Am 26. Juli starten die Olympischen Spiele in Paris. Während unsere Austro-Athletinnen bei den Sommerspielen um Medaillen kämpfen, bereitet sich Skeleton-Pilotin Janine Flock auf die Winterspiele 2026 vor. Der Talk über Frauen im Leistungssport.
Dieser Tage feiert die Tirolerin ihren 35. Geburtstag. Vielleicht wird sie ihn tatsächlich feiern – aber eher findet man Janine Flock wohl auch an diesem Tag beim Training. Für die Spitzensportlerin, die mit rund 145 km/h bäuchlings und mit dem Kopf voran durch Eiskanäle brettert und so schon drei Skeleton-Europameister- und zahlreiche andere Titel einfuhr, hat der Sport „oberste Priorität“, wie sie im MADONNA-Gespräch verrät. Warum es Frauen im Leistungssport schwerer haben als Männer, über Konkurrenz als bester Motivator, das Wettkampf-Tabuthema Menstruationszyklus und die Olympischen Spiele als fortwährendes Ziel trotz heftiger Rückenprobleme, spricht Janine Flock beim Besuch im Olympiazentrum Innsbruck.
Wie sehen Sie Frauen heute im Spitzensport?
Janine Flock: Frauen im Spitzensport zeigen heute ihre Leistungen und beeindrucken mit ihrem Können und was sie draufhaben. Ich verstehe nicht wirklich, warum im Sport immer noch der Vergleich von Frauen und Männern stattfindet. Ja, wir sind eigene Wesen. Der Grundgedanke eines gesunden Körpers und einer gesunden Lebensweise sollte im Fokus für die Leistungserbringung stehen, nicht das Geschlecht. Weibliche Leistungen müssen jedenfalls weiter an Wertigkeit gewinnen. Frauen im Sport sind auch Vorbilder für Kinder und Jugendliche – egal ob männlich oder weiblich.
Haben Frauen im Sport denselben Wettkampfgeist und das Selbstbewusstsein, wie Männer?
Flock: Wettkampfgeist, ja, definitiv! Dabei stehen die Frauen den Männern um nichts nach. Das Selbstbewusstsein könnte sicherlich bei Frauen stärker ausgeprägt sein. Kenne ich von mir selbst und nehme ich auch bei den weiblichen Kolleginnen wahr. Wir Frauen lassen uns oft von unserem Umfeld verunsichern. Jede einzelne Frau im Sport, oder im Leistungssport kann stolz darauf sein, wenn sie ihre Ziele erreicht. Es geht immer darum, welche Ziele man hat, welche man sich steckt und wie ich meine gesteckten Ziele erreiche. Als Athlet:in benötigt Mann oder Frau jedenfalls einen Plan. Ich bin überzeugt, dass es für jede und jeden möglich ist Großes zu erreichen.
Sie sind eine attraktive Frau. Wie empfinden Sie das Frausein als Top-Athletin?
Flock: Das ist eine gute Frage, da ich sehr gerne Frau bin, aber mich jetzt in einer Lebensphase befinde, wo ich Spitzensport betreibe und das Frausein, wie ich es zum Beispiel körperlich empfinde, eigentlich recht schwer mit dem Sport vereinbar ist. Als Athletin zählt für mich aktuell ein Körper, der funktionieren muss. Mein Körper muss gesund sein. Mein Körper muss Leistung bringen. Bei mir im Skeleton geht es im Wettkampf auch um Masse. Das heißt ich muss entsprechend für die Wettkampfsaison Gewicht zulegen, um meine Leistung vorwärts zu bringen und erfolgreich zu sein. Wir reden von fünf bis acht Kilogramm. Und da hatte ich auch schon mit mir als Frau Probleme und bin an meine Grenzen gekommen. Ich musste eine bewusste Entscheidung treffen und habe zu mir gesagt – ja, ich bin Leistungssportlerin und mein Körper wird sich verändern und ich werde dann ein paar Größen mehr brauchen.Das Zunehmen ist schon ein Opfer, das ich bringe, aber eben für den Sport, der aktuell mein Leben ist. Für mich als Frau ist das ein Thema, da ich ein ästhetisches Körperbild haben will und grundsätzlich auf mein Äußeres auch Wert lege. Wenn ich an Körpermasse zulege, wirke ich maskuliner – da habe ich dann beim T-Shirt-Kauf auch meine Bedenken, wenn meine Schultern breiter aussehen. Ich kann sagen, dass ich mit diesem Thema jetzt im Reinen bin. Ich habe mich für den Leistungssport entschieden und das Wichtigste ist nicht meine Optik, sondern die Funktion meines Körpers, der gesund sein muss, um meine sportlichen Ziele zu erreichen.
Wieviel Opfer bringen Sie für den Sport?
