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Check vor dem Ja-Wort: Was Sie vor der Hochzeit unbedingt wissen sollten
20.04.2024Verliebt, verlobt, verheiratet – aber bitte nicht, ohne gründlich darüber nachgedacht zu haben! Was Sie unbedingt bedenken sollten, bevor Sie „Ja“ sagen, verrät das Therapeuten-Paar Sabine & Roland Bösel.
Friedrich Schiller dichtete 1799 in „Das Lied von der Glocke“: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.“ Was Schiller damit meinte: Wer vorhat, eine (lebenslange, eheliche) Verbindung mit weitreichenden Konsequenzen – ganz gleich, ob im positiven oder negativen Sinne – einzugehen, der sollte das Für und Wider vorher gut abwägen. Aber worauf sollte man beim Göttergatten in spe denn nun genau achten? Welche Fragen sollte man sich selbst (und einander) unbedingt gestellt haben, bevor man sich das Ja-Wort gibt? Und was sollte man vorab über die Ehe unbedingt wissen? Über all das haben wir für Sie mit dem Paartherapeuten-Ehepaar Sabine und Roland Bösel gesprochen. Eines schon mal vorweg: Die Liebe ist ein Prozess, bleiben Sie dran.
Bewusstsein: durch die rosarote Brille ist nicht alles sichtbar
Wer noch während der Verliebtheitsphase heiratet, der hat Wesentliches oft noch nicht gesehen. Ein Bewusstsein dafür, dass jeder Mensch, so makellos er anfangs vielleicht auch scheinen mag, auch andere Seiten haben kann, kann uns für spätere Beobachtungen, Situationen und Emotionen rüsten. Reflexionsfähigkeit im Hinblick auf die eigene Persönlichkeit und die Partnerschaft ist generell eine wichtige Zutat für gelingende Beziehungen. Wir haben im Laufe mehrerer Jahrzehnte in der Arbeit mit Paaren immer wieder gesehen: Paare, die früh genug – am besten schon während der Verliebtheitsphase – damit anfangen, sich bewusst mit ihrer Beziehung auseinanderzusetzen, haben weit bessere Chancen auf ein langlebiges Miteinander.
Bewusstes Commitment und Freiräume
Paare sagen einander am Standesamt quasi alle dasselbe. Ein vorgefertigtes Versprechen ist jedoch zu wenig, um zu wissen, was in der Beziehung gelten soll. Welche Freiräume soll es geben? Welche Grenzen? Soll sexuelle Exklusivität gelebt werden? Wenn ja, ab welchem Punkt würde ein Vertrauensbruch vorliegen? Möchte man Kinder haben? Indem man die Erwartungen aneinander und die Regeln, die in der Beziehung gelten sollen, vorab genau klärt – und über die Jahre hinweg immer wieder einmal hinterfragt und vielleicht gemeinsam anpasst –, beugt man so manchen Missverständnissen und Krisen vor.
Die fünf Sprachen der Liebe
Die so genannten „fünf Sprachen der Liebe“ sind Qualitäten, über die wir Liebe ausdrücken beziehungsweise wahrnehmen. Diese Sprachen sind 1. Wertschätzung, die wir aussprechen, 2. körperliche Zuwendung und Sexualität, 3. Hilfsbereitschaft, 4. exklusive Zeit als Paar, die wir miteinander verbringen, und 5. Überraschungen (wie etwa Geschenke), die wir einander machen. Als Paar tut man gut daran, zu wissen, wer in der Beziehung gerne was davon gibt, um Liebe auszudrücken, und wer gerne, um sich geliebt zu fühlen, in welcher dieser Sprachen Zuwendung empfängt.
Sicherheit und Abenteuer
Beziehungen gelingen dann, wenn zwei Pole zugleich darin verwirklicht sind: Sicherheit und Verbindung auf der einen Seite, Abenteuer, Wachstum und Leidenschaft auf der anderen. Meist ist ein Part einer Beziehung mehr für das eine, der andere für das Gegenteil zuständig. Vor einer Eheschließung ist die Bereitschaft beider zu beidem meist da. Wichtig ist, im Bewusstsein und im Auge zu behalten, dass das auch möglichst immer so bleibt – und keiner der Pole beim Ringtausch aufgegeben wird.
