Schock-Studie

Fast jeder dritte Erwachsene hat Probleme beim Lesen

10.12.2024

Der Anteil Erwachsener in Österreich, die Probleme beim Lesen und Verstehen selbst einfacher Texte und bei leichten alltagsmathematischem Aufgaben haben, hat sich innerhalb eines Jahrzehnts massiv erhöht 

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Das zeigt das am Dienstag veröffentlichte "Programme for the International Assessment of Adult Competencies" (PIAAC) der OECD. Zwischen 2012 und 2023 hat sich unter den 16- bis 65-Jährigen die Gruppe mit Problemen beim Lesen fast verdoppelt und liegt bei über einem Viertel.

Im Vergleich zu den anderen 30 Ländern, die diesmal am "Erwachsenen-PISA" teilgenommen haben, landet Österreich beim Lesen signifikant unter dem OECD-Schnitt (254 gegenüber 260 Punkte). 29 Prozent der Befragten konnten maximal einfachste Leseaufgaben auf Kompetenzstufe 1 oder darunter lösen (OECD-Schnitt: 26). Lässt man jene Personen außen vor, die aufgrund der Sprachbarriere den Test gar nicht machen konnten, ist der Anteil zwischen PIAAC 2012 und der Ausgabe von 2023 von 16 auf 27 Prozent gestiegen. In der Spitzengruppe besonders guter Leser landeten 10 Prozent (2012: 9, OECD: 12).

 

Viele funktionale Analphabeten

Menschen, die maximal Aufgaben auf Kompetenzstufe 1 lösen können, seien im Grunde funktionale Analphabeten, erklärte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bei einem Online-Pressegespräch. Sie scheitern selbst an Aufgaben, die ein Kind am Ende der Volksschule bewältigen können sollte.

 

Im österreichischen Bildungssystem sah Schleicher angesichts der Entwicklung bei den Lesekompetenzen Handlungsbedarf. "Da gibt es einen tatsächlichen Leistungsabfall von Menschen mit niedrigem Bildungsgrad." Das Leistungsniveau derer, die keinen Abschluss der Sekundarstufe 2 haben (AHS, BMHS, Berufsschule, Polytechnische Schule), sei "deutlich gefallen". Gleichzeitig sei der Sekundarabschluss heute weniger wert, das gelte auch für viele der tertiären Abschlüsse. Tatsächlich erreichten Testteilnehmer in Finnland mit einem Abschluss auf der Sekundarstufe 2 bei PIAAC 2023 bessere Ergebnisse als Hochschulabsolventen in Österreich (288 gegenüber 285).

Einfluss von Migration nur gering

Mit der Verschlechterung der Leseleistungen liegt Österreich im OECD-Trend. Trotz vieler Investitionen und mehr Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen in den vergangenen zehn Jahren haben sich die Leseleistungen nur in zwei der 31 Teilnehmerländer (Finnland, Dänemark) verbessert. "Bei wachsenden Anforderungen in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt ist das ein bitteres Zeugnis", so Schleicher. Über die Gründe für den Kompetenzrückgang kann man laut Schleicher nur spekulieren. Als einen Faktor vermutet er allerdings die immer kürzeren und weniger komplexen Texte, die man heutzutage lese.

Dass in Österreich mittlerweile deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund leben als 2012, sei zwar ein Mitgrund für das diesmal schlechtere Abschneiden bei PIAAC. Denn auch wenn man die Daten um Einflüsse wie den Bildungsstand oder sozialen Hintergrund bereinige, hätten diese im Schnitt schlechtere Lesekompetenzen. Den Einfluss dürfe man allerdings nicht überbewerten. "Da kommen wir auf vier, fünf Punkte." Außerdem würden die Ergebnisse zeigen, dass es bei Migranten der zweiten Generation im Lesen kaum Unterschiede zu Getesteten ohne Migrationshintergrund gibt (265 gegenüber 267 Punkte).

Mathe und "adaptives Problemlösen" besser als im OECD-Schnitt

Signifikant über dem OECD-Schnitt landete Österreich dagegen in der Domäne Mathematik mit 267 Punkten (OECD-Schnitt: 263), 23 Prozent hatten besonders schwache Ergebnisse (OECD: 25). Schließt man jene aus, die wegen der Sprachbarriere den Test nicht machen konnten, stieg der Anteil innerhalb rund eines Jahrzehnts von 15 auf 21 Prozent an. Bei den Spitzenleistungen gab es ein Plus von 14 auf 15 Prozent. International sind die Mathe-Ergebnisse im Vergleich zu 2012 zumindest stabil geblieben, aber auch hier sah Schleicher "eine wachsende Diskrepanz zwischen dem, was Menschen können und dem, was sie können sollten".

Signifikant über dem OECD-Schnitt von 251 Punkten liegt das Österreich-Ergebnis mit 253 Punkten in der neu eingeführten Testdomäne "adaptives Problemlösen". Doch auch hier erreichte mehr als jeder Vierte (27 Prozent) bestenfalls Kompetenzstufe 1 und kann damit nur einfache Probleme mit wenige Variablen lösen, die sich am Weg zur Lösung auch nicht verändern (OECD-Schnitt: 29). In der Spitzengruppe landeten in Österreich wie im OECD-Schnitt fünf Prozent.

Im Vergleich zu 2012 "noch einmal ungünstig entwickelt" hat sich laut Schleicher der Zusammenhang zwischen den Leistungen und dem sozialen Hintergrund der Eltern der Testteilnehmerinnen und -teilnehmer - und das selbst dann, wenn man Faktoren wie die ältere Bevölkerung (Ältere erreichen im Schnitt schlechtere Ergebnisse, Anm.) und Migration der vergangenen zehn Jahre berücksichtige. In Österreich erreichten etwa Teilnehmer mit mindestens einem Elternteil mit Hochschulabschluss im Schnitt 284 Punkte, Teilnehmer mit Eltern mit Pflichtschulabschluss hingegen nur 220 Punkte. Gleichzeitig betonte Schleicher, "dass das kein naturgegebener Zusammenhang ist". Entwicklungen in Ländern wie Spanien würden zeigen, dass die Politik hier gegensteuern könne.

Finnland, Japan und Schweden an der Spitze

Die besten Ergebnisse beim Erwachsenen-PISA erreichten in allen abgefragte Domänen Finnland, Japan und Schweden. Die Schweiz und Deutschland lieferten jeweils Ergebnisse über dem OECD-Schnitt. Schlusslicht war in allen drei Domänen Chile, besonders schwach haben auch Länder wie Portugal, Litauen, Israel und Italien abgeschnitten.
 

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