Zwischen Krieg, Krisen und heftigen Debatten zeigt sich Ursula von der Leyen im EU-Wahlkampf-Countdown von ihrer ganz persönlichen Seite.
„Wir alle spüren ja, dass diese europäischen Parlamentswahlen anders sind als die Wahlen davor", so Ursula von der Leyen kürzlich im Rahmen ihres Wahlkampfauftritts in Leipzig. Tatsächlich sind die Europawahlen zwischen 6. und 9. Juni von den weltweiten Krisen, Krieg und der berechtigten Sorge vor einem weiteren politischen Rechtsruck geprägt wie nie zuvor. Mitten im tosenden Sturm der hitzigen Debatten steht die inzwischen 65-jährige deutsche CDU-Spitzenpolitikerin, die seit 1. Dezember 2019 als Präsidentin der Europäischen Kommission versucht, die Union gut durch die wilden Gewässer der Weltpolitik zu führen. Keine einfache Aufgabe, der sich die einstige niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit (20023-2005), Bundesministerin für Familie und Frauen (2005-2009), Arbeits- und Sozialministerin (2009-2013) und Verteidigungsministerin (2010-2019) jedoch stets gewachsen sah.
Vollblutpolitikerin
Guten Mutes ging die Mutter von sieben Kindern (zwischen 24 und 37 Jahren) nun auch in den Wahlkampf – und will für weitere fünf Jahre in Brüssel bleiben. Fern ihrer Familie und ihres Bauernhofs in Niedersachsen. Doch nach Brüssel zu ziehen, sei für die Tochter des einstigen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht († 2014) ohnehin wie „nach Hause kommen“ gewesen, erzählt Ursula von der Leyen nun in einem sehr persönlichen Interview mit der deutschen „Bild“-Zeitung. Schließlich wurde sie in Belgien geboren und ihr die Liebe zu Brüssel und Europa förmlich in die Wiege gelegt. „Meine Eltern haben mir diese Leidenschaft für Europa mitgegeben und die tiefe Geschichte, die hinter Europa steht. Mein Vater war fünfzehn, als der Zweite Weltkrieg endete. Er hat uns Kindern immer von seiner Verzweiflung erzählt, dass alles zerstört war und eigentlich keine Zukunft vor ihm lag. Dann kam der europäische Gedanke, diese Friedens- und Freundschaftsbotschaft. Dieses Grundgefühl hat er bis zu seinem Lebensende behalten“, so von der Leyen, deren Antritt als Kommissionspräsidentin der Vater nicht mehr miterleben konnte. „Es würde ihm gefallen, was ich jetzt mache.“
Intime Einblicke
Seltene Einblicke gewährt die Vollblutpolitikerin, die ihre Rollen als siebenfache Mutter und Spitzenpolitikerin stets betont „ohne schlechtem Gewissen“ ausübte, im Rahmen des „Bild“-Besuchs im Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Europäischen Kommission. Hier, in einem kleinen Raum neben ihrem Büro, wohnt die 65-Jährige, wenn sie in Brüssel ist. „Ich fühle mich enorm wohl, mit dem was ich habe.“ Außerdem sei sie ja ohnehin hauptsächlich unterwegs. „Das ist auch richtig so. Ich muss für Europa in der Welt unterwegs sein.“ Kein Problem mehr – jetzt, wo die Kinder längst erwachsen sind. Doch auch schon zuvor, stand das Muttersein der Karriere der engen Vertrauten von Angela Merkel (69) nie im Weg. Zwar sei sie in den ersten 15 Jahren ihrer Elternschaft „sehr viel stärker verantwortlich für Kinder und Familie gewesen“, doch später übernahm ihr Ehemann, der Mediziner Heiko von der Leyen. „Er sagt heute, es sei das Beste gewesen, was ihm passieren konnte“, erzählt die Kommissionspräsidentin. „Er hätte sonst nie eine so tiefe Verbindung mit den Kindern aufgebaut.“
Familienmensch
Auch über die dunkelste Zeit in ihrem Leben spricht von der Leyen erstmals offen: über den Krebstod ihrer kleinen Schwester Eva-Benita als Ursula erst 13 Jahre alt war: „Ihr Tod hat uns sehr verändert. Als Familie. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Kind die Hilflosigkeit und Verzweiflung meiner Eltern wahrnahm, weil sie ihr nicht helfen konnten.“ Nur zwei Jahre jünger als sie war ihre Schwester, die „meine enge Vertraute war. Sie war einfach immer da, und ich war auch immer für sie da. Und gerade, weil wir zwei ältere und zwei jüngere Brüder hatten, haben wir ganz fest zusammengehalten“, so von der Leyen in dem berührenden Gespräch. Ihre letzte Ruhe fand Eva Benita übrigens auf einem kleinen Friedhof in der Steiermark. Auf einer Alm in der Gemeinde Neumarkt verbrachten von der Leyens Eltern seit den 60er-Jahren ihren Urlaub. „Das ist bis heute unser Familienort“, sagt die EU-Kommissionspräsidentin. Wie viel Zeit sie für Ausflüge in die Steiermark in den nächsten fünf Jahren hat, wird sich bald weisen. Sie wolle auf jeden Fall Präsidentin bleiben: „Weil ich der Meinung bin, mich nicht aus der Verantwortung stehlen zu können.“