Die Stadt Wien hat rund 3.000 unbegleitete Flüchtlingskinder aufgenommen. So sieht ihr Leben aus. Plus: Für diese Initiativen können Sie sich sozial engagieren.
Die Demonstration der vergangenen Woche hat gezeigt, dass Österreich nicht tatenlos zusehen möchte, während die Politik bei der Flüchtlingstragödie versagt. Die Bevölkerung zeigt sich solidarisch und hilft, wo es geht. Im Kasten rechts stellen wir verschiedene Initiativen vor, bei denen Sie sich engagieren können.
Feste Quartiere in Wien. Derzeit leben laut Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) rund 10.000 Flüchtlinge in Wien – davon rund 3.000, die jünger als 18 Jahre sind, wovon wiederum rund 550 ohne Begleitung nach Österreich gekommen sind. MADONNA besuchte das Haus Ottakring, das vom Samariterbund betreut wird und derzeit knapp 50 unbegleitete Minderjährige, 20 Frauen und fünf Familien beherbergt. Karola Binder (44), Pressesprecherin und Nina Smolen-Wilson (34), Leiterin des Flüchtlingsbereiches, sprachen mit uns über die herrschende Situation.
Wie hat sich die Situation der Mädchen in Traiskirchen gestaltet?
KAROLA BINDER: Sehr unterschiedlich, manche waren eine Woche dort, manche mehrere Monate, viele mussten wochenlang im Freien schlafen. Es berührt einen sehr, wenn man Geschichten hört, wie einige von ihnen stundenlang in den Essensschlangen gestanden sind und trotzdem nichts bekommen haben. Oder die katastrophalen hygienischen Zustände. Sehr schlimm ist auch die Geschichte einer junge Frau, die in ihrer Heimat Sportlehrerin war, und die von Männern krankenhausreif geprügelt wurde, weil sie ihnen beim Fußballspielen zugeschaut hatte.
Welche Hintergründe hat es, dass diese Mädchen/Frauen nach Wien gekommen sind?
NINA SMOLEN-WILSON: Hier sind die Ausgangssituationen unterschiedlich, die meisten kommen aus Syrien, Somalia oder Afghanistan, mussten vor Krieg, Rebellengruppen und Terror flüchten. In Syrien und Afghanistan werden sämtliche menschliche Grundrechte beschnitten. Dort werden auch Mädchen rekrutiert und wir wissen von Einzelfällen, bei denen die ganze Familie bedroht wurde, wenn der Sohn die Rekrutierung verweigert. Dann ist die ganze Familie in Geiselhaft. Oft wurde das letzte Stück Land verkauft, um zumindest einem Familienmitglied die Flucht zu ermöglichen.
Wie gestaltet sich der Alltag der Mädchen hier im Heim?
NINA SMOLEN-WILSON: Das Wichtigste für uns momentan ist Vertrauen aufbauen, eine Beziehung herstellen, und die Mädchen und Frauen einmal innerlich ankommen lassen. Mit einer gewissen Tagesstruktur wollen wir ihnen helfen, sich sicherer zu fühlen. Es gibt ein gemeinsames Frühstück, danach Deutschunterricht, nach dem Mittagessen sind meistens Arzt- oder Behördenwege zu erledigen, nachmittags und am Wochenende helfen uns Ehrenamtliche bei der Freizeitgestaltung, wie etwa kleine Ausflüge, Eis essen gehen Fußball spielen etc. Dann sind wieder Deutschkurse und Lernbetreuung geplant. Nach dem Abendessen wird im großen Saal oft gemeinsam getanzt. Die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen finden dabei wunderbar zusammen. Von einem Ausflug in die Innenstadt und von den vielen alten Häusern schwärmen die Mädchen heute noch. Viele sind zum ersten mal mit der Straßenbahn, U-Bahn oder mit einer Rolltreppe gefahren.
Welche Hilfe wird gebraucht bzw. wie kann man hier am besten helfen?
