Wiener Kanalisation

Harte Arbeit in engen Rohren

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Der Wiener Untergrund bietet unbekannte Ansichten der Stadt.

Damit auch bei starken Regenfällen die Abwässer in der weitverzweigten Kanalisation bleiben und nicht auf Straßen, in Keller oder wieder zu uns in die Haushalte zurück laufen, braucht es viel Kraft: "Zu zweit schaufeln wir händisch jeden Tag einen Lastwagen voll mit Ablagerungen aus dem Kanal, die anders entsorgt werden müssen", sagt Peter Bürkle, der seit 23 Jahren bei Wien Kanal arbeitet. Gemeinsam schaffen die Kanalarbeiter täglich 15 Tonnen Material aus den Röhren.

Das abgelagerte Material, das die Kanalarbeiter hinausschaffen, stammt hauptsächlich aus den Schotterfängen. Das sind Bauwerke im Kanal, wo Sand und Schotter gezielt gesammelt werden. Das Material kommt von den Wienerwaldbächen, die vor mehr als hundert Jahren zu Kanälen umgebaut wurden, zum Beispiel der Ottakringer-, Als- oder Krottenbach. "Damit kommt frisches Wasser mit, was sich positiv auf die Geruchsentwicklung im Kanal auswirkt", so Bürkle.

Auch ätzende und stark riechende Putzmittel sind in den vergangenen Jahrzehnten nahezu verschwunden. Weitere Erleichterungen brachte der technische Fortschritt: "Dank der Maschinen, die wir einsetzen, ist die Arbeit leichter geworden. Aber oft sind die Rohre so eng, dass wir trotz aller Technik stundenlang in der Hocke oder auf allen Vieren arbeiten müssen", sagt Karl Berger. Vor einigen Wochen beschädigte etwa ein Bagger bei Bauarbeiten einen Kanal.

Gut ausgestattet in den Untergrund
Hellgraue Latzhose, Arbeitsjacke, Gummistiefel bis zum Beinansatz, Arbeitshandschuhe und Helm mit Stirnlampe - Das ist die Grundausstattung der Kanalarbeiter. So zwängen sie sich durch die vier bis sechs Meter tief liegenden Schächte, zu denen oft nur ein 60 mal 60 Zentimeter schmaler Einstieg über das Kanalgitter führt.

Tag für Tag, Nacht für Nacht wird im Untergrund gearbeitet. "Die Eingänge zu den Schächten sind mitten auf der Straße, die wir dann absperren müssen. Die Arbeit ist anstrengend, daher wechseln wir uns ab. Zur Sicherheit bleiben immer einige Männer oben bei der Einstiegstelle stehen", sagt Peter Bürkle. Insgesamt hat Wien Kanal 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aufgeteilt auf fünf Außenstellen und eine Zentrale. Frauen sind in der Planungs-, in der Bauabteilung und in der Chemiegruppe im Einsatz.

"Lauter Teamspüler"
Bezeichnenderweise trägt Michael Bawaronschütz ein Wien Kanal-Shirt mit der Aufschrift "Teamspüler". "Da unten müssen wir uns auf den anderen verlassen können", sind sich die Kanalarbeiter einig. Auch wenn es in der Kantine oder bei der Anfahrt im Wien Kanal-Bus Unstimmigkeiten und Ansichtsunterschiede gäbe, sind diese im Kanal wieder vergessen. Dann zählt jeder Mann. Und das Gasspürgerät, das am Gürtel der Arbeiter hängt und optisch und akustisch vor gefährlichen Gasen warnt. Wer teamfähig, körperlich fit und handwerklich geschickt ist, enge Räume mag und stickige Luft verträgt, ist den Kollegen gerne willkommen. Sie schätzen die unterschiedlichen Arbeitseinsätze und verschiedenen Orte. "Nach Gymnasium und Bundesheer habe ich Karrosseur gelernt. Über meinen Bruder habe ich mich bei der damaligen MA 30 Wien Kanal und bei der Berufsfeuerwehr beworben. Wien Kanal hat schneller zugesagt. Das war vor fast zwanzig Jahren", sagt Michael Bawaronschütz, der alle Führerscheine besitzt und sich am besten beim Kochen entspannt.

Kanalnetzlänge entspricht Wien-Kairo
Zu tun ist genug: Würde jemand alle Rohre des Wiener Kanalnetzes aneinanderreihen, käme man von Wien nach Kairo, in die 2.400 Kilometer entfernte Hauptstadt Ägyptens. Begehbar sind davon 1.700 Kilometer. 700 Kilometer wiederum sind Rohrkanäle. Das kleinste Kanalprofil, in das die Kanalarbeiter hinein müssen, ist nur rund einen Meter hoch und 70 Zentimeter breit - das sogenannte 1er-Profil. Dort müssen sie teilweise ohne Maschineneinsatz das abgelagerte Material händisch, mit dem sogenannten Schimmel, einem Schieber aus Holz, und einer Schaufel an die Oberfläche fördern, täglich 15 Tonnen.

