Das Schweigen ist gebrochen

Die Bedeutung der #metoo-Bewegung

27.10.2017

Schauspielerin Alyssa Milano rief – und Hunderttausende folgten. Unter   #metoo posten Frauen weltweit, wie auch hierzulande, ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Welche Konsequenzen nun gezogen werden müssen.

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Me too. Zwei kleine Worte mit großer Bedeutung. Sie stehen für einen demütigenden Kommentar. Oder eine scheinbar zufällige Berührung. Manchmal aber auch für pure körperliche Gewalt. Liest man in den sozialen Netzwerken aktuell unter #metoo nach, findet man unzählige und vielfältige Leidensberichte Hunderttausender Frauen. Das Echo auf die Hashtag-Bewegung, die der Skandal rund um den Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein (65) ausgelöst hat, zieht weite Kreise und zeigt ein gleichermaßen trauriges wie wichtiges Faktum: Sie sind mit Ihrer Geschichte nicht allein.       

Wie geht es weiter?Knapp vier Jahre nach der „Aufschrei“-Debatte findet erneut eine große Diskussion über Frauen, Männer, Gleichberechtigung – und den ­respektvollen Umgang miteinander statt. Treten wir auf der Stelle oder kann Veränderung tatsächlich passieren? Laura Himmelreich, die 2013 maßgeblich die deutsche Sexismus-Diskussion intiierte, sieht die Bewegung positiv (siehe Interview im Kasten rechts). „Wenn #metoo Menschen dazu bringt, ihr Verhalten zu reflektieren, dann ist das eine gute Sache.“ Auch Schifteh Hashemi, Soziökonomin und Sprecherin des Frauenvolksbegehrens, sieht die Bewegung als „extrem positiv“. Welche gesellschaftlichen Schritte ihrer Meinung nach notwendig wären, um sexuelle Belästigung zu bekämpfen? Abgesehen davon, dass in Anbetracht der Menge an „Einzelfällen“ das Problem als ein strukturelles einzustufen ist, sollte „Präventivarbeit“ geleistet werden. „Reden wir mit unseren Kindern! Befreien wir sie von den einschränkenden Rollenklischees. Zeigen wir ihnen einfühlsam auf, wo sprachliche, psychische und körperliche Gewalt anfängt und dass man sie nie – niemals einfach so hinnehmen muss“, so Hashemi. Außerdem weist sie darauf hin, dass „Einrichtungen, die den öffentlichen Raum mitgestalten, sich ihrer Verantwortung bewusst werden müssen. Ich wünsche mir seit Langem, dass sich etwa die Wiener Linien oder die ÖBB mit dem Thema sexuelle Belästigung auseinandersetzen. Man darf nicht unterschätzen, wie wirkungsvoll bereits ein Plakat sein kann, auf dem eindeutig und in großen Buchstaben draufsteht, dass an diesem Ort eine Null-Toleranz-Politik gegenüber sexueller Belästigung oder Gewalt besteht.“ Beispielhaft ist da etwa die „Ask for Angela“-Kampagne der Londoner Polizei, die in Nachtlokalen aushängt. In diesem Rahmen wird Personen, die sich in Clubs oder Bars bedrängt fühlen und die Mitarbeitern gegenüber das Codewort „Angela“ nennen, Unterstützung geboten.      

 

Notwendige Gesetzesänderungen.In Frankreich, wo die #metoo-Aktion übrigens unter „Balance ton porc“, zu Deutsch „Verpfeif dein Schwein“ lief,  arbeitet Frauenministerin Marlène Schiappa bereits an einem Gesetzesentwurf, der in puncto sexueller Gewalt die „gesellschaftliche Toleranzgrenze“ senken soll. Unter anderem soll die Verjährung schwerer Sexualdelikte von zwanzig auf dreißig Jahre verlängert werden, des Weiteren soll auch sexuelle Belästigung auf der Straße geahndet werden. Auch in Deutschland werden als Reaktion auf die Bewegung Rufe nach einer strengeren Bestrafung bei sexualisierten Vergehen laut. Die scheidende Familienministerin  Katarina Barley fordert härtere juristische Maßnahmen in puncto körperlicher Übergriffe und des allgemeinen Machtverhältnisses zwischen den Geschlechtern. Denn „bei Sexismus gehe es nicht ums Flirten, sondern immer um Macht“. Tag für Tag wird Frauen vor Augen geführt, dass sie mehrheitlich nicht mit am Tisch sitzen, wenn Entscheidungen gefällt werden – auch wenn im Falle Deutschlands die Bundeskanzlerin eine Frau ist. Politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse sind noch immer männlich dominiert – eine Tatsache, die Männer nicht zwangsläufig zu Tätern macht, aber das Klima kultiviert, in dem sexuelle Gewalt und Belästigung diskutiert werden. Ähnlich resümiert auch Schifteh Hashemi:  „Überall dort, wo es ein gravierendes Machtgefälle und ungleich verteilte Ressourcen gibt, herrscht ein besonders anfälliges Klima für sexuelle Übergriffe aller Art. Und da Frauen in vielen Bereichen noch immer nicht gleichgestellt sind, macht es sie in den Augen von vielen zu ‚einfachen Opfern‘.“

