Zweifache Olympia-Siegerin, 17-fache Weltmeisterin, 5-fache Europameisterin. Bahnradleistungssportlerin Kristina Vogel brach sämtliche Rekorde. Bis ein schwerer Trainingsunfall 2018 ihr Leben völlig veränderte. Heute gewinnt sie täglich – auf andere Weise.
Es sind zwei Instagram-Postings, die zusammenfassend für Kristina Vogels Geschichte stehen. Am 24. Juni 2018 zeigte sie sich ihren Fans jubelnd auf einem Siegerpodest. 77 Tage später meldet sie sich zurück im öffentlichen Leben – nach einem erbitterten Lebenskampf, Koma und Schmerzen – im Rollstuhl, für immer. Seither rollt die erfolgreichste Bahnradsportlerin der Welt anders durchs Leben. „Erwachsener, mit mehr Verantwortungsbewusstsein und einem anderen Fußabdruck“, wie die 32-Jährige, die 1991 mit ihrer Mutter von Kirgistan nach Deutschland kam, sagt.
Als Inspirational Woman of the Year wird Kristina Vogel am 18. Oktober mit dem Vienna Award geehrt. MADONNA darf der Powerfrau, Autorin („Immer noch ich. Nur anders.“), Keynote-Speakerin, TV-Kommentatorin und Trainerin der Spitzensportfördergruppe der Bundespolizei die Auszeichnung überreichen. Das Interview.
Sie werden heuer mit dem Vienna Award als Inspirational Woman of the Year geehrt. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Kristina Vogel: Das ist etwas sehr Schönes, weil auch ganz tolle Menschen davor schon mit diesem Award geehrt wurden. Das ist natürlich auch eine Wertschätzung der Arbeit, die man macht und mit der man versucht, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Dass das scheinbar fruchtet und anerkannt wird, ist sehr schön. Ich freue mich auch schon darauf, Wien einmal so richtig kennenlernen zu können. Ich war ja Leistungssportlerin und vor vielen Jahren einmal in Wien bei einem Rennen, aber damals hatte ich einen ganz anderen Fokus und kaum Zeit, mir etwas anzusehen.
Sie sagen, dass Sie einmal Leistungssportlerin waren – tatsächlich sind Sie bis dato die beste Bahnradsportlerin der Welt. Sie haben 17 Weltmeistertitel, 2 Mal Olympiagold und viele andere Siege geholt – bis 2018 ein Trainingsunfall Ihr Leben völlig veränderte. Wie würden Sie diese Veränderung heute beschreiben?
Vogel: Wenn man durch das Leben einmal geht und einmal rollt, aber es auch einmal als Leistungssportlerin und dann zwar auch als Sportlerin, aber nicht im aktiven Sinne, erlebt, ist das eine komplette Veränderung. Ich kann sagen, dass der Unfall mich extrem erwachsen gemacht hat, wobei ich nicht genau erklären kann, warum das so ist. Ich weiß auf jeden Fall, dass ich in der Zeit seit dem Unfall extrem gereift bin. In mir und in meiner Persönlichkeit – und das tut gut. Ich habe das Gefühl, dass ich heute einen ganz anderen Fußabdruck auf der Welt hinterlassen kann. Klar tut man das als Sportlerin auch, aber heute geht es mehr um Verantwortungsbewusstsein als darum, Menschen zu begeistern. Früher wurde ich für die Goldmedaillen und den Spaß, den ich den Menschen beim Zusehen bereitet habe, gefeiert – heute stehe ich in der Öffentlichkeit, um aufzuklären, dass Sport aus meiner Sicht die Welt verändern kann, weil er – spielerisch – Werte mitgibt. Ich will aber auch, dass die Welt barrierefrei und divers wird, weil wir das sein müssen – weil das eine Kraft ist, die wir leider immer noch ignorieren.
Wie barrierefrei und divers empfinden Sie als Mensch mit einer Behinderung die Welt denn?
