Woke Psyche
Meinungstabu: So gefährlich kann Wokeness sein
20.02.2024Wokeness – was ist das überhaupt? Und welche sozio-psychologischen Entwicklungen gehen mit dieser Bewegung einher? MADONNA hat mit Psychologin Esther Bockwyt über die Verfasstheit einer „woken Psyche“, Meinungskontrolle und Social Bubbles gesprochen.
Das Thema Wokeness ist in aller Munde. Mit Hashtags wie #woke oder #staywoke wird insbesondere auf Social Media bereits seit einigen Jahren auf strukturelle und/oder politische Missstände aufmerksam gemacht. Was Wokeness bedeutet? Laut Duden ist man woke, wenn man „in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen Diskriminierung“ ist.
Woke Psyche
Wokeness sollte also eigentlich etwas Gutes sein. Nur sieht die Realität mittlerweile etwas anders aus. „Was als linke Identitätspolitik einst progressiv gedacht war, hat längst die Schwelle zu einer militanten Ideologie überschritten“, analysiert die Diplom-Psychologin und Rechtsgutachterin Esther Bockwyt in ihrem neuen Buch „Woke – Psychologie eines Kulturkampfs“. Ausgehend von einer pauschalen Einteilung von Menschen in einerseits Opfergruppen und andererseits Privilegierte, wird abgeleitet, wer was wann sagen oder tun darf. Wir haben bei der Psychologin nachgefragt.
Wokeness erscheint zunächst positiv. Wo liegt dann das destruktive Potenzial der Bewegung?
Esther Bockwyt: Wokeness wirkt auf den ersten Blick unangreifbar und attraktiv. Ihre Appelle nach Gerechtigkeit, Diversität und Antirassismus sind positiv besetzt. Doch im Grunde ist bereits die Formulierung „in hohem Maß“ in der Duden-Definition problematisch. Denn aus der Psychologie kennen wir ein besonders „hohes Maß“ an Wachheit und Fokussierung auf bestimmte Themen von ungesunden Zuständen wie der Angst oder sogar dem Wahn.
Sie schreiben, dass Wokeness mittlerweile zu einer „militanten Ideologie“ geworden ist. Was meinen Sie damit?
Bockwyt: Militant vorzugehen, bedeutet, mit kämpferischen Mitteln für eine Überzeugung einzutreten. Genau das tun Vertreter der woken Ideologie. Beschäftigt man sich näher damit, wird klar, dass Wokeness auf eine starke Veränderung westlicher Demokratien abzielt – und damit bisher recht erfolgreich ist. Wokeness gibt vor, was man zu tun bzw. nicht zu tun hat, wie man zu sein bzw. nicht zu sein hat. Ist das Welt- und Menschenbild, das dahintersteckt, wirklich jenes, wonach freie, offene Demokratien streben bzw. worauf diese aufgebaut sein sollten? Oder schadet ein derartiger Zugang nicht vielmehr dem gesellschaftlichen Frieden und generell der menschlichen Psyche?
Besteht also die Gefahr, zu spalten bzw. Menschen in Täter- und Opfergruppen zu unterteilen?
Bockwyt: Ja. Denn eigentlich geht es nur mehr um einen Kampf zwischen Privilegierten und Marginalisierten. Zu Ende gedacht, ist Spaltung das Ziel - da gibt es dann nur mehr Täter und Opfer. Letztlich führt das zu Gruppenkämpfen.
Wahrscheinlich auch zu einer überhöhten Meinungskontrolle? Man liest oft, dass Wokeness zu einem Index für z.B. „richtige“ Sprache geworden ist.