 

Begrifflichkeiten. Apropos Opfer. Sprache leistet auch in dieser Diskussion einen großen Beitrag zu Meinungsmache und Wahrnehmung. Im Englischen wird aus diesem Grund immer häufiger versucht, den Begriff „victim“ zu vermeiden, stattdessen sollen und wollen Frauen, die körperlich genötigt wurden, „survivor“ genannt werden. Auch die Formulierung „Gewalt gegen Frauen“ ist stark zu hinterfragen. Denn sie definiert sich so zu einem reinen Frauenproblem, das Männer nichts angeht. Doch das ist falsch, da Gewalt gegen Frauen meist Gewalt von Männern ist.  Und generell Gewalt zumeist ein männlicher Mechanismus ist, der sich nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen Kinder, andere Männer oder sich selbst richtet. Laut einer EU-Studie aus 2014 hat jede dritte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Mehr als die Hälfte der Frauen haben laut ebendieser Untersuchung seit ihrer Jugend zumindest eine Form der sexuellen Belästigung erlebt. Wenn also „Gewalt gegen Frauen“ den Tatbestand passiv sub­sumiert, wäre die „Gewalt von Männern“ eine Chance diese aktiv zu ergründen. Schauspielerin Emma Thompson gab der BBC vergangene Woche ein Interview, in dem sie dafür beeindruckend klare Worte fand. Darin beschreibt sie ein System der Belästigung, der Herabwürdigung, der Schikane. Ein System, in dem Harvey Weinstein nur die Spitze des Eisbergs bildet. „Worüber wir reden müssen“, sagt Thompson, „ist die Krise der Männlichkeit, die Krise dieser extremen Männlichkeit.“ Denn die Art und Weise, wie in unserer Gesellschaft über sexuelle Gewalt gesprochen wird, entlässt Männer aus der Verantwortung. Weil sich die Debatte immer auf die Opferrolle der Frau fixiert. Auf diese Weise werden frauenfeindliche Strukturen in den Köpfen und in der Welt erhalten. Und dafür, dass wir immer noch mit Frauen über Frauen reden. Und nicht mit Männern über Männer. 

 

Laura Himmelreich über #metoo

© Grey Hutton

Nach anzüglichen Bemerkungen des FDP-Politikers Rainer Brüderle stieß die heute   34-jährige Chefredakteurin von Vice Deutschland 2013 mit einem viel beachteten Text eine große Sexismus-Debatte in Deutschland an. Diese korrelierte zeitlich mit einer Aktion der Feministin Anna Wizorek, die mit anderen jungen Frauen bei Twitter den Hashtag #aufschrei initiierte. In einer Woche konnten damals mehr als 57.000 Tweets  gesammelt werden. Wir baten Himmelreich zum Talk.


Wie bewerten Sie, als maßgebliche Initiatorin der #aufschrei-Bewegung 2013, die Wirkung von #metoo?
Laura Himmelreich:
Auf der einen Seite ist es wahnsinnig schade, dass so etwas noch notwendig ist. Und dass es immer noch nicht selbstverständlich ist und in jedermanns Kopf, dass Sexismus in unserer Gesellschaft ein großes Problem ist. Aber wenn #metoo Menschen dazu bringt, ihr Verhalten zu reflektieren, dann ist das eine gute Sache.

Hat die Gesellschaft seit 2013 nicht dazugelernt?
Himmelreich:
Ein bisschen was ist schon geschehen. Es gab eine Umfrage, die besagt, dass 25 Prozent der Deutschen ihre eigenen Geschlechterbilder hinterfragt haben. Ein Viertel der Bevölkerung ist schon eine Menge. Andererseits haben wir vor vier Jahren noch darüber geredet, ob Sexismus überhaupt ein Problem ist.  

Gehen Sie denn seit dem Brüderle-Vorfall Sexismus-frei durchs Leben?
Himmelreich:
Das wäre schön. Aber mir geht es da wie den meisten jungen Frauen, dass ich Dinge erlebe, die ich nicht in Ordnung finde. Erst letzte Woche kam eine beleidigende Mail von einem Mann über Facebook, der unsere AfD-Berichterstattung nicht okay fand und das mit Beleidigungen über mein Aussehen, meine Hirnverbranntheit und die Degeneriertheit meiner Eltern verknüpft hat. Ich habe ihm ganz freundlich geantwortet und gefragt, warum er mich duzt und ob wir uns kennen.

