Society-Hochstaplerin

Wer ist Anna D.?

22.06.2018

Mit Dreistigkeit in die New Yorker High Society hochgestapelt.

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© Getty Images
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Das „Catch Me If You Can“ der Generation Internet: Wie eine Mittzwanzigerin die New Yorker Schickeria narrte, um Hundert-tausende Dollar betrog – und nun aus dem Gefängnis gut lachen hat.

 

Das Leben schreibt die besten Geschichten, heißt es, und die allerbesten davon werden von Hollywood verfilmt. So darf man neugierig sein, schließlich sicherte sich Serien-Mastermind Shonda Rhimes, die sich mit „Grey’s Anatomy“ oder „Scandal“ einen Namen machte, für ihre erste Netflix-Produktion schnellstmöglich die Filmrechte an der Causa Anna Delvey. Ihre Geschichte wirbelte die ach so coole New Yorker Society durcheinander, denn Anna Sorokin, wie sie tatsächlich heißt, gab sich als Millionenerbin aus und schaffte es damit etlichen reichen und wichtigen Menschen der Kunst- und Medienszene sowie Hotels und Banken Hunderttausende Dollar aus der Tasche zu ziehen. Bis vergangenen Oktober, da flog die 27-Jährige auf. Seither sitzt sie auf Rikers Island, einer Gefängnisinsel im New Yorker East River, in Haft und hat offenbar schon bekannt gegeben, dass sie in der Serie am liebsten von Margot Robbie oder Jennifer Lawrence gespielt werden wolle.         

Jetsetterin sucht Anschluss
Sorokins Geschichte beginnt – wie die meisten Storys aus New York – mit Geld. Genauer mit einem 100-Dollar-Schein, den eine junge Frau im Februar 2017 der Concierge im neuen Boutique-Hotel 11-Howard in Manhattan zuschob. Sie stellte sich als Anna Delvey vor, sagte, sie werde einen Monat bleiben – das Zimmer kostet etwa 400 Dollar die Nacht – und fragte nach einem Tipp für „das beste Essen in SoHo“. Dies war nur einer von viel 100-Dollar-Scheinen, die Anna Sorokin alias Anna Delvey zückte, wie das „New York Magazine“ berichtet, das die brisante Story ausführlich recherchierte. Doch wie Neff, die Concierge, die zu Delveys (bezahlter) Vertrauten wurde, der Zeitung verriet, schien diese, trotz ihrer Frage, stets vorher genau zu wissen, wo man sich an diesem oder jenen Abend am besten blicken ließ. Beim Trinkgeld geizte sie nie: 100 Dollar für den Uber-Fahrer, 100 Dollar für die Nagelpflegerin, 100 Dollar für den Pagen, der Delveys teuer bestückte Einkaufstaschen ins Zimmer trug, sie schien so viel Geld zu haben, dass sie nicht wusste, wohin damit. Anna setzte auf Alaïa und Balenciaga, man munkelte, dass sie nur per Privatjet reiste. Sie stellte sich als deutsche Erbin vor, deren Vater sein Geld mit Solar-Panelen gemacht haben soll. Dass sie nur bruchstückhaftes Deutsch sprach, irritierte niemanden – immerhin ist dies nichts Ungewöhnliches in der Welt reicher Kids, die überall und nirgends zu Hause sind.       

 


 

Große Pläne
Anna selbst behauptete stets, ein Zentrum für visuelle Kunst – die „Anna Delvey Foundation“ – gründen zu wollen, wo Künstler wie Damien Hirst oder Jeff Koons ausstellen könnten. Christo habe sogar versprochen, das Gebäude zur Eröffnung einzupacken, was offenbar niemand hinterfragte – auch weil sie sich dafür tatsächlich mehrfach mit einflussreichen Leuten traf. Es wunderte aber auch niemanden, wenn sie wieder mal „vergaß“ ihren Freunden First-Class-Flüge oder teure Dinner zurückzuzahlen. Kann schließlich passieren, wenn man sich um Geld keine Gedanken machen muss. Und so blendete und betrog Anna Kunstsammler, Hedgefonds-Manager, Society-Redakteure und viele weitere Mitglieder der New Yorker Hautevolee.   

Aufgedeckt
Die Wahrheit geht laut dem „New York Magazine“ hingegen so: 1991 in Russland geboren, zog Anna Sorokin als Teenager mit ihren Eltern und dem jüngeren Bruder nach Deutschland. Ihr Vater arbeitete als Lastwagen-Fahrer und später Chef der Transportfirma, bis diese bankrottging. Mit 20 zog sie nach London, dann nach Paris, wo sie ein Praktikum beim renommierten Kunst- und Modemagazin „Purple“ erhielt. In diesem Moment nahm sie ihre neue Identität als Luxusgirl Anna Delvey an. Ihre unwissenden Eltern schickten ihr regelmäßig Geld, sie schrieb ihnen stets, dass es „sich auszahlen“ würde. Dass sie allen etwas vormachte, merkte als Erstes das 11-Howard-Hotel, als ihre wochenlangen Aufenthalte nie beglichen wurden. Nach und nach kamen immer mehr gefälschte Überweisungsquittungen, ungedeckte Schecks und überzogene Kreditkarten ans Licht, letztlich folgte die Festnahme.   

Verblendung
Aktuell wartet Anna Sorokin auf ihr Urteil, was sie jedoch nicht davon abhält, unbekümmerte Selfies aus dem Gefängnis zu posten. Mit den glamourösen Inszenierungen ihres vergangenen Instagram-Ichs hat dies zwar wenig zu tun, doch besonders gut oder besonders „reich“ sah die 27-Jährige, wie vom „New York Magazine“ kolportiert, ohnehin nie aus. Offenbar einer ihrer großen Trümpfe: Weil sie nicht wirkte wie jemand, der Unmengen Geld hat, vermuteten alle, sie hätte umso mehr davon. Ihre Bekannten sonnten sich nur zu gern in diesem vermeintlichen Glamour nicht enden wollender Ressourcen und Sorokin war clever genug, diese Schwäche auszunutzen. Ihre Geschichte ist daher auch eine Geschichte über die Oberflächlichkeit der High Society und jener der Social-Media-Welt. Wie konnte diese Frau, die „nicht superheiß“ oder „supercharmant“, ja nicht einmal richtig „nett“ war, all diesen coolen, hippen, erfolgreichen Menschen so lange etwas vortäuschen? Anna hat die Seele der Stadt und ihrer Gesellschaft verstanden und erkannt, dass, sobald man ihr etwas Glänzendes vorhielt, sie mit grünen Scheinen und der Idee von Reichtum ablenkte, sie nichts anderes mehr sehen würden. Der Journalistin des „New York Magazines“ sagte sie bei einem Gespräch im Gefängnis: „Wissen Sie, es gibt unendlich viel Geld auf der Welt. Aber es gibt nur eine begrenzte Anzahl talentierter Menschen.“ Und mit der eigenen Serie in petto ist der talentierten Miss Delvey der nächste Coup gelungen.

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