Flock: Ich ordne alles, mein gesamtes Leben dem Leistungssport unter. Das gilt nicht nur für mich, sondern auch für mein Umfeld, meine Familie, meinen Partner, meine Freunde. Es ist der Sport, der oberste Priorität hat. Als Spitzensportler muss man sich nach den Plänen und den Timings der Trainings und der Wettkämpfe richten. Das kann man sich nicht aussuchen. Ich muss an jedem Tag X, an Wettkampftagen performen und darauf wird in der Zwischenzeit in Wahrheit das gesamte Jahr hingearbeitet. Generell muss mein Umfeld viel wegstecken. Bei mir gibt es keinen klassischen Rhythmus mit Werktagen und Wochenenden. Ich kann auch oft bei Feierlichkeiten nicht mitfeiern. Einige meiner Lieben haben zum Beispiel im Winter Geburtstag. Da bin ich seit vielen, vielen Jahren leider nicht dabei. Das sind schon Umstände, die mich nicht freuen und mit denen ich auch umgehen muss. Aber ich freue mich auf die Zeit nach dem Sport, wo das wieder möglich sein wird. Mir ist bewusst, dass ich den Sport für eine absehbare Zeit betreibe. Neben den sozialen Kontakten ordne ich auch meine spärliche Freizeit dem Sport unter. Ich kann im Grunde keine sportlichen Freizeitaktivitäten ausüben, die ich will – mein Training ist zu spezifisch auf die Schnellkraft ausgerichtet, und ich muss auch die Verletzungsgefahr berücksichtigen. Ich lebe in den Bergen und freue mich sehr, wenn ich nach meiner aktiven Sportkarriere Wandern, Klettern gehen und diverse Funsportarten ausprobieren kann.
Frauen verändern sich über die Jahre. Hat das auf Sie als Top-Athletin auch einen Einfluss?
Flock: Ja, das hat definitiv einen Einfluss auf mich und auch Einfluss auf den Wettkampf. Gerade das Thema Zyklus oder Menstruation hat einen riesen Einfluss auf den Sport. Ich habe mittlerweile herausgefunden, in welcher Phase meines Zyklus ich Gas geben kann und wann ich vom Gas gehen muss. Bei mir zum Beispiel ist auch mein Rücken von meinem Zyklus beeinflusst und macht mir dann mehr zu schaffen. Überhaupt bin ich in der vierten Woche meines Zyklus sehr sensibel, habe auch starkes PMS und dann starke Schmerzen. Es kann vorkommen, dass trotz eines perfekt abgestimmten Trainingsplans am Wettkampftag nichts klappt, weil die Hormone, der Stress und der selbst auferlegte Druck einen Strich durch die Rechnung machen. Das ist leider bei einigen Großevents auch schon passiert. Ich bin seit jeher mit meinen Ärzten in einem offenen Austausch und versuche auch alles, damit ich dieses Thema für mich auch positiv unterstützen kann. Auch im Training spreche ich offen mit meinen Trainern darüber, die das dann für die Leistungserbringung berücksichtigen können. Es braucht sicherlich offene Kommunikation über die Themen Frau-Sein, Zyklus, Menstruation, damit das das Gegenüber, das Umfeld versteht und auch darauf eingehen kann. Und natürlich auch eine gute Vertrauensbasis. Ich habe über die Jahre meine Erfahrungen mit dem Frau-Sein gesammelt, kommuniziere offen darüber und setze mich dafür ein, dass jungen Sportlerinnen mehr Sensibilität entgegengebracht wird.
Wo sind Ihre Grenzen beim Sport?
Flock: Im Sport gibt eigentlich der Körper die Grenzen vor. Aktuell geht es mir körperlich sehr gut, aber ich blicke auf zwei Saisonen mit einer Verletzungsserie zurück, wo ich gesundheitlich kämpfen musste. Nach einer Rückenoperation habe ich mich wirklich einbremsen müssen und dann kamen noch Folgeverletzungen dazu. Wie gesagt, geht es mir derzeit gut. Ich muss allerdings mehr denn je auf meinen Körper hören. Ich spüre die körperlichen Grenzen gut und schnell und muss entsprechend richtig darauf reagieren können. Ich muss wissen, was mein Körper dann braucht und was ich ihm zumuten kann, es braucht einen respektvoll Umgang mit ihm. In der Bahn, beim Fahren spielt auch die mentale Komponente, die Psyche eine wichtige Rolle. Die mentale Auseinandersetzung empfinde ich als sehr gut, und die gibt mir Energie. Ich will ja fahren und ich will den Wettkampf miterleben. Auch nach so vielen Jahren finde ich das super spannend, und ich lerne immer noch dazu. Ich lerne vor allem mich selber besser kennen. Und auch für die mentale Komponente muss man als Athlet:in – wie eigentlich jeder von uns – wissen, was man braucht, um Balance zu finden und ausgeglichen zu sein.
In Paris finden in diesen Wochen die Olympischen Sommerspiele 2024 statt. Ihre nächsten Olympischen Winterspiele werden 2026 in Italien abgehalten. Ist das jetzt schon ein Thema für Sie?
