"Das ist emotionale Schwerstarbeit"

125.000 Pfleger im Streik

11.02.2020

Pflegekräfte, Kindergärtner und Behindertenbetreuer gehen heute auf die Straße.

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© Fotomontage
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Wien. Die Entscheidung fiel am Montag knapp vor Mitternacht: Jetzt wird gestreikt. In fünf Verhandlungsrunden kämpfte die Gewerkschaft für eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, die den 125.000 Bediensteten in der Sozialwirtschaft zugutekommen sollte. Jetzt legen Kindergärtnerinnen, Pflegekräfte und Heimhilfen gemeinsam die Arbeit nieder.

„Den Kollegen reicht es“, sagt ÖGB-Boss Wolfgang Katzian zu ÖSTERREICH. „Sie sind ausgebrannt. Es geht um die Gesundheit.“ Bereits am Dienstag fanden erste kleinere Betriebsversammlungen statt.

Heute, Mittwoch, ist der Höhepunkt der Warnstreiks: Vor dem Sozialministerium finden Betriebsversammlungen statt, auch in den Betrieben wird gestreikt.

70 % der Bediensteten arbeiten in Teilzeit

Eva Scherz, die Verhandlerin der Privatangestellten, sagt: „Wir leisten emotionale Schwerstarbeit. Wir sind oft mit Leid und Trauer konfrontiert.“ 70 % arbeiten gar nicht Vollzeit, weil sie „das nicht aushalten würden“. Dabei sei der Sektor auch noch „chronisch unterfinanziert“, so Scherz.

Würden alle Bediensteten in den 460 Betrieben auf die 35-Stunden-Woche umsteigen, käme das einer Lohnerhöhung von 8,6 % gleich. „Unfinanzierbar“, sagen die Arbeitgeber. Dazu kommt die Sorge, nicht genügend Personal zu finden, um die gekürzte Arbeitszeit auszugleichen. Das Argument der Gewerkschaft: Schon jetzt würden die Leute aus der Branche fliehen, man müsse sie eben wertschätzend behandeln.

Der Streik soll nicht zulasten der Patienten durchgeführt werden, sondern Arbeit betreffen, die aufgeschoben werden kann. Die nächste Verhandlungsrunde findet am 17. Februar statt. Scherz will teilnehmen: „Aber wir haben auch einen Plan für danach.“

D. Knob

Anschober: »75.000 Pfleger fehlen«

Minister Anschober über die Pflegestreiks und dringend gesuchtes Personal.

Wien. Der grüne Gesundheitsminister Rudi Anschober weist gegenüber ÖSTERREICH auf den Personalmangel im Pflegebereich hin: „Das Wichtigste ist mir eine Aufwertung und Attraktivierung des Pflegeberufes insgesamt. Denn wir werden bis 2030 zusätzlich 75.000 Mitarbeiter brauchen.“

Für den Streik zeigt er Verständnis: „Sollten Warnstreiks stattfinden, stellen diese ein ­legitimes Mittel dar, um auf die Lage der Pflegeberufe aufmerksam zu machen. Seitens der ­Gewerkschaft wurde zugesichert, dass durch Warnstreiks für niemanden Schaden entstehen wird. Das ist für mich entscheidend.“ Jetzt sollten beide Seiten Kompromisse suchen.

ÖGB-Chef für 4-Tage-Woche und mehr Urlaubstage

Der Gewerkschaftspräsident ist auch in anderen Branchen für eine Arbeitszeitverkürzung.

Wien. Wolfgang Katzian, Chef des Gewerkschaftsbundes, im Interview.

ÖSTERREICH: Stehen Sie hinter den Forderungen der Sozialwirtschaft?

Wolfgang Katzian: Ja, absolut. Wir haben es uns im ÖGB nicht leicht gemacht mit der Streikfreigabe, aber den Kollegen reicht’s. Die Leute sind ausgebrannt, vor allem die, die Vollzeit arbeiten.

ÖSTERREICH: Die Arbeitgeber sagen, 35 Stunden sind nicht finanzierbar.

Katzian: Wir hören, dass sie Angst haben, nicht genug Personal zu finden. Aber jetzt sagen 40 % schon nach Ende der Ausbildung, sie wollen so schnell wie möglich wieder weg.

ÖSTERREICH: Wollen Sie die 35-Stunden-Woche auch in anderen Brachen?

Katzian: Mehr Freizeit ist ein großer Wunsch. Das geht aber nicht nur über die Wochenarbeitszeit, sondern etwa auch mit der Vier-Tage-Woche und mehr Urlaub.

(knd)
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