Experten-Talk

Karrieretrend "Soft Work": Warum die Muss-Kultur ausgedient hat

Teilen

„Ich muss gar nichts!“ heißt das neue Buch von Tina Ruseva, in dem sie erklärt, wie eine Kultur des Wollens anstelle des Müssens in der Arbeitswelt etabliert werden kann. 

„Muss-Kulturen sind das eigentliche Problem und bis heute gelebte Realität für viele junge und erfahrene Berufstätige“, erläutert Tina Ruseva, Expertin für Teamkultur und digitale Unternehmerin, das Motivationsproblem, über das Arbeitnehmer:innen ebenso wie Arbeitgeber:innen mehr denn je klagen. „Mit 21 Prozent ,still gekündigten‘ Mitarbeitenden zeigt das Gallup Engagement Index 2023, was es für die meisten heißt: desillusioniert, demotiviert und disconnected in einem Job zu bleiben, der nichts mehr als Dienst nach Vorschrift bedeutet.“ Ein Umstand, der für die anerkannte Expertin für Entrepreneuership und Innovation ebenso wenig haltbar ist, wie das Verharren in der Unzufriedenheit und damit einer stetigen Verschlechterung des Arbeitsmarktes, wie er derzeit quer durch sämtliche Branchen zu spüren ist.

Handeln statt Jammern lautet deshalb das Gebot der Stunde. Weg von der Hierachie, hin zum selbstbestimmten, eigenverantwortlichen – und damit erfüllteren und effzienteren Arbeiten– will Ruseva uns mit ihrem neuen Buch und ihrem Mantra führen: „Ich muss gar nichts!“ (Haufe). Hier Einblicke in Tina Rusevas Arbeitsansätze:

Karrieretrend
© Haufe
× Karrieretrend

Warum die Muss-Kultur ausgedient hat

Die Muss-Kultur regiert mit Anweisungen, Abläufen und Autorität. Es wird auf die Distanz zwischen Mitarbeitenden und Chef geachtet und man hält sich am besten an eine ritualisierte Kommunikation. Arbeit wird lediglich als Vertrag betrachtet, bei dem man Leistung gegen Geld tauscht. Man kann die Arbeitsleistung demnach vermessen und bewerten: Arbeitsstunden, Überstunden, Ziele. (...) Leerlauf, „Präsentismus“ oder „Absentismus“ sind nach den Regeln einer Muss-Kultur korrekt verwendete Taktiken. (...) Diese Taktiken mögen auf kurze Sicht funktionieren und sogar Anerkennung bringen. Auf lange Sicht untergraben sie aber die Integrität und den Sinn der Arbeit und führen dazu, dass man nicht wirklich am gemeinsamen Ziel arbeitet, sondern immer nur versucht, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. (...) In der Wirtschaft von morgen müssen wir uns darauf einstellen, dass sich die Spielregeln und die Mitspielenden ständig ändern. Als Spielfeld erfordert ebendiese Wirtschaft von morgen Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft, die in einer rigiden Muss-Kultur als zweitrangig angesehen werden. Unternehmen, die im „unendlichen Spiel“ bestehen wollen, müssen eine Kultur pflegen, die über die reine Fixierung auf Regeln hinausgeht.

Laut Gallup Engagement Index, einer der größten Erhebungen zur Arbeitsstimmung weltweit, haben 2023 21 Prozent aller Beschäftigten, 7,3 Millionen Deutsche also, innerlich gekündigt. „Still gekündigte“ Angestellte erfüllen lediglich das Mindestmaß ihrer Aufgaben – sie haben eben still, aber nicht offiziell gekündigt. Begriffe wie „Dienst nach Vorschrift“, „Schlendrian“ und „Leistungs-Shaming“ haben sich in der öffentlichen Wahrnehmung festgesetzt und prägen die Debatte um Arbeitsmoral und Leistungsbereitschaft.

Arbeit ist, wie wir gemeinsam die Welt gestalten

Mittlerweile spricht man von einer neuen Pandemie – der der fehlenden Bindung, des fehlenden Austauschs, der fehlenden Zugehörigkeit. Sich dem entgegenzustellen ist die größte Herausforderung für die Unternehmen der Zukunft, denn ohne Bindung, Austausch und Zugehörigkeit sind Unternehmen keine Organisationen, sondern einfach nur Gruppen von Menschen. (...) Es braucht ein neues Paradigma, neue Strukturen und ein neues Verständnis vom Stellenwert der Arbeit. Erfolgreiche Unternehmen haben es schon immer verstanden, große Mengen von Menschen zu befähigen, zusammen auf ein gemeinsames Ziel hin zu arbeiten. (...) Machtausübung über Hierarchien, formale Autorität oder Jobtitel haben in dieser Welt ausgedient. Wer als Arbeitgeber, Unternehmer:in oder Führungskraft erfolgreich Einfluss nehmen will, muss Freiräume zur Verfügung stellen und ein sinnorientiertes, eigenverantwortliches Arbeiten ermöglichen. Und das – Achtung! – im Kollektiv.

Dazu braucht es eine Kultur, in der Mitarbeitende nicht wegen des Drucks von oben handeln, sondern weil sie den wahren Sinn verstehen und sich für das „große Ganze“ einsetzen wollen. (...) Gerade seit der Pandemie spitzt sich die Situation immer mehr zu. Gegenseitige Vorwürfe bestimmen zunehmend die Diskussion. (...) Neben einem „War for Talents“, womit man den Fachkräftemangel bezeichnet, spielt sich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden mittlerweile öffentlich ein regelrechter „War for Culture“ (also ein Kulturkrieg) ab, wobei jede Seite darauf aus ist, der anderen vorzuschreiben, was sie muss.

Soft Work: Die vier Elemente selbstbestimmter Arbeitskultur

Die Anspielung beim SOFT WORK Framework auf den Begriff „Soft Skills“ ist gewollt. Das Herzstück einer Will-Kultur sind nämlich Beziehungen und diese hängen von den Soft Skills von Mitarbeitenden und Führungskräften. (...) Das SOFT WORK Framework basiert auf den vier Erfolgskriterien für gute Arbeitsbeziehungen: Synergien, Offenheit, Fairness und (heute) Technologie. Diese sind die Gegenpole zu den aktuell vorherrschenden Bedingungen in den meisten Unternehmen: Silos, Orthodoxie, Favoritismus und Tradition. (...) „SOFT WORK“ steht nicht nur für eine tiefgreifende Veränderung in unserer Einstellung zur Arbeit, sondern auch für die wichtiger werdende Rolle von Soft Skills als Grundkompetenzen der Arbeitswelt der Zukunft. Es symbolisiert die Bewegung hin zu einer Arbeitswelt, in der der Mensch nicht nur als Arbeitsressource (vgl. „Human Resources“) im Mittelpunkt steht, sondern die Beziehungen zwischen diesen Menschen essenziell für den Erfolg sind. (...) Ein Leben, in dem wir nicht nur nach Vorschrift handeln, sondern unsere Systeme als aktive Akteure ständig mitgestalten – eine Chance, die es zu ergreifen gilt.

In dieser neuen Welt der Arbeit ist die eigentliche Botschaft an uns alle, dass wir weniger Ego und weniger Müssen dürfen, sondern alle mehr Miteinander und Wollen sollen.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.
OE24 Logo
Es gibt neue Nachrichten