Powerfrauen wehren sich gegen Modediktat
Das passt uns nicht mehr!
31.05.2013
Zu dick und zu arm für ein Marken-Shirt! Mode-Riese Abercrombie sorgt mit provokanter, diskriminierender Marketingstrategie weltweit für Empörung. Was „betroffene“ Promi-Frauen dazu sagen und wie wir uns vor dem Magerdiktat schützen können.
Champs Élysées, Paris, Samstagnachmittag. Hunderte Leute reihen sich vor dem herrschaftlichen Gittertor, wie artige Soldaten, in die Schlange ein. Der unverkennbare Duft – das Abercrombie & Fitch Parfum – strömt leise aus den unsichtbaren Düsen an der Wand – überströmt die Einkaufsstraße und lockt noch mehr Menschen in die endlos lange Schlange. Sie alle warten auf Einlass, Einlass in ein Geschäft, um für viel Geld günstig produzierte Ware zu erwerben – um den Abercrombie- Konzern noch ein Stück reicher zu machen. Wäre Abercrombie-CEO Mike Jeffries vor Ort, würde er wohl viele Wartende aus der Schlange anhalten, gleich wieder umzudrehen. Und zwar Menschen, die seinem verschobenen Idealbild vom perfekten Abercrombie-Träger nicht entsprechen. Menschen die nicht mehr blutjung sind, Menschen die keinen Waschbrettbauch haben, Menschen die nicht in Size 0 passen. „Unsere Zielgruppe ist das All American Kid mit einer großartigen Ausstrahlung und vielen Freunden.“ Mit diesem Statement (und mit der Aussage, dass der Konzern offenbar kaputte Ware verbrennt, anstatt sie Obdachlosen zu schenken) schockiert Jeffries derzeit die Welt.
„Viele Leute“, so der A&F-Boss, „passen nicht in unsere Klamotten und sie sollen auch nicht reinpassen – sie gehören einfach nicht dazu. Schließen wir Menschen aus? Ja, das tun wir.“
Sprich, Hosen, Shirts & Co. werden für Frauen nur bis Größe 40 produziert. Jeffries, der – würde er einen kritischen Blick in den Spiegel werfen – wohl nicht einmal annähernd seinem Idealbild entspräche – entfacht damit neuerlich die Debatte um das Magerdiktat der Modeszene und ruft u. a. auch viele prominente Frauen, die selbst ob des großen Drucks der Modebranche in ihrem Leben von Essstörungen betroffen waren, auf den Plan. Jojo -Königin Kirstie Alley verlangt gar einen Boykott. Ex-Model Regina Kail wandert mit offenen Augen durch die Einkaufsstraßen und versucht mit Bildern von magersüchtigen Schaufensterpuppen Bewusstsein zu erzeugen.
Der Kult auf Kosten von Menschen
Viele schütteln den Kopf, viele nehmen sich derlei Markenbotschaften aber zu Herzen. „Auf Mädchen und Burschen, die in der Umbruchphase stecken – z. B. in der Pubertät – können solche Botschaften einen negativen Einfluss ausüben – im Sinne von „Ich will auch so aussehen, dann läuft alles besser“, erklärt Psychologin Sabine Schmid-Spika, spezialisiert auf Behandlung von Essstörungen. „Diese Darstellungen führen zu einer Normierung des Aussehens. Individualität ist nicht mehr erstrebenswert. Der Körper und das Aussehen werden reduziert auf eine Einheitsgröße, auf ein bestimmtes Schönheitsbild. Um das eigentlich Unmögliche zu erreichen, nehmen viele junge Menschen viel Leid auf sich. Das Streben nach dem Unmöglichen, nach „so aussehen wollen wie die da“, ein ständiges Gefühl von „ich bin unzureichend, nicht perfekt“ macht auf die Dauer unglücklich, unzufrieden und lässt sehr viele verzweifeln.“ Besonders gefährdet seien, so die Expertin, neben Kindern und Jugendlichen auch Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. „Fünf Jahre“, so erzählt Regina Kail, „habe ich unter einen leichten Essstörung gelitten – unter Bulimie. Der Druck der Branche war damals zu groß für mich.“ Ihr Leben hat sie mittlerweile – aus eigener Kraft und mithilfe von Therapie – „entgiftet“. Aber können wir uns, unsere Liebsten, vor dem großen sozialen Druck, vor dem Magerdiktat, überhaupt schützen? „In Schulen“, so Schmid-Spika, „geschieht diesbezüglich schon sehr viel. Es gibt Workshops zu speziellen Themen wie Schönheitsideale im Wandel der Zeiten und
Selbstbewusstsein
Es ist wichtig, Vielfalt zu propagieren, diese Modediktate zu hinterfragen, den Mut aufzubringen, nicht jeden Trend mitzumachen, sich öffentlich gegen Aussagen wie jene von Jeffries auszusprechen.“ Die diversen Kampagnen und Blogs, die sich gegen Jeffries richten, scheinen Wirkung zu zeigen – machen sich sogar an den Verkaufzahlen bemerkbar. Denn die Umsätze sind seit Jeffries Aussage um 9 Prozent, von 839 Millionen auf 646 Millionen, gefallen. Auch wenn Jeffries es nicht wahr haben mag, der Kunde ist immer König – auch wenn er keine Idealmaße hat.
VIDEO: Mann verteilt A&F Kleidung an Obdachlose