Nach Mord an Mutter
14-Jährige muss Mord-Trauma aufarbeiten
15.04.2010
Die Gefahr, dass sich ein Täter nach Realisierung etwas antut, sei hoch.
"Wie gehst du mit der Geschichte um, die du sicher nie in deinem Leben vergessen wirst?" - Mit diesem und ähnlichen Sätzen wird sich die 14-jährige Angelika D. künftig häufig konfrontiert sehen und gegenüber Psychologen aber vor allem für sich selbst eine Antwort finden müssen. Aus Sicht des Täter- und Opferhilfevereins "Neustart" in Wien hat das Erstechen der Mutter durch die Tochter, bei der gesamten Familie - Vater, Bruder aber auch bei der mutmaßlichen Täterin ein massives Trauma hinterlassen, das aufgearbeitet werden muss.
Haft mit Therapie
"Damit geht man in der Regel so um, dass man es
verdrängt. Aber Traumen kommen so zurück, dass man es nicht kontrollieren
kann", erklärte Neustart-Sprecher Andreas Zembaty. Damit dies nicht
passiert, brauchen alle Betroffenen Hilfe, auch die vermutlich gewalttätig
gewordene 14-Jährige. Bei einer Verurteilung ist für Jugendliche in Haft
daher eine regelmäßige psychotherapeutische Betreuung vorgesehen, bei der
sich die Straftäter mit der eigenen Schuld auseinandersetzen müssen.
Im Fall von Angelika D. spielt laut Zembaty auch die Konfrontation mit ihrem Vater, dem Bruder und anderen Verwandten eine bedeutende Rolle. "Die Familie - egal ob sie sich distanziert oder nicht - bleibt dem Mädchen ein Leben lang als Ressource oder als Belastung", erklärte der Sprecher. Wichtig sei es für jugendliche Straftäter, Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, damit es zu keiner Form der Idealisierung komme. Ob Ablehnung oder vorsichtige Annäherung - zu wissen, woran man ist, könne Schockerlebnisse verhindern. "Da reagieren Familien ganz unterschiedlich", betonte Zembaty. Kontaktaufnahmen fänden daher teilweise sehr reglementiert statt - aus emotionalem Schutz für beide gäbe es zu Beginn nur kurze Treffen mit Begleitung.
Gefahr für Selbstverletzung
Ralf Gössler, Abteilungsleiter
der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Krankenhaus Hietzing, hält aus
psychologischer Sicht derzeit neben dem Familien-Kontakt ein anderes Thema
für besonders wichtig: "Die Gefahr, dass sich Straftäter nach der
Realisierung der Tat etwas antun, das ist ein großes Thema bei vielen",
betonte er im Gespräch. Psychologen in Justizanstalten seien diesbezüglich
besonders geschult, Erwachsenen und Jugendlichen gegenüber gleichermaßen.
"Da muss man manchmal auch gegen den Willen der Person einen stationären
Aufenthalt vorsehen", so Gössler.
Bei der mutmaßlichen Tat von Angelika D. handle es sich in jedem Fall um kein jugendliches Massendelikt, dahinter habe sich eine "lange Geschichte der Ohnmacht und Sprachlosigkeit aufgebaut", meinte Zembaty. Das Mädchen müsse schon vor der Tat massiv psychisch eingeschränkt gewesen sein, näheres müsste durch Gutachten geklärt werden.