Inwiefern ist Sprache in der Sexismus-Debatte relevant? Allein der Begriff „Gewalt gegen Frauen“ macht die Causa zu einem alleinigen Frauenproblem.  
Himmelreich
: Ich befürchte, dass Sprache allein nicht ausreicht. Es braucht auf jeden Fall ernsthaftes Interesse und das nicht nur von 50 Prozent der Bevölkerung. Die Einzigen, die das wirklich ändern können, sind die Männer. Und wir können uns noch so viel Kontra geben, uns wehren oder Hashtags erfinden – am Ende verbessert sich unser Leben nur, wenn wir von Männern respektvoll behandelt werden. Sprache zeigt sicherlich, welche Ungleichheiten in der Gesellschaft vorhanden sind, aber Sexismus ist für mich eine Konsequenz aus dem generellen Ungleichgewicht, das wir in der Gesellschaft haben. Und das drückt sich darin aus, wer den Geschirrspüler ausräumt, wer sich um die Kinder kümmert, wie die Gehaltsunterschiede sind oder wie viele Frauen in Führungspositionen sind. Sexismus und Ungleichheit aufgrund des Geschlechts ist etwas, das viele gesellschaftliche Bereiche tangiert.   

Welche Konsequenzen müssen aus der Causa gezogen werden?
Himmelreich:
Ich würde mir wünschen, dass sich Männer bei einem Kneipenbesuch auch mal darüber unterhalten, wie sie mit Frauen umgehen. Und dass dann der eine den anderen darauf hinweist, wenn der Kommentar gegenüber der Kellnerin blöd war.  Ich würde mir wünschen, dass man in der Politik alle Dinge beseitigt, die Ungleichheiten zementieren. In Österreich und Deutschland herrschen ­konservative Staatsstrukturen, die ein Ernährermodell konstituiert haben. Wenn sich diese Dinge ändern, ist das mal ein Anfang.  

 
 
Support im Ernstfall

Psychologin Dr. Angelika Breser erklärt, was man im Falle des Falles tun kann.     

Wo beginnt sexuelle Belästigung?  
Dr. Angelika Breser:
Abgesehen vom Strafrechtsparagrafen ist sexuelle Belästigung  etwas sehr Subjektives und fängt für viele Betroffene schon vor der strafrechtlich relevanten Causa an, z.B. eben im Arbeitskontext mit anzüglichen Äußerungen, Blicken, Fragen nach dem Sexualleben usw.
Viele Betroffene haben Mühe, sich auf ihr Gefühl, dass eine Grenzüberschreitung passiert ist, zu verlassen. In unserer Gesellschaft gibt es viele Mythen zum Thema der sexualisierten Gewalt im Allgemeinen. Einer davon ist, dass Frauen zu „zimperlich“ seien und alles nicht so eng sehen sollten. Mit diesen Mythen konfrontiert, fällt es Betroffenen oft schwer, auf ihre Intuition zu vertrauen und gegen eine sexuelle Belästigung aufzutreten/sich zu wehren oder überhaupt
darüber zu sprechen.  

Wie damit umgehen?
Dr. Angelika Breser:
Vom rechtlichen Standpunkt her kann man hierbei strafrechtlich oder arbeitsrechtlich vorgehen. Arbeitsrechtlich sollten Sie mit den Gleichbehandlungsbeauftragten der Stadt Wien, Gleichbehandlungsanwaltschaft des Bundes oder der ­Arbeiterkammer Kontakt aufnehmen. Der Frauennotruf arbeitet mit Frauen, die sexuelle Belästigung im strafrechtlichen Sinne erleben (z. B. beim Weggehen in der Disco, im ­öffentlichen Raum).  Generell gesprochen ist arbeitsrechtlich  viel mehr anzeigbar als strafrechtlich.    

Wie soll ich mich verhalten, wenn ich mich belästigt fühle?  
Dr. Angelika Breser:
Für den öffentlichen Raum gilt: Ein lautes „Nein, lassen Sie das sofort, ich will das nicht“ kann helfen. Es ist wichtig, auf sich aufmerksam zu machen, den Täter per Sie anzusprechen, um auch dem Umfeld zu vermitteln, dass der Täter unbekannt ist und man Hilfe braucht. Es ist auch zu empfehlen, PassantInnen direkt anzusprechen und um Hilfe zu bitten, z.B. dabei zu bleiben, während man die Polizei ruft und bis diese kommt. Es besteht in solchen Situationen immer die Möglichkeit, die Polizei unter 133 zu verständigen, dazu ermuntern wir die Betroffenen auch dezidiert. Die Message lautet: Wenn es Ihnen nach dem Vorfall nicht gut geht oder Sie Fragen haben, holen Sie sich professio­nelle Beratung.  

 Der 24-Stunden-Frauennotruf ist für Frauen und Mädchen ab 14 Jahren da, die von sexualisierter, körperlicher und psychischer Gewalt betroffen sind. Telefonnummer: 01 71 71 9.

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