Eine alarmierend-gefährliche Situation: In Europa weiß jeder zweite HIV-Infizierte nach Experten-Einschätzung nichts von seiner Infektion.
"Wir gehen von einer sehr hohen Dunkelziffer aus", sagte Prof. Jürgen Rockstroh zu Beginn der 12. Europäischen Aidskonferenz in Köln mit 4.000 Experten.
In Westeuropa wissen geschätzte 30 Prozent der HIV-Infizierten, in Osteuropa sogar zu bis 70 Prozent nicht von ihrer Immunschwäche - und geben das Virus weiter. "Oft kommt es dann erst zu einer Diagnose, wenn sich schon manifest Aids entwickelt hat, und es wird schwierig mit einer deutlich vorteilhaften Behandlung, das Todesrisiko ist dann hoch."
Es gebe nirgendwo Grund zu Entwarnung oder Sorglosigkeit, betonte Rockstroh von der Uniklinik Bonn, der auch Tagungspräsident ist: "Auch heute stirbt man noch an Aids, auch in Deutschland, vor allem die, die zu spät kommen, die ihre Diagnose erst erhalten, wenn sie schon unter Organausfällen leiden." Die Experten beraten vier Tage lang, wie die Sterblichkeit mit neuen Test-Kampagnen, früherer Diagnose und besserem Zugang zu einer Behandlung - vor allem in osteuropäischen Ländern - verringert werden kann.
Nach wie vor vorbeugend wichtig sei die Kondom-Nutzung, betonten die Experten. Die französische Medizin-Nobelpreisträgerin Francoise Barré-Sinoussi kritisierte in der "Frankfurter Rundschau" Äußerungen von Papst Benedikt XVI. vom Frühjahr, Kondome seien keine Lösung für das Aidsproblem, als falsch und "fatal". Die Industriestaaten müssten mehr Geld für den weltweiten Kampf gegen Aids geben. Die Lage in Ländern wie Uganda und Kamerun sei dramatisch. Die Medizinerin hatte den Nobelpreis 2008 zusammen mit ihrem Kollegen Luc Montagnier für die Entdeckung des Aidserregers HIV erhalten.
Bei der Aidskonferenz geht es auch um die Suche nach einem Impfstoff. Jüngst veröffentlichte Ergebnisse einer Impfstudie von Forschern aus den USA und Thailand seien "ein erstes Signal, aber nicht mehr", meinte Barré-Sinoussi. Es werde noch sehr lange dauern, bis ein Impfstoff zur Verfügung stehe.
Über drei Jahre hatten 16 000 Freiwillige, die nicht mit HIV-Viren belastet waren - in zwei Gruppen aufgeteilt - entweder den Testimpfstoff oder ein Placebo erhalten. In der geimpften Gruppe war die Infektionsrate anschließend niedriger, das Ergebnis hatte jedoch keine hohe wissenschaftliche Signifikanz. "Es ist wie mit einem Metalldetektor, der Alarm schlägt. Er hat eine alte Kisten gefunden mit zwei Goldstückchen drin, aber nicht den erhofften Schatz", erläuterte der Immunologe Georg Behrens aus Hannover.
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