Wie die 15-jährige Maleen Fischer die einzigartige Haute-Couture-Show in Paris erlebte & das Herz des Modezaren eroberte.
Meist, wenn Träume wahr werden, rebelliert der Körper. Und so war es wenig verwunderlich, dass Maleen Fischer (15), die seit ihrer Geburt an der lebensbedrohenden Krankheit Lungenhochdruck leidet, in der Nacht auf Dienstag kein Auge zugemacht hat. Die Aufregung war groß: Karl Lagerfeld, Maleens Idol seit Kindertagen, hatte sie persönlich zur Chanel Haute Couture Show nach Paris geladen. Die Karten werden auf dem Schwarzmarkt wie Rohdiamanten gehandelt.
Seelenverwandte
Maleen Fischer, die alle sechzig Sekunden ein
starkes Medikament mitten ins Herz bekommt – ihre Überlebenstasche trägt sie
immer um den Bauch – hatte ihr Idol auf Vermittlung von MADONNA letztes Jahr
im Oktober kennengelernt. Beiden ist Mode große Inspiration und
Lebensinhalt, sie waren einander sofort sympathisch. Im April bereits folgte
dann Lagerfelds erste Einladung nach Paris. Doch Maleen musste schweren
Herzens absagen. Denn einmal im Jahr muss der tapfere Teenager in den USA
auf die Medikamente mit starken Nebenwirkungen eingestellt werden. Umso
größer die Freude, als Karl sie wiederholt am 6. Juli einlud. „Er hat
gesagt“, so Maleen im Talk mit MADONNA, dem einzigen Medium, dass Maleen
nach Paris begleiten durfte, „dass es ihm viel bedeutet, wenn ich komme.“
Und Maleen erst!
Karl-Fieber
Bei der Ankunft im stilvollen Designhotel „Bel Ami“,
in St. Germain de Pres, quasi um die Ecke von Lagerfelds Stammcafé „de
Flore“, sind bereits die Einladungen für den Abend hinterlegt. Ganz Paris
ist schon im Karl-Fieber. Perfekt in Chanel gestylt, die Initialen auf die
Finger manikürt, geht es am Abend zum Grand Palais, einem bombastischen
Pavillon, vergleichbar mit dem Palmenhaus in Schönbrunn, an der Avenue
Winston Churchill. Hunderte Fotografen, Reporter und TV-Stationen aus aller
Welt sind dort, um von der Königsdisziplin des Modebiz, der Chanel Haute
Couture Show von Karl Lagerfeld zu berichten.
Im Zeichen der Löwin. Die Chanel Haute Couture Show im prunkvollen Grand Palais stand ganz im Zeichen von Coco Chanel, Löwin im Sternzeichen. Die Karten für die Show wurden wie Rohdiamanten gehandelt.
Fulminante Show
Lagerfeld, Freigeist und Genie unter den
Designern, hat für seine Haute
Couture 2010 das Motto „Im
Zeichen des Löwen“ ausgewählt. Eine mächtige, goldene Löwenskulptur
(12 Meter hoch, 20 Meter lang) dominiert das Grand Palais, das für diesen
Abend zu einer luftigen Arena umgebaut wurde. Doch eigentlich ist es die
Löwin, die gemeint ist. Zärtliche Reminiszenz und Verbeugung Lagerfelds vor
der großen Coco Chanel, einer Löwin im Sternzeichen, einer Kämpferischen im
Leben. Stars wie Jessica Alba oder Milla Jovovich sind gekommen, um die
Kreationen zu bewundern. Auch Maleen kommt aus dem Staunen nicht raus. „Ich
habe selten so wunderschöne Kleider gesehen. So glamourös, inspiriert,
einzigartig.“ Die Modenschau gerät zum unvergesslichen Erlebnis. Vor allem
für Maleen.
