Frau Nick, Gratulation zur fulminanten Premiere von „Souvenir“.
Was war das für ein Gefühl, gerade in Wien Stand-Ovations zu
bekommen? Désirée Nick: Ich habe diese Rolle über
150 Mal in Berlin gespielt. Dass ich in Wien auch so empfangen
wurde, ist eine Krönung meiner Laufbahn. Denn das Wiener Publikum
gilt als das Anspruchsvollste. Dass der Funke überspringt, ist doch
genau das, wofür wir alle im Theater diesen Beruf machen. Und dass
man die Menschen nicht nur zum Lachen bringt, sondern auch zum
Weinen. Dass mir das hier gelungen ist, hat mich selbst zu Tränen
gerührt.
Frau Koller, auch Sie haben geweint. Was hat Sie so berührt? Dagmar
Koller: Ich war so fasziniert, was du aus dieser Rolle der
Florence Foster Jenkins gemacht hast! Sie war eine starke Frau, und
das kommt bei dir so toll heraus. Und dann bist du wieder wie ein
Weibchen – das kann keiner so wie du. In diesen Momenten ist mir
beinahe zum Weinen gewesen, weil mich das auch an meine Ehe erinnert
hat. Dieses Ringen um Anerkennung – einerseits selbstbewusst und dann
wieder sanft und zart... Nick: Deshalb freue ich mich auch
über diese Rolle so, weil sie zeigt, wie viel mehr hinter der
öffentlichen Fassade meiner Person steckt. Denn die Öffentlichkeit
sieht immer nur eine ganz flache Folie. Jetzt kann ich all das, was
ich wirklich bin – das Verletzliche, das Sensible, das Zerbrechliche –
in diese Rolle legen.
Frau Koller, welches Bild hatten Sie bis dato von Frau Nick? Koller:
Ich habe sie schon lange beobachtet. Sie hat mir immer gefallen.
Ihre Ästhetik, ihre Figur. Endlich eine Frau, die den Mund aufmacht
und gescheit reden kann! Man hat Désirée immer in ein Klischee
gesteckt – das habe ich nie getan. Aber in Souvenir war es dann
richtig um mich geschehen: es gibt selten jemanden, der mein Herz so
öffnet, wie sie das getan hat. Und ich muss sagen: es gibt niemanden
unter meinen Kollegen, der das mitbringt, was Désirée mitbringt.
Frau Nick, was bedeutet Ihnen ein solches Kompliment? Nick:
Sehr, sehr viel! Als ich ein kleines Mädchen war, gab es bei meiner
Großmutter ein Ritual, am Sonntag Operetten-Schallplatten aufzulegen.
Meine Lieblingsplatten waren immer die von Dagmar Koller! Als ich
dich das erste Mal im Fernsehen sah, war ich dann richtig besessen
von dir. Koller: Dabei hatte ich Anfangs damit gar
keinen Erfolg, weil man mich als „Allround“-Talent nicht zuordnen
konnte. Das war schlimm für mich! Nick: So ist das
bei mir heute auch. Ich spiele ja auch bei Castorf oder
Schlingensief. Umgekehrt bin ich RTL Dschungelqueen. Ich leide
darunter, dass die Leute des „richtigen Theaters“ mir vorwerfen, dass
ich Trash-TV mache. Dort wiederum sagen sie: du gehörst nicht zu uns,
du machst hehre Kunst. Das ist eben mein Talent: vielseitig zu sein.
Jeder, der mich in eine Schmalspur einordnen will, scheitert!
Dennoch assoziiert die breite Masse Désirée Nick mit der
Dschungel-Queen... Nick: Die Leute erkennen in einem immer
nur das, was ihrer eigenen Kapazität entspricht. Was derartige
TV-Formate betrifft: Theater ist leider noch immer etwas für die
Elite. Ich kann ja nicht von Tür zu Tür ziehen und die Leute in ihrer
Wohnstube beglücken! Also gebe ich ihnen anders die Möglichkeit, mich
kennenzulernen. In keinem anderen Beruf der Welt muss man sich so
erklären. Ich will mich nicht dafür rechtfertigen, dass ich arbeite
und Geld verdiene! Koller: Man muss ja oft auch brotlose
Phasen überbrücken – das war ja mein Glück, dass ich in Zeiten, in
denen es nichts für mich zu tun gab, meinen Mann hatte. Aber viele
sind allein.
Stichwort „allein“. Frau Nick, vermissen Sie manchmal einen
starken Mann an Ihrer Seite? Nick: Theater ist mein
Lebensmittel! Doch mein Beruf ist mit einem bürgerlichen Privatleben
nicht vereinbar. Der Preis, den ich für die Unabhängigkeit zahle,
ist die Einsamkeit und die Sehnsucht nach einem stabilen zu Hause.
Dass du, Dagmar, diese große Liebe gefunden hast, ist ein schier
unglaubliches, romantisches Märchen. Koller: Das
stimmt. Aber bei mir kam es spät – wir haben erst geheiratet, als
ich 40 war.
Dennoch haben Sie als allein-erziehende Mutter eine
funktionierende Stabilität für Ihren 13-jährigen Sohn geschaffen. Nick:
Die Frage, ob das alles funktioniert, stellt sich gar nicht. Ich
habe keine andere Wahl! Ich komme allein für unseren Unterhalt auf.
So ist das nun einmal. Aber glauben Sie mir: ich bin oft sehr
traurig und auch sehr einsam.
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