Schlamm in Donau. Zehn weitere Lager.
Seit Donnerstag verseucht die giftige Brühe aus Westungarn Raab und Donau. In zehn Orten finden sich weitere Giftschlamm-Zeitbomben.
Ausmaße der Katastrophe
Eine Million Liter giftige Rotschlamm-Brühe ergoss sich über die Ortschaften um Ajka in Westungarn, kaum 60 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Mehrere Dörfer gleichen Geisterstädten, es herrscht Endzeitstimmung. Laufend werden Haustiere eingesammelt. "Die rot gefärbten Tiere haben opalartige Augen. Sie werden in Schubkarren transportiert, weil sie sich nicht mehr selbst fortbewegen können", sagt WWF-Mann Gábor Figeczky.
Etwa 1.000 Menschen sind ausgesiedelt worden. Ob sie jemals in ihre Häuser zurückdürfen, ist unklar: "Sinnvoller wäre es", sagte Ungarns Premier Viktor Orbán bei einem Lokalaugenschein, "die Siedlungen neu aufzubauen." Zu verseucht sind die Orte, durch die die Giftlawine schoss. Die gefährliche Brühe hat inzwischen über die Flüsse Marcal und Raab auch die Donau erreicht: "Das Ökosystem des Marcal-Flusses ist komplett zerstört, überall sind tote Tiere zu sehen", sagt Andreas Beckmann vom WWF.
Weitere Bedrohung
Zusätzlich wurde ein weiteres mit giftigen Stoffen gefülltes Becken des Aluminiumwerkes als extrem instabil eingestuft. Das Reservoir 9, das neben dem geborstenen Reservoir 10 liegt und ähnlich giftige Stoffe enthält, ist ebenfalls brüchig.
Insgesamt gibt es in der Nähe zu Österreich zehn weitere Rotschlamm-Lager. Das größte liegt 80 Kilometer nördlich von Budapest, in Almásfüzitö, fast direkt an der Donau: "Das sind tickende Zeitbomben", sagt WWF-Mann Gábor Figeczky, "die längst strenger von einer europaweiten Task Force überprüft werden müssten." Die Katastrophe von Ajka könnte sich also jederzeit wiederholen.
Die 7 wichtigsten Fragen zum Unglück:
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Giftschlamm. Wie gefährlich ist die Brühe?
Weiß man nicht. Fix ist: Sie enthält Blei, Quecksilber, Arsen, Chrom – der Schlamm ist extrem ätzend, im direkten Kontakt gefährlich für Menschen, Tiere, Umwelt. Aber: "Wir haben Proben gezogen, Laborergebnisse liegen am Freitag vor", sagt Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster. -
Verseuchung. Welche Langzeitfolgen gibt es?
Schwermetalle und Gifte werden vom Boden und von Pflanzen aufgenommen, können jahrzehntelang nachweisbar bleiben: "Wachstums- und Fortpflanzungsstörungen bei Menschen und Tieren könnten auftreten", sagt Gábor Figeczky vom WWF. Die gemessene Radioaktivität liegt unter natürlicher Radioaktivität. -
Schuld. Wer ist verantwortlich für Katastrophe?
Die Eigentümer des Aluminiumwerkes MAL AG. Hauptaktionäre sind Lajos Tolnay und die Industriellenfamilie Bakonyi – Milliardäre. Sie haben die ungarische Aluminiumindustrie 1995 billigst gekauft, gehören zu den 30 reichsten Ungarn. -
Bedrohung. Besteht Gefahr für Österreich?
"Nur indirekt", sagt Herwig Schuster von Greenpeace: Aber: "Sollte die Brühe rasch trocknen, könnten Giftpartikel vom Wind bis zu uns getragen werden." Derzeit ist die Luft aber feucht. Umweltminister Berlakovich gibt deshalb vorerst Entwarnung: "Es besteht nach derzeitigem Stand keine Gefahr. Die Luftmessanlagen entlang der Grenze werden genau geprüft." Und: Auch Tschernobyl begann harmlos. -
Plattensee. Ist das Urlaubsparadies bedroht?
Nein, sagt Greenpeace. Zwischen dem Katastrophengebiet um den Ort Ajka und dem See liegt ein Bergrücken: "Das Grundwasser fließt ebenso wie die verseuchten Bäche in Richtung Raab und Donau." -
Österreich. Gibt es bei uns Rotschlamm-Lager?
Rotschlamm ist ein Abfallprodukt bei der Umwandlung von Bauxit zu Aluminium. Pro Tonne Aluminium fallen 1,5 Tonnen Giftschlamm an. In Österreich gibt es keine Produktion mehr. Die Lager wurden alle umweltgerecht entsorgt. -
Ausgesiedelt. Wie viele Menschen sind betroffen?
Etwa 1.000 Personen sind aus dem betroffenen Gebiet ausgesiedelt worden. Ob sie jemals wieder zurückkönnen, steht noch nicht fest.