Vogel: Im Sport lernst du ganz spielerisch Menschen mit verschiedenen Kulturen, Hautfarben, mit und ohne Behinderung kennen. Die Sportwelt ist da eigentlich recht inklusiv. Aber im Alltag steht man vor ganz anderen Problematiken. Wenn man so durch die Welt geht wie ich, stellt man fest, dass sie überhaupt nicht barrierefrei ist. Wir tun immer so, fahren die tausendste Kampagne, machen uns kurz eine Regenbogenschnalle drauf und laden mal kurz eine Rollstuhlfahrerin ein zu moderieren,... aber das war es dann eigentlich auch. Wenn wir ehrlich sind, ist es so. Es gibt Gesetze, die Inklusion anders beschreiben, aber es gibt keine Strafe, wenn sie nicht wirklich stattfindet. Es fehlt beispielsweise an Begegnungszonen – schon für Kinder –, in denen sich alle Menschen treffen und kennenlernen. Alle Kindergärten und Schulen sollten barrierefrei sein – es sollte völlig normal sein, dass die unterschiedlichsten Menschen einander begegnen können. Es ist leider immer noch so, dass Menschen mit Behinderung wie ich einen Stempel aufgedrückt bekommen und sozusagen Bubbles für Menschen geschaffen werden. Da gibt es dann Behindertenwerkstätten oder ähnliches, was ja ganz nett ist, aber zu einer echten Inklusion trägt das nicht bei. Wenn wir das endlich mal abschaffen würden, dann gäbe es keine Vorurteile mehr, keine Ängste – dann wäre es völlig normal, dass Menschen im Rollstuhl Shows moderieren oder auf dem Cover der Vogue posieren.
Abgesehen davon, dass Sie auch in der Politik tätig waren, sind Sie heute auch auf Social Media sehr aktiv, wo Sie relativ kurz nach dem Unfall begonnen haben, Ihr neues Leben zu zeigen. Fiel Ihnen das zuerst schwer oder war Ihnen das sogar wichtig?
Vogel: Für mich war es super wichtig. Ich wollte mich nicht verstecken. Ich war natürlich dankbar, dass mein Partner und mein Manager in der Zeit, als ich nicht selbst entscheiden konnte, eine Nachrichtensperre erhoben, sodass niemand wusste, wie es mir geht. Ich bin ja fast gestorben und es gab viele Momente, die man dann doch lieber mit sich alleine ausmacht. Aber dann kam der Moment, in dem ich den Menschen zeigen wollte, wie es mir geht. Dass ich okay bin, auch wenn das Leben hart zugeschlagen hat. Ich wollte und will der Welt zeigen, dass ich immer noch Kristina bin – egal ob ich auf dem Fahrrad oder im Rollstuhl rolle.
Sie haben stets mental enorm stark gewirkt – was hat Ihnen, abgesehen von Ihrem Lebenspartner, diese Kraft gegeben? Haben Sie therapeutische Hilfe in Anspruch genommen oder haben Sie durch den Leistungssport von Haus aus eine besondere mentale Konstitution?
Vogel: Es ist wohl ein Mix aus beidem. Natürlich lernt man im Leistungssport, dass man, um Erfolge zu erzielen, hart arbeiten muss. Da gibt es kein: „Es geht mir schlecht, heute kann ich nicht.“ Ich bin da sehr pragmatisch und sehe es als meinen Job an, so etwas zu meistern. Im Sport funktioniert das gut, aber sonst man muss nicht immer so hart zu sich sein und darf auch mal schwach sein. Bei mir war es nur immer so, dass ich keinen Bock darauf hatte, dass es mir schlecht geht. Ich wollte, dass es mir gut geht und irgendwie raus aus der Leidensspirale. Natürlich war das zwischenzeitlich schon sehr schwer – ich habe ja um mein Leben gekämpft. Aber am Ende ist so ein Unfall auch ein Job, der gemacht werden muss. Ein Heilungsprozess kann auch ein Gewinn sein – einer, den man vielleicht nicht so beeinflussen kann wie jenen im Leistungssport. Das zu akzeptieren, war nicht einfach.
Sie hatten 2009 einen schweren Unfall, 2018 den lebensverändernden Unfall... haben Sie manchmal Angst davor, was das Leben noch für Sie parat hat?
Vogel: Mein lieber Freund Frank Stäbler, Medaillengewinner im Ringen, hat mir einmal etwas sehr Gutes gesagt, das zu meinem Lebensmotto wurde: Was ist der Unterschied zwischen einem Angsthasen und einem Krieger? Der Angsthase stirbt tausend Tode, der Krieger nur einen!