Seit dem Lokalaugenschein im Kremser Supermarkt ist der Ablauf der Tragödie klarer.
Theoretisch ist ein Lokalaugenschein „die Besichtigung eines Tatorts zur gerichtlichen Beweisaufnahme“. Die Praxis ist saftiger. Da kann ein Lokalaugenschein großes Theater sein.
Etwa, wenn er klären soll, ob zwei Polizisten wegen „fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen“ (Strafdrohung: bis drei Jahre Haft) angeklagt werden – oder nicht. Wie im Fall der Todesschüsse von Krems.
Tödliche Polizeikugel
Wie berichtet, wurden in der Nacht
zum 5. August um 2.28 Uhr zwei Jugendliche von Inspektor Andreas K. und
seiner Kollegin Susanne G. beim Einbruch in eine Merkur-Filiale überrascht.
Das furchtbare Resultat: Der 14-jährige Florian P. wurde von Polizeikugeln
tödlich getroffen. Sein Freund Roland T. blieb mit durchschossenen
Oberschenkeln liegen. Der Fall ist heikel, also sollte auch der
Lokalaugenschein diskret ablaufen. Das Ergebnis war ein Spuk.
Polizisten verbargen Gesichter
Drei Nächte lag
ÖSTERREICH-Fotograf Stano Jenis schon auf der Lauer. Mittwoch um 20.42 Uhr
wurde er belohnt. Plötzlich riegelten Polizisten den Parkplatz vor dem
Supermarkt ab. Dann kam durch die Scheinwerfer von sieben Autos Leben in die
Finsternis.
In einem Wagen der Justizwache wurde U-Häftling Roland T. gebracht, in einem Pkw mit verdunkelten Scheiben saßen die beiden Kugel-Cops und verbargen ihre Gesichter. In weiteren Autos: Staatsanwalt Friedrich Köhl, Sachverständige, Ermittler und Schreibkräfte. Der Lokalaugenschein dauerte bis ein Uhr früh und lief ohne Zwischenfälle ab. Nicht aber ohne Überraschungen.
Zwar informiert Staatsanwalt Köhl nur knapp: „Beide Seiten blieben bei ihrer ursprünglichen Verantwortung. Der 17-Jährige sagt, er und sein Mittäter wollten vor der Polizei flüchten. Die beiden Beamten sagen, sie seien von den Verdächtigen angegriffen worden und haben in Notwehr gehandelt.“ Doch abseits der offiziellen Kanäle drang durch:
Laser zeigte Schussverlauf
Der Sachverständige Ingo Wieser hat
bei der Tatrekonstruktion ein Lasergerät eingesetzt, um anhand der
Schusskanäle den Schussverlauf zu ermitteln. Und aus den Aufzeichnungen
ergibt sich: Erstens wurden die Kugeln aus nächster Nähe abgefeuert (Ein
Chemiker stellte entsprechende Schmauchspuren auf der Kleidung der
jugendlichen Einbrecher fest). Zweitens wurde der getötete Florian P. schräg
getroffen. Die Kugel trat links auf Schulterhöhe in den Körper ein und
rechts wieder aus. Was darauf schließen lässt, dass der Teenager eine
Drehbewegung machte.
Wer gab den tödlichen Schuss ab?
Weiteres Resultat des
Lokalaugenscheins: Insgesamt fielen drei Schüsse. Die Polizistin feuerte
einen Warnschuss in die Decke und dann vermutlich auf Roland T. Die Kugel,
die Florian P. tötete, dürfte aus der Dienstwaffe von Andreas K. stammen.
Angeblich drückte er ab, als seine Kollegin das Codewort für „Gefahr in
Verzug“ rief. Die Ausfertigung der Gutachten wird Wochen dauern.
Junge Polizistin laut Zeugen völlig fertig
Albtraum für junge Frau
Aus Polizistenfamilie Nach dem Tod des 14-jährigen Florian P. besonders belastend: Susanne G. ist selbst Mutter von zwei Kindern. „In der Kollegenschaft hat sie jetzt Rückhalt“, erzählt ein Polizist. „Was auch passiert ist, es sind und bleiben unsere Kollegen.“
Sportfreak Klar ist: Die Version der Beamten unterscheidet sich von jener der jungen Einbrecher deutlich: Sie seien angegriffen worden, hätten in Notwehr geschossen, erklärt ihr Anwalt Hans-Rainer Rienmüller. Es steht Aussage gegen Aussage. Während die beiden Komplizen Florian P.s weiterhin in U-Haft sitzen, sind die beiden Beamten seit gut einer Woche wieder im Einsatz – allerdings nur im Innendienst. Susanne G. wurde vom Posten in Krems in einen nahen Ort im Waldviertel versetzt. |