Flock: Oh ja, denn die Vorbereitung auf Olympia ist immer eine Vierjahresplanung zwischen den einzelnen Spielen. Der gesamte Trainingsplan und die Inhalte beruhen auf einer Vierjahresperiodisierung. Natürlich gibt es jedes Jahr saisonale Highlights, die man entsprechend trainingstechnisch ausarbeitet, aber übergeordnet arbeitet man als Top-Athlet auf die nächsten Olympischen Spiele hin. Man hat dafür vier lange Jahre Zeit, aber vieles im Sport braucht auch diese Zeit. Man versucht dabei über diese gesamte Zeit verschiedenste Dinge auszuprobieren, diverse Dinge ein- und umzustellen. Heuer zum Beispiel ist das letzte Jahr, wo meine Trainer und ich beim physischen Training und bei der Regeneration probieren können, um körperlich in Topform zu kommen. Für das richtige Material, werden auch schon mal Weltcuprennen zu Testläufen, damit für das übergeordnete Ziel Olympia dann auch wirklich alles passt. Nächstes Jahr im Sommer findet dann bereits die direkte Olympia-Vorbereitung statt. Da wird auch nichts mehr geändert, sondern lediglich noch der Feinschliff vorgenommen. Alles, was man sich in den Jahren davor körperlich und mental erarbeitet hat und an Kenntnissen, Routinen gefunden hat, kann man dann voll zum Einsatz bringen.
Gibt es beim Thema Olympia auch einen Kontext zur Frauengesundheit?
Flock: Ja, den gibt es. Es existiert in Österreich seit Kurzem die Plattform „Female Athlete“, die das Thema Frau-Sein und Frauengesundheit im Sport behandeln und dabei auch dazu aktiv mit den Olympiazentren zusammenarbeiten. Wie ich, leiden viele Frauen an PMS, haben ihre Themen mit dem Zyklus. Klarerweise müssen wir Frauen diese Dinge annehmen, aber wir müssen auch dieses Tabuthema aufbrechen und offen darüber reden. Als selbsternannte Sportnation finde ich es schade dass man im Vergleich zu anderen Nationen mit diesem Thema immer noch hinterher hängt. Umso wichtiger ist die Female Athlete Initiative. Wir sind Vorbild für junge Mädchen, die zum Spitzensport kommen und deren Periode vielleicht erst einmal einsetzt. Die Trainerwelt ist immer noch sehr männlich dominiert. Wir Frauen müssen das Thema weiter sensibilisieren und auch in der Männerwelt das dumme Gerede abstellen. Wir kennen doch alle die unangebrachten Kommentare vieler Männer. Bei „Female Athlete“ finden regelmäßig auch Abende für Trainer:innen statt, wo die Frauengesundheit und der Einflusss auf den Sport thematisiert wird. Das sind sehr gute Initiativen, die es definitiv noch auszubauen gilt.
(Infos: www.femaleathlete.at; Anm.)
Zurück zum Wettkampf: Wie gehen Sie persönlich mit Konkurrenz um?
Flock: Ich empfinde gute Konkurrenz für gut und ich mag es auch, starke Athletinnen um mich zu haben. Ich orientiere mich an den Besten und will mich auch mit den Besten abgeben und mich mit diesen austauschen. Konkurrenz ist aus meiner Sicht das Wichtigste im Sport, das einen antreibt. So auch mich! Ich stehe im Wettkampf alleine da, alleine am Startbalken und muss alleine meine Leistung abrufen, aber der Austausch mit Top-Athletinnen dazwischen ist mir sehr wichtig. Das funktioniert bei uns auch sehr gut. Da sind auch Freundschaften untereinander entstanden, was mir persönlich auch sehr wertvoll ist. Was ich sagen will, ist, dass persönliche private Beziehungen das eine sind und kompetitive Wettkämpfe das andere. Wer am Ende des Wettkampfes siegt, hat den Sieg oder die Medaille auch verdient, und für diejenige freue ich mich auch. Ich selbst arbeite dann daran herauszufinden, was bei mir an diesem Tag nicht funktioniert hat und was ich künftig anders bzw. besser machen kann. Konkurrenzkampf ist für mich etwas Positives, wo man dazu lernen, sich weiterentwickeln und sich weiter nach vorne pushen kann. Für mich ist Konkurrenz Motivation.
Sind Sie privat auch im Wettkampfmodus und wollen Sie überall gewinnen?
Flock: Das hat sich über die Jahre schon verändert. Als ich ein Kind war, hatte ich jedenfalls mit meinen Geschwistern das eine oder andere „Battle“. Da gab es immer Situationen, wo ich schneller mit einer Sache fertig sein wollte, oder besser in einer Sache sein wollte. Aber als erwachsene Frau würde ich sagen, dass ich eine ruhige Person bin, die zurückhaltend und entspannt ist. Für mich ist es das Schönste, mit meiner Familie und Freunden eine gemütliche Zeit zu verbringen. Aber ich muss – vielleicht zum Leidwesen meines Umfeldes – auch zugeben, dass ich bei Freizeitaktivitäten schon auch in den Wettkampfmodus schalte. Das ist einfach in mir drinnen und das kann ich auch nicht abstellen. (lacht)