mit am Tisch sitzen dürfen!
Warum liegt Ihnen der Verein so am Herzen?
Pipal-Kainz: So viele betroffene Familien strudeln im Alltag. Oft fehlt die Kraft, etwas auf die Beine zu stellen – selbst dann, wenn es Besserung mit sich bringt. Das gemeinsame Vorwärtsgehen, wie wir es im Verein haben, gibt Kraft. Man fühlt sich verstanden, hat die gleichen Ziele. Und Und es tut unheimlich gut, miteinander Zeit zu verbringen – Eltern und Kindern.
Ihre Herzensmessage?
Pipal-Kainz: Wertschätzung und Offenheit sind so wichtig. Ich wünsche mir, dass die Menschen offen über derartige Themen sprechen. Das System hakt derzeit an vielen Ecken und Enden, es ist wichtig, die Augen nicht davor zu verschließen. Alle Eltern, ganz gleich, ob sie ein Kind mit besonderen Bedürfnissen haben oder nicht – wünschen sich das Beste für ihr Kind. Unsere Kinder brauchen später auch außerhalb der Familie ein liebevolles, unterstützendes Umfeld. Sie brauchen Betreuung mit dem Gefühl von „dahuam“.