Südkorea
Gucci statt Kind: Baby-Krise verschärft sich
29.08.2024Südkorea hat die weltweit niedrigste Geburtenrate. Die "Generation YOLO" setzt vor allem auf Luxus. Finanzielle Not ist der Hauptgrund für den Verzicht auf Kinder.
Schicke Kleidung und exquisites Essen oder Nachwuchs? Jungen Frauen in Südkorea fällt diese Entscheidung meist leicht. Die viertgrößte Volkswirtschaft Asiens hat weltweit die niedrigste Geburtenrate, und alle Bemühungen der Regierung, dies zu ändern, laufen ins Leere. Soziologen machen dafür die Prioritäten der 20- und 30-Jährigen verantwortlich. Statt für das eigene Nest zu sparen, geben sie lieber Geld für Luxus und tolle Erlebnisse aus.
Erfolgssymbol wichtiger als Kinder
"Sie jagen nach Status", sagt Jung Jae Hoon, Soziologieprofessor an der Seoul Women's University. "Ihr Ausgabeverhalten zeigt, dass die jungen Leute online an ihren eigenen Erfolgssymbolen arbeiten, anstatt sich auf das unmögliche Ziel zu konzentrieren, sesshaft zu werden und Kinder zu haben."
"Bei mir dreht sich alles um YOLO" (you only live once)", bestätigt Park Yeon, eine 28-jährige Mode-Influencerin auf Instagram, während sie T-Shirts der Edelmarke Supreme auf einem Secondhand-Modefestival im Seouler Fashion-Viertel Seongsu Dong verkauft. "Nachdem ich mich selbst belohnt habe, bleibt nicht genug übrig, um jeden Monat zu sparen", sagt die aufstrebende Sängerin. "Heiraten wird vielleicht irgendwann passieren, aber im Moment glücklich zu sein - das ist doch wichtiger, oder?"
Zahl der Neugeborenen erreicht neuen Tiefstand
Südkorea hat bereits die niedrigste Geburtenrate der Welt und stellt weiter neue Rekorde auf. Erst im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Neugeborenen einen neuen Tiefstand. Einer früheren Prognose zufolge soll die Geburtenrate 2024 weiter auf 0,68 sinken. Rekordhalter ist die Hauptstadt Seoul, wo die Wohnkosten am höchsten sind, mit einer Rate von 0,55. Zum Vergleich: Auch in Österreich ist die Geburtenrate gesunken. Der Statistik Austria zufolge lag sie 2022 bei 1,41 Kindern pro Frau. Im Jahr 2021 waren es 1,48 gewesen.
Seit 2018 ist Südkorea das einzige Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit einer Rate unter 1,0 - trotz der Milliardeninvestitionen des Landes, um den Trend umzukehren. Die demografische Krise in Südkorea ist zum größten Risiko für das Wirtschaftswachstum und das Sozialsystem geworden. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird sich die Bevölkerung des Landes, die heute 51 Millionen Menschen umfasst, voraussichtlich halbieren.
Geld wird in Kaufhäusern und Spitzenhotels ausgegeben
Nicht einmal die aggressiven Zinserhöhungen Südkoreas in den letzten drei Jahren konnten die Ausgabefreude der Jüngeren eindämmen. Die Sparquote der über 30-Jährigen ging im ersten Quartal auf 28,5 Prozent von 29,4 Prozent vor fünf Jahren zurück. Dagegen stieg die Sparquote aller anderen Altersgruppen im gleichen Zeitraum an, wie Daten der heimischen Zentralbank zeigen. Die 20- und 30-Jährigen geben gleichzeitig am meisten Geld in Kaufhäusern und Spitzenhotels aus.
Aus Daten von Hyundai Card geht hervor, dass sich der Anteil der 20-Jährigen an den Ausgaben in Luxuskaufhäusern in den drei Jahren bis Mai auf zwölf Prozent fast verdoppelt hat. Dagegen war der Anteil der anderen Altersgruppen rückläufig. Allein im vergangenen Jahr stiegen die Umsätze in teuren Buffet-Restaurants um fast ein Drittel. In Fast-Food-Restaurants lag das Plus lediglich bei gut zehn Prozent, wie die Marktforscher von Euromonitor mitteilen.
Höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Luxusmarken
Weltweit hat Südkorea nach Angaben von Morgan Stanley die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Luxusmarken. Damit ist das Land ein begehrtes Ziel von Edelmarken. Die französischen Luxus-Labels Chanel, Celine und die zu LVMH gehörende Marke Dior haben alle als globale Markenbotschafter Verträge mit auf Teenager ausgerichteten K-Pop-Gruppen wie Blackpink und NewJeans unterzeichnet.
Unter dem Strich bleibt da zu wenig übrig, um Kinder großzuziehen. Finanzielle Schwierigkeiten sind so auch mit Abstand der Hauptgrund, warum Südkoreaner keine Kinder haben, wie aus einer Umfrage der Forschungsfirma PMI im Mai hervorging. Knapp die Hälfte der 1.800 Befragten gaben entweder die Arbeitsplatzunsicherheit oder die Ausbildungskosten als Grund für ihre Entscheidung gegen Kinder an.
Nachdem Dutzende politische Maßnahmen den Trend nicht umkehren konnten, soll nun ein neues Ministerium geschaffen werden, das sich auf demografische Probleme konzentrieren soll. Die finanzielle Unterstützung für Familien mit Neugeborenen, länger bezahlter Elternurlaub, kostenlose Taxifahrten oder auch Zuschüsse zur Umkehrung von Sterilisationen bei Männern hatten zuvor den Geburtenrückgang nicht stoppen können. Ob dies nun ein neues Ministerium vermag, bleibt fraglich. Bei einer Umfrage in 17 Industriestaaten des Pew Research Centers im Jahr 2021 zu dem Thema, was dem Leben Sinn verleiht, war Südkorea das einzige Land, in dem materieller Wohlstand die am häufigsten genannte Antwort war. Andernorts standen Familie oder Gesundheit oben.