Insgesamt gibt es in Wien sechs Hauptsammelkanäle, die das Mischwasser - Regen- und Schmutzwasser aus Haushalt, Industrie und Gewerbe - sammeln. Der "Linke Hauptsammelkanal" zum Beispiel führt entlang der Stadtautobahn und dann unter der Donau durch. Der Wienfluss-Sammelkanal-Entlaster verläuft in einer Tiefe von 30 Metern sogar unter dem Wienfluss sowie unter zwei U-Bahn-Trassen.

Bauprojekt zur Vorsorge bei Starkregen
Wien Kanal-Direktor Andreas Ilmer: "Wir planen, bauen, betreiben das gesamte Wiener Kanalnetz, an das mehr als 99 Prozent der Haushalte angeschlossen sind. Weniger als ein Prozent haben eine eigene Senkgrube. Ein absoluter Spitzenwert in Europa". Aktuelles Bauprojekt ist ein neues Speicherbecken in Simmering, der am tiefsten liegende Wiener Bezirk. Unter dem Mautner Sportplatz entsteht bis 2016 ein riesiges Stahlbetonbecken, das bis zu 28,5 Millionen Liter Regenwasser aufnehmen wird. Das entspricht dem Fassungsvermögen von rund 200.000 Badewannen.

Kleine Dinge - große Probleme
Selbst die stärksten Regenfälle können Plastiksackerl, Kondome, Windeln, Zigarettenstummeln, Strumpfhosen, Wattestäbchen und Ähnliches im Kanal nicht wegschwemmen. "Leider wissen noch immer nicht alle, dass die Toilette kein Mistkübel ist. Abgesehen davon könnte viel Spülwasser gespart werden", meint Karl Berger. Ähnlich unangenehm ist es für die Männer, wenn sie tote Kleintiere finden, die über die Toilette entsorgt wurden. Wenigstens ein Tier hatte Glück: "Ich habe einmal einen Igel mit dem Kübel aus dem Abwasser gefischt und oben in der Wiese abgesetzt", berichtet Bawaronschütz.

Der ungewöhnlichste Fund für Peter Bürkle war ein Einkaufswagerl in einem Schotterfang. Wie das dort hinkam, weiß er bis heute nicht. "Einmal wurde ein Juwelier über das Kanalnetz ausgeraubt. Da mussten wir die säuberlich aufgeschlichteten Ziegelsteine wegräumen", erinnert sich Bürkle. Wem ausgerechnet über dem Kanalgitter der Schlüssel aus der Tasche fällt, sollte sich schnellstmöglich beim 24-Stunden-Notruf unter der Telefonnummer 01 4000 9300 melden. "Wenn man Glück hat, bleibt der Schlüssel in den kleinen Ausnehmungen unter dem Gitter hängen", sagt Michael Bawaronschütz. Oftmals landet der Schlüssel jedoch im Abwasser und wird weggeschwemmt. In solchen Fällen können leider auch die Kanalarbeiter nicht mehr helfen.

Teure Reparatur bei Verstopfung
Anderes bleibt immer hängen: "Am ärgsten neben lästigen Strumpfhosen sind Katzenstreu und Altöl", erzählt Bawaronschütz. "Katzenstreu wird im Kanal hart wie Beton, außerdem verkleben mit der Zeit die Hauskanalrohre", warnt er. Fett gefährdet den eigenen Abfluss ebenfalls massiv. Wer nach dem Schnitzelbacken das flüssige Öl in den Ausguss schüttet, hat es nur auf den ersten Blick schnell entsorgt. Denn das hart gewordene Öl klebt an den Rohrwänden und die Rohre wachsen regelrecht zu, bis es zu einer Verstopfung kommt.

Wer nicht ständig teure Reparaturen zahlen möchte, könnte es mit dem WÖLI (Wiener Ölsammelkübel) versuchen. Diese praktische Sammelhilfe für zu Hause wird als Drei-Liter-Behälter von der Abteilung Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark(MA 48) an allen Mistplätzen und Problemstoffsammelstellen gratis zur Verfügung gestellt. Zur Entsorgung muss man nur den vollen Kübel hinbringen und den sauberen Behälter wieder mitnehmen.

Beliebter Filmdrehort
Spannend waren für die Kanalarbeiter die zahlreichen Filmteams, die bisher die Wiener Unterwelt aufsuchten. "Ich glaub, jetzt war schon jedes Team aus ganz Europa zumindest einmal bei uns. Erst vor kurzem hat ein britisches Fernsehteam im Kanal gedreht", erzählen Bürkle und Bawaronschütz.

Für heimische Fernseh-Krimis wie Kottan, Kommissar Rex und Soko Donau waren die engen Gänge und diffusen Schächte besonders attraktiv. Und schon Falco hat das Musikvideo zu "Jeanny" im Wiener Kanal gedreht. Der erste Film aber dürfte "Der dritte Mann" sein, der im Nachkriegs-Wien mit Paul Hörbiger und Orson Welles 1949 gedreht wurde. Auf dessen Spuren können Interessierte eine geführte Tour machen: www.drittemanntour.at

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