Massenphänomen

Jeder Zehnte wird alkoholkrank

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Ein Problem stellt die oft verspätete Diagnose dar.

Alkoholkrankheit als Massenphänomen: Zehn Prozent der Österreicher werden in im Laufe ihres Lebens von Bier, Wein und/oder Schnaps abhängig. Fünf Prozent der über 16-Jährigen sind aktuell betroffen. Das sind um die 350.000 Menschen. Etwa bei diesen Zahlen liegen in der Abschätzung des Problems offenbar die österreichischen niedergelassenen Allgemeinmediziner und die niedergelassenen Internisten. Das ergab eine neue Umfrage von GfK Austria unter 280 österreichischen Ärzten, die am Sonntag am Rande der Alpbacher Gesundheitsgespräche präsentiert wurde.

   GfK-Chef Rudolf Bretschneider zum Hauptergebnis: "Jeder zwanzigste derzeit von 'Praktikern' behandelte Patient und jeder zehnte von Psychiatern und Internisten im Krankenhaus betreute Patient ist alkoholkrank, ist diagnostiziert. Aber die Allgemeinmediziner sagen, dass es wohl mit den nicht diagnostizierten Alkoholikern das Doppelte wäre." Jeder zwanzigste Patient, das wären allein schon um die fünf Prozent der Bevölkerung.

   Laut den Abschätzungen aus den Daten der Umfrage, die vom Pharmakonzern Lundbeck in Auftrag gegeben worden war, dürften rund 119.000 Alkoholkranke bei Allgemeinmedizinern in Behandlung sein, 22.500 beim niedergelassenen Internisten und rund 13.300 beim niedergelassenen Psychiater. Das deutet ebenfalls auf einen hohen Anteil an nicht Diagnostizierten bzw. nicht Behandelten hin.

   Ein Problem stellt auf jeden Fall die oft verspätete Diagnose dar. Bretschneider: "Alkoholprobleme werden sehr selten in die Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte mit dem Patienten) integriert, auch bei für den Arzt neuen Patienten." In 40 Prozent der Fälle ergibt sich der Hinweis auf eine Alkoholkrankheit erst durch eher zufällig erhobene Befunde im Rahmen einer Gesundenuntersuchung oder über Laboruntersuchungen aus anderen Gründen.

   Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz der Universitätsklinik für Psychiatrie am Wiener AKH: "Wir brauchen eine Schärfung der Diagnostik." Immerhin gaben 80 bis 90 Prozent der befragten Fachärzte, die mit Alkoholkranken beschäftigt sind an, sie würden die Patienten viel zu spät sehen. Der Altersgipfel bei den Alkoholkranken liegt laut der Psychiaterin im mittleren Lebensalter, um 50 bis 52 Jahre. Dagegen wäre das in der Öffentlichkeit so oft diskutierte "Koma-Saufen" Jugendlicher kein Problem der Sucht, sondern eines mit Problemen behafteten Erwachsenwerdens.

   Weltweit werden 2,5 Millionen Todesfälle - vier Prozent aller Todesfälle - auf die Alkoholkrankheit zurückgeführt. Damit fordert der Alkohol mehr Opfer als HIV/Aids, TBC oder die Malaria.

   In Österreich ist auf diesem Gebiet offenbar noch viel zu tun. Gabriele Fischer: "In unserem Kulturkontext ist der Alkohol die am meisten benutzte Substanz. Für 80 Prozent der Konsumenten ist das allerdings problemlos."

   Doch die wirklich Betroffenen benötigen viel mehr Hilfe. Laut der Umfrage werden auch 25 Prozent der diagnostizierten Alkoholiker nicht medikamentös oder psychotherapeutisch behandelt. Nur 22 Prozent der Allgemeinmediziner sagen, sie würden sich mit der Alkoholkrankheit "sehr gut auskennen" (Diabetes: 49 Prozent). Und 76 Prozent der Allgemeinmediziner sind "eher" oder "sehr unzufrieden" mit der Verfügbarkeit von Therapieangeboten.

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