Spott und Hohn
Handy-Terror an den Schulen
24.06.2008
80% der Lehrer haben Angst vor ihren Schülern. Bis zur Weißglut werden sie geärgert, gefilmt - und die Videos erscheinen auf YouTube.
Ein typisch österreichisches Klassenzimmer. Die Schüler sind im Oberstufenalter. Der Lehrer schreit einen Schüler an, weil er zu spät gekommen ist. "Ihr nehmt die Sachen einfach nicht ernst!", schreit der Lehrer und gestikuliert dabei wild mit seinen Hän-den. Ein anderer Lehrer in einem anderen Klassenzimmer imitiert ein Känguru und hüpft aufgeregt auf und ab. Wieder ein anderer Pädagoge übt mit seinen Schülern ein Lied ein und singt dabei so falsch er nur kann.
Szenen aus dem Schulalltag, doch was diese Lehrer beide nicht wissen: Sie werden gefilmt. Ein Mitschüler lässt, gut versteckt, seine Handy-Kamera mitlaufen. Mittlerweile ist dieses Video auf der Internetplattform YouTube zu sehen.
Das ist der neueste perfide Trend, um Lehrer zu tyrranisieren. Was immer sie tun, sie können sich nie sicher sein: Vielleicht werden sie gerade gefilmt, das Video kann dann im Internet besichtigt werden. Schon Dutzende solcher kleinen Filmchen aus den heimischen Klassenzimmern sind im Internet zu finden.
Psychische Gewalt
"Das ist alles andere als ein Spaß“, sagt
dazu die Leiterin des schulpsychologischen Dienstes in Niederösterreich,
Andrea Richter. „Diese Videos dienen dazu, jemanden psychisch fertig zu
machen und vor der ganzen Welt bloßzustellen. Das ist psychische Gewalt.“ Außerdem
ist es verboten, jemanden zu filmen und die Bilder zu veröffentlichen, ohne
die gefilmte Person um Erlaubnis zu fragen.
Niederösterreichs oberste Schulpsychologin im Gespräch : "Videos sind psychische Gewalt"
ÖSTERREICH: Hat die Gewalt an Österreichs Schulen zugenommen? Also sind die Lehrer einfach nur verunsichert? Sie haben sicherlich von ihrer Aus- und Fortbildung das Gefühl, sie werden zu wenig auf Gewalt in der Schule vorbereitet. Schüler bringen Lehrer zum Ausrasten, filmen sie mit dem Handy und stellen das Video ins Netz. Wie sehen Sie diesen Trend? Die Jugendlichen entdecken solche Ideen im Internet. Das ist aber alles andere als lustig: Das Ziel ist, jemanden psychisch fertig zu machen, also psychische Gewalt. |
Handy-Verbot unmöglich
Trotzdem kann man diesem Trend
keinen Einhalt gebieten. Zwar haben laut Gesetz sämtliche Dinge, die den
Unterricht stören, im Klassenzimmer nichts verloren. Doch de facto ist ein
generelles Handy-Verbot an unseren Schulen nicht möglich, sagt der
Landesschulratssprecher von Wien, Mathias Meissner: „Bei 1,5 Millionen
Schülern in ganz Österreich müsste man jede Woche sieben bis acht Millionen
Schultaschen kontrollieren. Das ist logistisch nicht durchführbar.“ Das
bestätigt auch das Unterrichtsministerium.
Immer mehr Lehrer berichten von Gewalt
Diese neueste Modewelle
der psychischen Gewalt in Schulen reiht sich nahtlos an die zahllosen
Erfahrungen von Lehrern, Eltern, aber auch Schülern, die körperliche
Brutalitäten vermehrt wahrnehmen. Im Durchschnitt berichten 80 Prozent aller
Lehrer von Gewaltproblemen. Bei 122.000 Lehrern im ganz Österreich sind also
etwa 100.000 Lehrer von Gewalt betroffen. Mehr als ein Drittel berichtet
sogar mindestens einmal in der Woche von einem solchen Erlebnis.
Schüler kennen keine Grenzen mehr
Dabei ist es gar nicht so
sehr die Zahl der Gewalttaten, die verblüfft. Es ist vielmehr die Härte, mit
der die Jugendlichen vorgehen: „Es fehlt die natürliche Beißhemmung, die man
früher hatte“, sagt Schulpsychologin Andrea Richter. „Die Kinder wissen
nicht mehr, wann genug ist.“ Eine Verrohung ist die Folge, wo auch auf
Jugendliche eingedroschen wird, die schon lange am Boden liegen und sich
nicht mehr wehren können. Und wieder filmen sich die jungen Leute dabei.
Dutzende Videos aus den USA und Deutschland zeigen, wie Schüler in
Klassenzimmern aufeinander eindreschen und mit Fußtritten aufeinander
losgehen.
Vereinzelt sind solche Taten von österreichischen Schülern bereits auf YouTube zu sehen:"„Solche Modewellen werden in Internet-Foren diskutiert und über kurz oder lang auch vermehrt in Österreich auftauchen", sagt Andrea Richter.