NINA SMOLEN-WILSON: Der größte Wunsch aller Flüchtlinge: Sie möchten Deutsch lernen. Leider werden diese über die Grundversorgung nur für acht bis neun Monate finanziert, die Asylverfahren dauern aber wesentlich länger, und dann sind wir auf Spenden beziehungsweise ehrenamtliche HelferInnen angewiesen. Die erwachsenen Frauen bekommen gar keine Deutschkurse finanziert, dabei ist die Grenze zwischen Jugendlichen und Erwachsenen sehr dünn. Wir haben zum Beispiel eine 19-jährige Frau, die sehr enttäuscht ist, dass ihr kein Deutschkurs zusteht, weil sie als erwachsen gilt. Vergangene Woche hatten wir einen ersten Infoabend, bei dem sich über 120 Menschen eingefunden haben, um ihre Freizeit zur Verfügung zu stellen. Die HelferInnen sind bunt gemischt, vom 90-jährigen Universitätsprofessor bis hin zum Teenager. Den Mädchen und Frauen wäre daher am meisten mit Geldspenden für Deutschkurse bzw. Gutscheinen für Freizeitaktivitäten geholfen. Kleiderspenden sind nicht so günstig, da die Mädchen einen anderen Kleidungsstil haben als die Jugendlichen in Österreich. Hier wären also Gutscheine von Vorteil. Es ist auch einfach schöner, wenn sie sich die Sachen einmal selbst aussuchen können.
MADONNA verrät Ihnen, wie und wo Sie in der aktuellen Situation am besten mit anpacken können. Bedenken Sie: Schon der kleinste Beitrag kann viel bewirken!
➙ Mit Wohnraum
helfen: WGs, Familien, oder Alleinstehende – alle, die ein freistehendes Zimmer haben, können sich überlegen, jemanden bei sich aufzunehmen. Organisationen wie „Flüchtlinge Willkommen“, die Caritas oder die Diakonie bringen Österreicher und Flüchtlinge zusammen. Viele Flüchtlinge können ihre Miete selbst zahlen, vom Staat gibt es auch kleine Zuschüsse. Bei „Flüchtlinge Willkommen“ kommt die Miete durch Crowdfunding zusammen.
➙ Mit Geldspenden
helfen: Alle großen NGOs wie die Caritas, das Rote Kreuz oder die Diakonie haben Spendenkonten für die Asylwerber-Soforthilfe eingerichtet. Jeder Euro hilft. Für etwa 20 Euro kauft die Caritas für einen Flüchtling einen Schlafsack. Und auch der ORF startet Mitte September eine große Spendenaktion im Hauptabendprogramm, für die er sich mit den sechs größten NGOs zusammengeschlossen hat.
Infos: Webseiten der jeweiligen Hilfsorganisationen und www.orf.at.
➙ Mit Zeit helfen:
Unglaublich wichtig ist auch Ihre Zeitspende. Mit den Flüchtlingen reden, einen Ausflug machen, ihnen vielleicht ein Handwerk beibringen, etc. – hier gibt es sehr viele sinnvolle Möglichkeiten. Und gerade für jüngere Kinder kann man auch eine Patenschaft übernehmen. Doch unterschätzen Sie keinesfalls die Verantwortung, die so eine Aufgabe mit sich bringt.
Infos: Auf der Seite https://www.wien.gv.at/gesellschaft/fluechtlinge/index.html finden Sie eine Tabelle, in der Sie Ihre genauen zeitlichen Möglichkeiten eintragen können.
➙ Mit Schweigeminute helfen: Der Wiener Künstler Raoul Haspel setzt mit der „Schweigeminute“ auf stillen Protest gegen die aktuellen Zustände in Traiskirchen. Der Track ist auf iTunes um 0,99 Euro erhältlich, wovon 100 Prozent des Erlöses direkt an die Flüchtlinge gehen. Alle Beteiligten arbeiteten an dem Projekt gratis.
Infos: www.raoulhaspel.com
➙ Mit Deutschkursen
helfen: Sprachkenntnisse zu vermitteln ist für die Flüchtlinge besonders wertvoll. So vermittelt etwa die Seite www.talentify.me SchülerInnen aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland im Alter von 14 bis 19 Jahren an gleichaltrige Flüchtlinge. Ziel ist es, dass Zweitere die deutsche Sprache üben und gleichzeitig voneinander lernen. Ein anderes Projekt wiederum sucht nach Privatpersonen, die an Samstagnachmittagen einen kleinen Deutschkurs im Stadtpark in Traiskirchen anbieten. Jeder, der will, kann hier mitmachen. Eine pädagogische Ausbildung ist hierfür nicht erforderlich. Informationen dazu finden Sie auf der Facebook-Seite der Institution
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Akute hilfe . Den Samariterbund mit seinen verschiedenen Einrichtungen für Flüchtlinge können Sie am einfachsten mit Geldspenden unterstützen. Die Hotline lautet 0800 240 144. Sie können auch online über www.samariterbund.net spenden. Auf der Homepage finden Sie auch eine Liste der benötigten Sachspenden. Wer ehrenamtlich helfen möchte, meldet sich unter fluechtlingshilfe@samariterwien.at.
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