Wiedersehen
Doch erst nach der Schau steuert der Abend auf
seinen Höhepunkt zu. Lagerfeld hat gebeten, Maleen zu treffen. Freilich
erst, nachdem der Modegott unzählige Interviews gegeben hat. Jeder will mit
Karl, der mitten in der Arena – bewacht von Dutzenden Securitys – steht,
reden. Auf einmal trifft sich ihr Blick. Karl Lagerfeld sieht Maleen, die
artig an der Seite wartet. Schon müde vom Erlebten, von der Aufregung, dem
Trubel. Ihre Füße schmerzen heftig. Aufgrund der starken Nebenwirkungen des
Medikaments sind ihre Beinsehnen verkürzt, weil Maleen mit zweieinhalb Kilo
Überlebenspaket am Rücken laufen gelernt hatte. Das alles spürt Maleen nicht
mehr, als Karl Lagerfeld sie freundlich anlächelt und aus der großen Menge
heraus zu sich winkt. Er erinnert sich sofort an das kluge Mädchen aus
Österreich. „Wie geht es dir, Maleen?“, will er sofort wissen. „Danke,
gerade sehr gut!“, antwortet sie fast schüchtern. „Ich möchte mich besonders
herzlich für das Buch bedanken, das du mir geschickt hast“, so Lagerfeld
weiter. Unglaublich, dass er an diesem Abend, an dem er der Nabel der
Modewelt ist, daran denkt. Doch so ist er; man erkennt das, wenn man ihm
hinter die obligate Sonnenbrille blickt. Dahinter: seine Augen warm,
zärtlich, voll Empathie und immer wach. Maleen hatte ihm im vergangenen Jahr
einen Modebildband über Wiener Mode der 1920er Jahre geschenkt. Beide lieben
diese Zeit und diese Mode. Ausgerechnet jetzt erinnert sich Lagerfeld an das
Buch. Maleens Augen strahlen. Die beiden plaudern weiter ungehindert und der
Modezar will wissen, „wer deine tollen Augen geschminkt hat?“
Komplimente
Maleen, die krankheitsbedingt keine Schule besuchen
kann und sich die manchmal oft einsamen Stunden mit Mode und Make-up
vertreibt, ist jetzt den Freuden-Tränen nah: „Die habe ich selbst gemacht.“
Lagerfeld repliziert: „Ich mag es besonders, wenn eine junge Dame wie du so
wunderschön geschminkte Augen hat. Das hat Stil. Außerdem passt es wunderbar
zu deinem Outfit. Die Gesamtkombination gefällt mir sehr gut.“ Sätze, die
Maleen nie mehr vergessen wird. Manche Ärzte prognostizieren ihr nur noch
wenige Jahre. „Den Gefallen tue ich ihnen nicht“, kontert das
hochintelligente und humorvolle Mädchen stets. „Es wird Zeit, dass ich auch
dir einmal etwas schenke. Du musst mir bitte deine Visitkarte geben“,
verabschiedet sich Lagerfeld liebevoll. „Un petit cadeau pour Maleen“ (auf
dt.: Ein kleines Geschenk für Maleen), raunt er seinem Assistenten zu. Dann
schließt er Maleen in die Arme, küsst sie auf beide Wangen und ruft: „Ich
hoffe, wir sehen uns bald wieder, mein schönes Mädchen.“
In dieser Nacht ist Maleen sehr glücklich und erschöpft eingeschlafen. Leider nur kurz. Denn oft, wenn Träume wahr werden, rebelliert der Körper. Maleens Köper, besonders anfällig für alle Strapazen, ist am Tag nach dem Treffen mit ihrem Idol und jetzt auch schon Freund mehr als nur erschöpft. Klimaanlagen, Reiseanstrengung und Hitze fordern ihren Tribut. Maleen ist erkältet, aber so glücklich wie lange nicht mehr. Und das ist es, was wir von diesem starken Mädchen lernen können: Man kann den Widrigkeiten des Lebens nur trotzen, wenn man das Leben unbedingt liebt. Karl Lagerfeld hatte das gleich verstanden. Dafür, für diese Stärke und Eleganz, mag er seine kleine Freundin aus Österreich. Die kleine Löwin.
Bild: (c) Gerry Fischer
Leute-Chefin Alexandra Stroh (in Anelia Peschev) begleitete Maleen.