Bedürfnisse klar äußern und möglichst erfüllen
Je nach Neigung zu Sicherheit beziehungsweise zu Abenteuer und Wachstum brauchen wir etwas anderes, um uns in der Beziehung wohlzufühlen. Klar über diese und überhaupt die eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren und auch dem Partner möglichst zu geben, was er braucht, hat großen Wert für die Haltbarkeit einer Beziehung.
Hochzeit der Liebe, nicht aber der Familie zuliebe
Die Paarbeziehung sollte im Mittelpunkt einer Heirat stehen. Die Art der Feierlichkeiten richtet das Paar am besten an den eigenen, gemeinsam definierten Wünschen und Vorlieben aus. Kompromisse, um davon abweichende Erwartungen von Eltern, Schwiegereltern oder sonstigen Verwandten zu erfüllen, besser einfach auslassen. Man heiratet ja möglicherweise tatsächlich nur einmal im Leben.
Grenzen gegenüber beiden Familien definieren
Wenn zwei Menschen heiraten, treffen automatisch auch zwei Familiensysteme aufeinander. Unterschiedliche Ansicht, Meinungen und Wertvorstellungen sind da vorprogrammiert. Zwischen „alle dürfen im Haus ein- und ausgehen“ bis „wenn ich alle zwei Jahre eine Mutter sehe, reicht das“ ist es oft recht unterschiedlich, wie viel Nähe und welche Kontaktfrequenz als passend erlebt wird. Als Paar tut man gut daran, am besten frühzeitig zu klären, wie viel wovon beziehungsweise von wem für beide passend ist – ganz ohne faulen Kompromiss.
Schutz- und Überlebensmuster hinterfragen und verstehen
Wir alle haben gewisse Überlebensstrategien entwickelt, die über viele Jahre hinweg aus der eigenen Lebensgeschichte heraus entstanden sind. Es ist normal, dass wir in unserem Handeln gewissen Mustern folgen. Die eigenen Muster und möglichst frühzeitig auch die des Partners zu kennen, beugt am Ende des Tages unliebsamen Überraschungen vor.
Rollen kennen und gegebenenfalls Verteilung ändern
Rollen werden heute zwar flexibler gestaltet als in früheren Generationen, unhinterfragt aber drängen sie uns weiterhin oft in enge Korsetts, manchmal ganz subtil und schrittweise, ohne, dass wir etwas davon merken. Die eigene Herkunftsfamilie auf tradierte Rollen und möglicherweise Klischees zu untersuchen und die eigenen Rollen immer wieder mal zu hinterfragen, zu verändern und sich dabei mit dem Partner abzustimmen, ist langfristig betrachtet gut investierte Zeit.
Die Liebe pflegen und nähren
„Liebe ist eine Aktivität“, formulierte schon Erich Fromm sehr treffend. Liebe ist nicht einfach ein Gefühlszustand. So unromantisch das auch klingen mag, Beziehungen gelingen dann, wenn wir an ihnen arbeiten – kontinuierlich und am besten von Anfang an. Diese Beziehungsarbeit kann in ganz unterschiedlicher Form erfolgen – über Bücher, Therapien, gemeinsame Freizeitaktivitäten, Gespräche etc. Wichtig ist jedenfalls die bewusste Auseinandersetzung beider (!) Partner mit der gemeinsamen Beziehung.
Die Sexualität wachhalten
Es ist ein Mythos, dass Sexualität mit der Zeit, wenn die Beziehung länger dauert, „sowieso aufhört“. Paare können gemeinsame Intimität für unbegrenzte Zeit genießen und lebendig halten. Auch in Sachen Sexualität ist es wichtig, Bedürfnisse, die sich vielleicht ab und an verändern, klar zu kommunizieren.
Einander vergeben können
Es gibt keine Beziehung, in der die Partner einander nie verletzen. Das ist zutiefst menschlich, insbesondere dann, wenn man im Alltag nicht nur die schönen Momente, sondern auch die Sorgen, die Wäscheberge und To-do-Listen miteinander teilt. Wichtig ist, sich selbst und einander vergeben zu können. Zu vergeben will gelernt sein, es bedeutet keinesfalls, alles gutzuheißen oder sich alles gefallen lassen zu müssen. Eine gesunde Form der Vergebung bewirkt, dass wir uns mit einer erlittenen Verletzung nicht selbst weiterhin wehtun – und dass letztlich Heilung geschieht.