Bockwyt: Sprache ist ein zentrales Element innerhalb woker Theorien. Dem Gendern, der wohl bekanntesten sprachlich-philosophischen Debatte, folgen viele weitere Sprachregelungen. „Woher kommst du?“, soll man besser nicht mehr fragen. Weil diese Frage, gerichtet an eine Person mit Migrationshintergrund, diskriminierend sein soll. Eigentlich positiv gemeinte Aussagen werden ins Negative gedreht, der Mensch dahinter wird als hilfloses Opfer gesehen. Hinter diesen sprachlichen Modifizierungen steckt letztlich die Vorstellungen, dass die Welt dadurch besser wird. In Wahrheit kratzt man damit aber nur an der Oberfläche. Zusätzlich werden die Menschen verunsichert – und letztlich gehemmter in dem, was sie sagen.
Welche Folgen hat Meinungskontrolle im Kontext von Gruppendynamiken?
Bockwyt: Fokussiert man stark auf die Gruppe als Identität, so kommt es leicht zu einem Gruppendenken und einem Abwerten anderer Gruppen, weil diese extern und anders sind. Umso intensiver die eigene Gruppe fokussiert wird, umso intensiver bestimmte Werte gelebt und Meinungen vertreten werden, desto eher entstehen Feindseligkeiten gegenüber anderen Gruppen.
Warum sind manche Menschen so anfällig für den woken Aktivismus bzw. Gruppendenken?
Bockwyt: Das lässt sich gut am Narzissmus illustrieren: Sehr engagiert zu sein, für Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung einzutreten, erhöht das Selbstwertgefühl und erschafft ein angenehmes Selbstbild. Im Endeffekt geht es oft gar nicht mehr um die Sache oder die Missstände selbst, sondern viel eher um eben Selbstwerterhöhung. Tatsächlich hat Wokeness – und das beschreibe ich auch in meinem Buch – einen sehr aggressiven Kern. Es geht um einen Kampf der Identitäten, nicht aber um ein Ziel oder darum, Lösungen zu finden. Deswegen bin ich der Ansicht, dass Wokeness viel mit Aggression und – so banal es vielleicht klingen mag – mit Unzufriedenheit zu tun hat. Diese Form des Aktivismus zieht oft unzufriedene Menschen an, sie bietet ihnen vermeintlichen Halt und Orientierung.
Was passiert, wenn der woke Aktivismus ein gesundes Maß überschreitet?
Bockwyt: Ich möchte nicht pauschalisieren, manche Menschen sind woke, ohne extrem zu sein. Diese Leute geben aber meist nicht den Ton an. Hat man aber kein konstruktives Ziel und ist nie zufrieden, kommt man auch an keinem Endpunkt an. Man geht durchs Leben und sieht überall Problematisches, vermeintlich Diskriminierendes oder Menschenfeindliches. Diese Denkweise wird man über kurz oder lang ausweiten und nähren. Man umgibt sich mit Gleichgesinnten, die eigene Denkweise verfestigt und potenziert sich und wird vielleicht radikaler. Die Folge ist ein Kampf, der nie zu Ende ist. Nicht umsonst heißt es oft, Wokeness komme einer Religion gleich.
Legen all diese Tendenzen nahe, dass man in Gesellschaft, Kultur und Politik viel eher Gemeinsamkeiten statt Unterschiede fokussieren sollte?
Bockwyt: Es ist niemals verkehrt, hervorzuheben, was alle Menschen gemeinsam haben. Unterschiede wie Hautfarbe, Herkunft oder sexuelle Orientierung hingegen überzubetonen und Menschen zu kategorisieren, ist problematisch. In Bezug auf unterschiedliche Meinungen verhält es sich anders. Denn hier muss man aufpassen, nicht in eine Art Kollektivismus zu kippen. Unterschiede in Meinungen, Wertvorstellungen und Ansichten müssen weiterhin sichtbar gemacht werden (dürfen). Bestehen hier Tabus – Stichwort Cancel Culture – geht der inhaltliche Austausch verloren. Stattdessen entsteht für einige Menschen das Gefühl, in der Gesellschaft nicht mehr repräsentiert zu sein. Erst recht kommt es zu Gruppendynamiken, Frust und Angespanntheit.
Ist die Konklusio also, einander schlicht und einfach gelten zu lassen?
Bockwyt: Genau. Das wäre wünschenswert.